Argirios Giannikis ruht in sich. Zumindest sieht es ganz danach aus, wenn er so dasitzt, sich in seinem Stuhl zurücklehnt und erklärt, wie es gerade um den Fußball-Drittligisten TSV 1860 München bestellt ist. Giannikis spricht zwar recht schnell nach diesem 1:1 im Testspiel gegen den Zweitligisten 1. FC Nürnberg, aber das, was der Trainer im Sportheim des Kreisligisten TSG 08 Roth sagt, sagt er mit einer Selbstverständlichkeit, dass er auch mitten in seinem Redefluss ziemlich gelassen daherkommt. Hinter Giannikis und seiner Mannschaft liegen gerade drei Wochen Vorbereitung, und in drei weiteren spielt Sechzig zum ersten Mal nach der Sommerpause um Punkte.
Es ist also Halbzeit – erst oder schon, je nachdem, wie man es sieht. Dieser Tage ist man aber eher dazu geneigt, sich für das schon zu entscheiden. Und das ist auch der Grund, warum Giannikis jetzt im Rother Sportheim ein paar kritische Fragen beantworten muss. Nur: Das scheint ihm nichts anzuhaben.

Exklusiv SpVgg Unterhaching:„Tut mir leid, Leute, ich mache das nicht mehr mit“
Torwart René Vollath will den Drittligisten Unterhaching nach Ärger um seinen Vertrag verlassen. Der Nachbar TSV 1860 hätte Interesse – aber es steht eine immense Ablöse im Raum.
Dass sich seine Mannschaft bislang noch nicht gefunden hat? Liegt in der Natur der Sache. Dass die Vorbereitung auf die neue Saison bislang ziemlich wechselhaft läuft? Ganz normal. Und dass es Anfang August schon ernst wird in der dritten Liga? Kein Grund zur Sorge. Argirios Giannikis, 44, hat einen Plan. Und in diesem Plan sind Rückschläge eingepreist. Warum also unruhig werden, nur weil es noch Arbeit gibt bis zum Saisonstart Anfang August? „Wir lernen dazu“, sagt Sechzigs Trainer, „jetzt dürfen wir noch Fehler machen, um sie dann schnellstmöglich abzustellen. Das sind Prozesse, die wichtig sind, damit wir zusammenwachsen.“
Wenn Giannikis in diesen Tagen über seinen Kader spricht, spricht er oft von einem Prozess. Vom Umbruch. Von Feinabstimmung. Mehr als eine ganze Mannschaft ist in diesem Sommer nach München gekommen, fast zwei Teams haben den Klub verlassen, darunter feste Größen wie Fynn Lakenmacher, Michael Glück, Fabian Greilinger und Albion Vrenezi. Einschnitte in einer Größenordnung, die selbst für Drittligisten nicht alltäglich ist.
Torwart Vollath kommt aus Unterhaching – für eine deutlich kleinere Ablöse als ursprünglich aufgerufen
Am Dienstag präsentierte der Klub noch einen neuen Torwart – René Vollath, 34, der beim Ligakonkurrenten SpVgg Unterhaching in Ermangelung eines langfristigen Vertrags nicht mehr zufrieden war. Eine kleine Ablöse haben die Löwen bezahlt, aber deutlich weniger als die 500 000 Euro, die die SpVgg ursprünglich aufgerufen hatte. Bei 1860 kann Vollath, wie zuletzt in Haching, wieder parallel als Torwarttrainer im Nachwuchs tätig sein. Er sei „froh, dass ich dazu beitragen kann, die Torhüter der Junglöwen weiterzuentwickeln und mir hier neben der Profikarriere ein weiteres Standbein aufzubauen“. So war ursprünglich auch der Plan bei der SpVgg gewesen, der sich dann aber zerschlug. Zudem solle Vollath sich mit Marco Hiller „gegenseitig unterstützen und noch besser machen“, wie Sport-Geschäftsführer Christian Werner erklärte. „René hat über Jahre gezeigt, dass er ein hervorragender Torhüter ist, und wird mit seiner Erfahrung zusätzlich eine wichtige Rolle in der Kabine spielen.“
Weil diese Kabine runderneuert wurde, hat Giannikis gute Gründe, Mitte Juli noch um etwas Geduld zu werben – andererseits arbeitet er bei Sechzig, einem, wie er selbst sagt, „Riesenklub mit einer großen Tradition und Riesenambitionen“. Alles riesig also, die Rochaden im Kader aber eben auch. Und das braucht Zeit, die man bei einem Verein wie Sechzig nicht hat.
Das ist die Krux, die Herausforderung. Aber Giannikis bringt das nicht aus der Fassung. „Dass in der dritten, vierten Woche der Vorbereitung Unsauberkeiten reinkommen, ist ganz normal“, sagt er, „wir brauchen einfach mehr Substanz, um nach so einem großen Umbruch die Feinabstimmung hinzukriegen. Und mit Substanz meine ich Training. Trainingsinhalte, damit das Konstrukt, das wir haben wollen, stressresistenter ist.“ Derzeit ist der TSV 1860 noch ein ziemlich wackliges Gebilde. Giannikis weiß das, und er sieht auch keinen Grund, warum er damit hinter dem Berg halten sollte. Ist nun mal so. Wird sich aber noch ändern. So sieht er das. Und deshalb kommuniziert er auch so.
Die Lage ist immer noch weitaus komfortabler als die, in der er bei seinem Amtsantritt steckte. „Als ich vor sechs Monaten herkam, war die Situation eine andere als jetzt. Da war der Klassenerhalt das Thema, jetzt ist es der Umbruch“, sagt Giannikis und gibt dann vor: „Die Spieler müssen die Lösungen schneller sehen. Das geht durch Wiederholungen im Training, durch Machen, durch Tun und durch Verständnisschaffen.“
Giannikis würde gerne das große Ganze in den Blick nehmen, aber irgendetwas kommt immer dazwischen
Aber ist es damit tatsächlich getan? Mit Training und Zeit? Wer beispielsweise am vergangenen Wochenende beim 1:1 gegen Nürnberg sah, wie selbst gestandene Spieler wie die Innenverteidiger Jesper Verlaat oder Max Reinthaler ins Wanken gerieten, wer das also sah, der war schon geneigt, darüber nachzudenken, ob das alles wirklich nur eine Frage der Zeit ist. Oder ob diese Mannschaft vielleicht doch noch Spieler benötigt, die ihr Halt geben. Allzu widerstandsfähig wirkt sie jedenfalls bisher nicht.
Giannikis würde gerne das große Ganze in den Blick nehmen, aber irgendetwas kommt dabei immer dazwischen. Erst seine Rettungsmission, als er im Januar nach Giesing kam, um Maurizio Jacobacci abzulösen – und jetzt der Neuanfang, für den zunächst ein Fundament gelegt werden muss, bevor die nächsten Schritte folgen können: Giannikis ist als Not- und Aufbauhelfer gefordert. Da bleibt kaum Gelegenheit, gedanklich einen größeren Horizont zu umspannen. Das Hier und Jetzt fordert maximale Aufmerksamkeit ein, schließlich liegt noch ein Weg vor Giannikis und seiner Mannschaft, bevor es ernst wird.
Drei Wochen bleiben den Löwen bis zum Auftakt der neuen Saison, dann geht es an einem Freitagabend unter Flutlicht im Grünwalder Stadion gegen den 1. FC Saarbrücken, einen, gemessen an seiner Geschichte, Riesenklub mit Riesenambitionen. Sechzig, das sollte man bei allem Anspruchsdenken nicht vergessen, steht mit seinen Visionen in der dritten Liga nicht allein da.