Wer sitzt wo? Es kommt selten vor, dass bei einer Spieltags-Pressekonferenz des TSV 1860 München neben Trainer und Pressesprecher noch jemand auf dem Podium sitzt. Deshalb musste am Dienstagmittag der Interimstrainer Alper Kayabunar erst einmal erfahren, dass er in die Mitte durfte, rechts neben ihm Interims-Geschäftsführer Manfred Paula. „Dann haben alle ihre Plätze gefunden“, sagte der Sprecher Rainer Kmeth. Dabei beginnt in Wahrheit ja erst das Stühlerücken.
Der neue Cheftrainer scheint noch fern zu sein, der nächste Gegner ist aber nah, am Mittwochabend tritt Viktoria Köln im Grünwalder Stadion an (19 Uhr). Und so musste die Vereinsführung des wankelmütigen Fußball-Drittligisten für die Englische Woche eine Art Impro-Team aufstellen. Man habe die Entscheidung, die zum Doppelrauswurf führte, reiflich überlegt, aber wohl doch zu schnell, um gleich auch schon Nachfolger präsentieren zu können.
Immerhin, das Impro-Team ist durchaus kompetent. Kayabunar war sogar schon einmal Interimstrainer in der dritten Liga, für vier Spiele war er bei Türkgücü München verantwortlich. Vor allem aber hat er mit seinen 39 Jahren schon viel Erfahrung als Assistent gesammelt: Wie er selbst schätzt, waren es bei Türkgücü ungefähr 17 in zehn Jahren – darunter übrigens auch unter den ehemaligen Sechzig-Trainern Reiner Maurer und Alexander Schmidt. Kayabunar besitzt allerdings nicht die nötige Uefa-Trainerlizenz, außerdem sieht er sogar noch jünger aus als Florian Niederlechner, und der Verein wünscht sich alsbald einen erfahrenen Anführer.
Und Manfred Paula, noch drei Wochen lang 60 Jahre alt, ist nicht nur Leiter des Nachwuchs-Leistungszentrums. „Ich kann beide Bereiche abdecken“, betont er, wobei er an sich ein ruhiger, bescheidener Typ ist. Damit meint er das Kaufmännische wie das Sportliche, er ist Diplom-Sportökonom und schon seit 18 Jahren im Besitz der besagten nötigen Trainerlizenz. „Alte Schule“, sagt er über sich. Paula wurde mit „relativ wenig Bedenkzeit“, wie er sagt, in ein Kompetenzvakuum geworfen, das sich auftat, nachdem Trainer Patrick Glöckner und Geschäftsführer Christian Werner gehen mussten. Es ist also, mal wieder, die Zeit für einen Neuanfang. In diesen Tagen können Entscheidungen getroffen werden, die sich langfristig bewähren.
Kayabunar sucht das Gespräch mit den Führungsspielern Florian Niederlechner und Kevin Volland
„Wir haben einen klaren Fahrplan“, sagt Paula. Erste Station: „Einen neuen Trainer so schnell wie möglich zu finden.“ Er geht davon aus, dass dieser Trainer in der kommenden Woche präsentiert werden kann, dann steht eine Länderspielpause an – wenn das Wort denn passen würde, ein beliebter Zeitpunkt für Trainerwechsel. Im Gespräch sind viele Kandidaten, darunter der frühere Ulm-Trainer Thomas Wörle.
Der künftige Geschäftsführer bestimmt diese Entscheidung demnach nicht mit – außer natürlich … ist es denn möglich, dass der Diplom-Sportökonom Paula, der immerhin schon seit 2019 für Sechzig arbeitet, länger Geschäftsführer bleibt? „Wir versuchen jetzt erstmal, in der Situation zu helfen. Was danach kommt, ist eine Entscheidung der Gremien“, sagt er dazu. So klar wie bei Trainer Kayabunar fällt die Antwort also nicht aus.
Es war auch Paula, der Kayabunar zu den Sechzigern holte. Der hatte sich lange Zeit bei Türkgücü aufgearbeitet, er war dort stets ein ruhender Pol, egal, ob der Verein von einem wankelmütigen Investor angeführt wurde oder die Spieler nicht mehr bezahlt wurden. Doch im vergangenen Sommer fehlte ihm dann endgültig die Perspektive bei einem Verein, für den personelles, strukturelles oder finanzielles Chaos, wie es bei 1860 oft vorkommt, der Alltag ist. Er übernahm Sechzigs zweite Mannschaft, diese steht an der Tabellenspitze der Bayernliga. Absteiger Türkgücü wurde übrigens 5:0 bezwungen.
Kayabunar verfügt zumindest schon einmal über genug Erfahrung, um zu wissen, dass er in wenigen Tagen mit zwei Pflichtspielen (gegen Köln und dann am Sonntag, 16.30 Uhr, auswärts bei Wehen Wiesbaden) das Rad nicht neu erfinden kann. Er habe persönliche Gespräche geführt, unter anderem mit den Führungsspielern Florian Niederlechner und Kevin Volland, „um vielleicht reinzuhören, was das Problem war“ zuletzt, während der drei Niederlagen in Serie. Er höre sich deren Meinung an und entwickle unter anderem daraus einen Matchplan. Kayabunar kennt außerdem das bestehende Co-Trainerteam sehr gut. Mit Nicolas Masetzky arbeitete er zusammen bei Türkgücü, dort stand zu jener Zeit Sechzigs aktueller Torwarttrainer René Vollath auch noch zwischen den Pfosten.
Ein bisschen groß ist die Aufgabe für Kayabunar freilich schon, plötzlich im ausverkauften Grünwalder Stadion zu stehen und zu delegieren. Selbst, als er hier einmal gegen 1860 antrat, war es nur halbgefüllt gewesen, beim Toto-Pokalspiel im Sommer 2022, das Türkgücü 1:3 verlor. Doch er wird sich weiter darauf freuen können, „jeden Tag durch das blaue Tor“ auf das Vereinsgelände zu gehen, das sei für einen gebürtigen Münchner wie ihn schon etwas Besonderes. Denn es wird dieses Mal vor allem die Mannschaft in der Pflicht sein, eine Reaktion auf die merkwürdig lasche Einstellung in den vergangenen Partien zu zeigen.

