Jugendarbeit beim TSV 1860 München:Mit Impulsvorträgen von den Bender-Zwillingen

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Lars Bender im 1860-Trikot: So begann 2009 alles - jetzt kehrt er mit seinem Burder Sven zurück. (Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Der Regionalliga-Abstieg der Profis 2017 traf auch Sechzigs renommierte Nachwuchsabteilung. Nun spielen U19 und U17 wieder in der Bundesliga - und NLZ-Leiter Manfred Paula sieht Talente, "bei denen es sehr, sehr weit gehen kann".

Von Stefan Galler

Wenn Frank Schmöller über den TSV 1860 München spricht, dann wird er fast ein bisschen sentimental: "Das ist ein traditionsreicher Verein, in dem ein altes Fußballherz klopft und für den viele Menschen mit einer unglaublichen Leidenschaft arbeiten." Vor drei Jahren wechselte Schmöller zu den Löwen als Coach der U21 - und die Frage war, ob der erfahrene, manchmal knorrig wirkende Amateurfußballtrainer in der Lage sein würde, den Aufgaben eines Ausbilders gerecht zu werden. "Es gab skeptische Stimmen, die meinten, ich könne nicht mit jungen Leuten arbeiten. Schon alleine deshalb ist es eine tolle Bestätigung, dass der Verein die Zusammenarbeit mit mir fortsetzen will", sagt der 55-Jährige, der zuletzt für ein weiteres Jahr als Trainer der Bayernliga-Mannschaft verlängerte.

Schmöller, als Profi Teil der HSV-Mannschaft, die 1987 den DFB-Pokal gewann, ist einer, der sich im Fußballgeschäft nichts gefallen lässt. Als etwa im Februar Unterhachings Trainer Sandro Wagner in einem SZ-Interview sagte, dass er seine Kinder zum Fußballspielen "nicht zu Bayern, nicht zu Sechzig, sondern zu Haching" schicken würde und den Löwen vorwarf, dass bei ihnen "die Ausbildung sehr, sehr verbissen" sei, ging Schmöller in den sozialen Medien in die Offensive und gab Wagner den Rat, erst einmal darauf zu schauen, was er selbst bei der SpVgg in der Regionalliga unter Profibedingungen bisher erreicht habe.

Bei den Löwen fanden sie Schmöllers Einlassung nicht optimal, dennoch hat auch Manfred Paula, Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) der Sechziger, noch eine Botschaft: Der frühere Nationalspieler Wagner kenne die Situation beim TSV 1860 gar nicht, "die Historie, die wir in der Ausbildung haben und die unglaubliche Durchlässigkeit, die es uns ermöglicht hat, in den letzten Jahren an die hundert Spieler in den Profibereich entwickelt zu haben", sprächen jedoch für sich. Das, so der NLZ-Chef weiter, "sucht deutschlandweit seinesgleichen".

In der Tat ist die Erfolgsquote, was das Hervorbringen großer Talente betrifft, auf Giesings Höhen beeindruckend. Angefangen in den Nullerjahren bei Benjamin Lauth und den Bender-Zwillingen Lars und Sven - die jetzt vor einem Comeback bei Sechzig stehen, als Mentoren, die "Impulsvorträge" (Sport-Geschäftsführer Günther Gorenzel) für die Talente halten und als NLZ-Markenbotschafter dienen sollen. Über Kevin Volland, Julian Weigl, Marius Wolf und Julian Baumgartlinger bis zu Christopher Schindler (heute 1. FC Nürnberg), Florian Neuhaus (Borussia Mönchengladbach) oder Felix Uduokhai (FC Augsburg) reicht die Bandbreite der Löwen-Azubis in den vergangenen 20 Jahren, die es im Laufe ihrer Karriere weit gebracht haben.

"Wir mussten Ressourcen im NLZ aus finanziellen Gründen zurückbauen."

Dass der Absturz der Profis aus der zweiten Liga in die Regionalliga 2017 auch eine deutliche Auswirkung auf den Nachwuchsbereich hatte, muss Manfred Paula einräumen: "Wir mussten Ressourcen im NLZ aus finanziellen Gründen zurückbauen." Dennoch sei man auch mit dem bestehenden Personal gut aufgestellt: "Wenn man alle zusammenbringt, Vollzeit und Teilzeit, dann sind wir bei rund 55 Mitarbeitern, die sich um die Entwicklung der Nachwuchsspieler kümmern." Das NLZ habe zwölf Festangestellte, davon fünf Vollzeit-Trainer. Darüber hinaus gebe es viele Mitarbeiter im Funktions- und Organisationsbereich sowie eine starke pädagogische Abteilung mit zwei hauptamtlichen Kräften, die sich um die schulisch-berufliche Ausbildung der Talente und deren Persönlichkeitsentwicklung kümmern.

"Eine sehr tolle Entwicklung": Innenverteidiger Leandro Morgalla ist derzeit das Top-Talent des TSV 1860 München. (Foto: Germann/Eibner/Imago)

Die Jugendabteilung habe, auch das räumt Paula ein, nicht nur in Sachen Budget gelitten. Die U17- und U19-Junioren büßten ihre Plätze in der Bundesliga ein. Dieser Betriebsunfall ist mittlerweile behoben, zuletzt schafften die von Jonas Schittenhelm trainierten A-Junioren in der Meisterrunde der besten Bayernligisten nach fünf Jahren wieder den Sprung ins Oberhaus, was sogar von den Drittligaprofis und 200 Fans gefeiert wurde. Die B-Junioren mit Trainer Felix Hirschnagl blieben in der Bundesliga, womit nun alle Nachwuchsmannschaften der Sechziger wieder in den höchsten Spielklassen vertreten sind. Das sei "definitiv das erklärte Ziel, aber nicht das Maß aller Dinge", relativiert Paula. Die Löwen könnten auch mal ein, zwei Jahre überbrücken, in denen sie mit U17 und U19 nicht in der Bundesliga vertreten seien. "Auf Dauer aber sollte das schon der Fall sein."

Dass das Niveau der Spieler passt, zeigen etliche Personalien der vergangenen Jahre. Eines der Top-Talente im Verein ist Leandro Morgalla, 17. Der deutsche U18-Nationalspieler nehme derzeit "eine sehr tolle Entwicklung", sagt Paula. Elf Einsätze in der dritten Liga hat der Innenverteidiger in der abgelaufenen Saison bekommen, auch für Frank Schmöller eine logische Konsequenz, schließlich habe Morgalla ein ähnlich großes Potenzial wie sein Abwehrkollege Niklas Lang, der noch in der Saison 2020/21 vorwiegend im Bayernligateam eingesetzt worden war und nun zum erweiterten Stamm der ersten Mannschaft gehört.

Dazu kommen Spieler aus dem eigenen Nachwuchs, die den Weg zum Profi anderswo geschafft haben. Leon Klassen etwa, 22, für den Sechzig vor einem Jahr im Drittliga-Kader keinen Platz mehr sah, ging im Winter für 900 000 Euro Ablöse von der WSG Tirol zu Spartak Moskau. Oder Kilian Fischer, 21: Er erhielt bei Sechzig einst nach der U19-Zeit keinen Profivertrag - und wechselt in diesem Sommer für 2,5 Millionen Euro vom 1. FC Nürnberg zum VfL Wolfsburg. "Es freut mich für ihn, dass er den Sprung zum Profi geschafft hat", sagt Paula, der wie Schmöller sein Amt im Sommer 2019 antrat, als Fischer gerade zum damaligen Regionalligisten Türkgücü München gegangen war. "Noch schöner wäre es gewesen, wenn er ihn bei uns geschafft hätte." Aber: "So etwas kann immer wieder vorkommen" - gerade bei der Vielzahl an Talenten, wie sie Sechzig hat.

Laut Paula habe man in den Jahrgängen unterhalb der U21 auch aktuell "eine gute Handvoll Spieler, bei denen es sehr, sehr weit gehen kann - bei optimaler Entwicklung und wenn sie gesund bleiben und klar im Kopf". Das sei ein Ergebnis der Talentsichtung, die vom früheren Profi Marco Haber (Kaiserslautern, Stuttgart, Unterhaching) geleitet wird. "Mit Marco tausche ich mich mehr aus als mit meiner eigenen Frau", sagt Paula und skizziert die Strategie der Löwen beim Scouting: Schwerpunkt der Sichtung sei bei den jüngeren Jahrgängen zehn bis 25 Kilometer um München herum. Im Aufbaubereich (U13 bis U15) werde der Kreis etwas größer. "Aber auch da konzentrieren wir uns auf den süddeutschen Raum, wir sind davon abgekommen, ins Ausland zu gucken. Das hat auch finanzielle Gründe", sagt der NLZ-Chef.

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Schmöllers U21 hat die Saison in der Bayernliga Süd auf dem siebten Platz beendet, zwölf Punkte vor den Relegationsrängen: "Wir mussten uns am Anfang der Saison an das Herrenniveau gewöhnen. Jetzt merkt man, wie die Jungs den Männerfußball angenommen haben", bilanziert Schmöller und betont, dass der Schritt nicht so klein sei, "wie man denken mag". Die Punktausbeute sei nicht das Wichtigste: "Über allem schwebt die Ausbildung, der Feinschliff, und dass die Jungs klarkommen mit der Geschwindigkeit und der Härte." Der Lerneffekt bei Spielen etwa in Hankofen-Hailing sei riesig, weil dort "nicht gerade die feine Klinge geführt, aber Fußball gearbeitet und gelebt wird", so Schmöller.

Auch Paula bricht eine Lanze für die U21: "Für uns ist sie elementarer Bestandteil unserer Ausbildungsstrategie." Es gebe zahlreiche U17- und U19-Spieler , die Zeit bräuchten, ehe sie im Profifußball Fuß fassen können. Dennis Dressel etwa spielte fast zwei Jahre in der U21, bevor er sich in der Drittliga-Mannschaft etablierte; nun wechselt er zum Zweitligisten Hansa Rostock. Dabei ging der Trend eine Zeit lang weg von zweiten Mannschaften: Europa-League-Sieger Eintracht Frankfurt ist ein Beispiel für einen Verein, der die U21 zwischenzeitlich abgeschafft hatte und nun neu gründet. Für Schmöller ist das eine logische Entscheidung.

Der Austausch zwischen Profitrainer Michael Köllner, Sportdirektor Günter Gorenzel und der Jugendabteilung sei ständig am Laufen, sagt Paula. Dabei sei es auch psychologisch gut, dass man an der Grünwalder Straße kurze Wege habe, die Talente auch ständig ihre Vorbilder unmittelbar vor Augen hätten. Die Zusammenarbeit mit Gorenzel sei auch deshalb "sehr fruchtbar", weil der Sportdirektor selbst früher in der Nachwuchsarbeit engagiert gewesen sei.

"Am Ende schaffen es maximal zwei Prozent in den Profibereich, bei anderen Vereinen sind es noch deutlich weniger", sagt Paula

Eine Klubphilosophie haben die Löwen auch, aber anders als etwa bei Ajax in Amsterdam wird hier kein festes Spielsystem vorgeschrieben. "Junglöwen spielen einen schnellen, aktiven, mutigen und kämpferischen Fußball", heißt es im Leitbild des Klubs. "Wir wollen, was die Grundordnung angeht, flexibel bleiben und mehrere Systeme schulen, damit die Jungs, wenn sie im Profibereich ankommen, positionsvariabel spielen können", sagt Paula und verweist darauf, dass gerade Schmöller gar kein starres Konzept spielen lassen könne, weil sich sein Kader auch durch Abstellungen an die erste Mannschaft ständig verändere.

Die Verantwortlichen schildern all die schönen Facetten ihrer Nachwuchsarbeit, und doch gibt es natürlich auch beim Arbeiterklub aus Giesing die unguten Momente. Etwa dann, wenn man Spielern erklären muss, dass es nicht mehr reicht für eine Weiterbeschäftigung im nächsten Jugendjahrgang. Da könne es auch mal zu Auseinandersetzungen kommen, wenn das Feedback nicht angenommen wird, wie Paula sagt, etwa "von Spielern, Eltern, primär aber von den Herren Beratern, die dann mit Unverständnis reagieren, wenn ihr Spieler dann nicht als der Top-Spieler angesehen wird".

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200 Nachwuchskicker von der U9 bis zur U21 spielen in elf Mannschaften im Löwen-NLZ. "Am Ende schaffen es maximal zwei Prozent in den Profibereich, bei anderen Vereinen sind es noch deutlich weniger", stellt der Nachwuchsleiter fest. In der Vorbereitung auf die neue Drittliga-Saison, die am Samstag beginnt, dürfen sich aus der U19 Innenverteidiger Michael Glück, Mittelfeldspieler Marius Wörl und Flügelstürmer Devin Sür im Training der Profis beweisen.

Manchmal klappt es auch nicht auf den ersten, sondern erst auf den zweiten Drücker. Die Sechziger beobachten ihre Weggänge weiter, wie Paula sagt: "Und wenn sich einer gut entwickelt, wären wir die Letzten, die nicht sagen würden: Komm, probieren wir es noch mal." Aktuellstes Beispiel ist Rechtsverteidiger Christopher Lannert, 23, der nun vom Drittliga-Konkurrenten SC Verl zurückgeholt wird. Und auch Marius Willsch und Philipp Steinhart waren in der Jugend beim TSV - und schafften nach einem Umweg über andere Klubs den Durchbruch in der ersten Mannschaft der Blauen.

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