Ein Martinshorn ist zu hören just in dem Moment, als sich Markus Kauczinski zum ersten Mal auf das Podium in der Grünwalder Straße 114 setzt, aber das transportiert in diesem Fall keine symbolische Bedeutung. Weder ist der 55-Jährige als sogenannter Feuerwehrmann bekannt, noch ist er bekannter, als die Polizei erlaubt, wenngleich bekannter als seine jüngsten Vorgänger bei diesem Traditionsklub. Und das, obwohl Kauczinski fast anderthalb Jahre lang beschäftigungslos gewesen war. Er hat sich auch optisch stark verändert, „die Ernährung umgestellt“, wie er sagt, aber natürlich hat er „den Hunger auf Fußball nicht verloren“.
Der Umstand, dass auch sein Vorgänger Patrick Glöckner eine lange Pause hatte, bevor er nach München kam, ist vielleicht gar nicht so zufällig. Ungefähr 250 WhatsApp-Nachrichten hätten ihn am Donnerstagabend erreicht, als bekannt wurde, dass er, Kauczinski, neuer Löwen-Trainer wird. „Nicht einer hat gefragt: Warum machst du das?“, der Tenor sei vielmehr gewesen: „Wie geil ist das denn?“ 1860 München mag zurzeit nur auf Rang 13 der dritten Liga stehen, aber auch die Tatsache, dass Kauczinski in der Zwischenzeit andere Angebote abgelehnt hat, zeigt, dass der Verein immer noch als möglicher Karriere-Booster gesehen wird.
Gleichzeitig darf Kauczinski umgekehrt für 1860 München als eine der bestmöglichen Lösungen angesehen werden. Eigentlich erfüllt er ja auch das Profil des Interims-Sportchefs Manfred Paula zu 100 Prozent. Zu dessen „Kernkriterien“ gehörte es, dass der Neue die dritte, aber auch die zweite Liga gut kennt, er müsse zugleich „mit medialem Druck umgehen können“. Ein wenig Rätselraten blieb deshalb, warum sich dann, weitere Trainer-Kandidaten hin oder her, die Entscheidung eine Woche lang hinzog. Kauczinski wird auch erst am Montagmittag das erste Training leiten, sechs Tage vor dem Heimspiel gegen Tabellenführer MSV Duisburg.
Er hat schon oft um den Aufstieg gespielt. Mit dem Karlsruher SC scheiterte der gebürtige Gelsenkirchener, der bis jetzt noch in Karlsruhe lebt, im Jahr 2015 spektakulär knapp am Hamburger SV, sonst wäre er damals schon Erstliga-Trainer geworden. Das wurde er wenig später beim FC Ingolstadt, seiner kürzesten Station mit lediglich zwölf Pflichtspielen. Bei Dynamo Dresden wurde Kauczinski 2021 vier Spieltage vor Saisonende entlassen, der Verein stieg dann ohne ihn auf. 2023 feierte er mit dem SV Wehen Wiesbaden, dem Gegner der Löwen vom vergangenen Wochenende, dann endlich den Zweitliga-Aufstieg via Relegation gegen Arminia Bielefeld – übrigens als gesperrter Trainer auf der Tribüne.
„Was passt am besten zu meinen Leuten? – Das sehe ich als meinen Job an“, sagt er über seine Aufgabe
Er ist ein schnörkelloser Typ, und auch, wenn jeder Fußballverein von sich behaupten würde, dass so einer gut zum Verein passt, so wirkt seine Geradlinigkeit zunächst einmal erfrischend. Ob Kauczinski demnächst mit Dreier- oder Viererkette, mit einem oder mit zwei Stürmern spielen lassen will? „Das weiß ich noch nicht genau.“ Er hat schon genug erlebt, um zu wissen, wann man seinen Stempel aufdrücken muss und wann nicht. Jetzt ist ihm erst einmal wichtig zu betonen, dass er selbst flexibel ist: „Was passt am besten zu meinen Leuten? – Das sehe ich als meinen Job an“, sagt er über seine Aufgabe. Einzelne Qualitäten machten noch keine Mannschaft aus, und ja, das habe man in den vergangenen Wochen bei Sechzig ja auch gesehen.
Ein bisschen wird es auch zu Kauczinskis Profil gehören, etwas mehr auf die Eigengewächse zu setzen, denn immer deutlicher ist aus den Aussagen der Vereinsbosse herauszuhören, dass Geschäftsführer Christian Werner diesen Aspekt vernachlässigt haben soll. Nun ist Kauczinski freilich nicht der Nachfolger von Werner, was wiederum die Frage aufwirft, wann nun eigentlich die neue sportliche Leitung bekanntgegeben wird. „Das ist noch diskutabel“, sagt Paula, man werde das „in aller Gewissenhaftigkeit besprechen, das betrifft auch meine Personalie.“ Es könne freilich kein Dauerzustand sein, vormittags in der Geschäftsstelle zu arbeiten und nachmittags im Nachwuchs-Leistungszentrum, wo Paula Leiter ist. Es ist aber gut vorstellbar, dass er längerfristig in der Profifußball-KGaA angestellt werden soll und ein Nachfolger für seine Tätigkeit im NLZ gesucht wird.
Auf jeden Fall sind die Entscheidungen, die der 60-Jährige aktuell trifft, recht wegweisend. Mit der zuletzt erfolglosen Mannschaft müsse man darauf achten, nicht noch weiter abzurutschen in der Tabelle. Paula sagt aber auch, mit dem neuen Trainer neben ihm sitzend, dass Sechzig auch wieder „den Blick auf die Ziele richten“ sollte, „die wir ursprünglich formuliert haben“. Offiziell hieß es damals: oben mitspielen. Kauczinski ist dafür genau der richtige, auch wenn nicht unterschlagen werden sollte, dass er mit Dynamo Dresden schon einmal abstieg und nach dem Aufstieg mit Wehen Wiesbaden nach anhaltender Erfolglosigkeit gehen musste. Das, was Kauczinski demnach am wenigsten kann, ist Mittelfeldgeplänkel.

