Christian Werner wollte nach dieser denkwürdigen Generalprobe noch etwas loswerden, er wollte etwas einfangen, was in Wahrheit nicht mehr einzufangen ist: „Ich muss immer die Spaßbremse sein, am Ende des Tages war es ein Vorbereitungsspiel“, sagte er, man könne immer noch Sachen „optimieren“. Nun ist es ja so, dass der Geschäftsführer eigentlich der Hauptverantwortliche für die Bereitstellung des Spaßes ist, deshalb steckt er gerade in einem Dilemma: Die Euphorie beim TSV 1860 München unmittelbar vor einem Saisonstart war schon lange nicht mehr so groß wie diesmal, die Erwartungen an die Mannschaft sind riesig. Nach dem 4:0 am Samstag beim Ligakonkurrenten Jahn Regensburg lagen sie dann irgendwo ganz weit über den Wolken, die über die Oberpfalz hinwegzogen. „Der TSV ist wieder da“, sangen die Fans, so, als ob er zuvor länger weg gewesen wäre.
Dies war kein Testspiel mehr, sondern ein Vorbereitungsspiel. Sechzigs Trainer Patrick Glöckner ließ die Startelf 72 Minuten lang unverändert, mehr als nur ein Hinweis auf die Formation zum Drittliga-Saisonstart am Freitagabend bei Rot-Weiss Essen. 9270 Zuschauer bei einer Generalprobe, davon knapp die Hälfte in Weiß und Blau, sind ein weiteres Indiz für das enorme Interesse. Die Partie fand auch anlässlich des zehnten Geburtstages des Jahnstadions statt, der langjährige Vorstandschef des Jahn, Hans Rothammer, sagte in der Halbzeit, dass es ohne diese Arena in Regensburg „sicherlich keinen Profifußball in dieser Form“ mehr geben würde – eine Infrastruktur, die keine Sorgen bereitet, ist womöglich der einzige Vorteil, den der Zweitliga-Absteiger gegenüber Sechzig hat.
Nun ist das Spielfeld laut Jahnstadion-Homepage 105 Meter lang, und weil Kevin Volland in der 26. Minute fast genau von der Mittellinie das Aufsehen erregende Führungstor erzielte, dürfte es sich um ein 52,5-Meter-Tor gehandelt haben. Der prominente Sechzig-Rückkehrer, der am Mittwoch seinen 33. Geburtstag feiert, traf dann auch noch nach einem Flipperball per Abstauber zum 2:0 (38., es erhöhten Jesper Verlaat und Soichiro Kozuki), später wurde er unter großen Applaus ausgewechselt. Es gab noch mehr Ooooh- und Aaaah-Szenen, zum Beispiel den Antritt von Florian Niederlechner in Minute 22. Niederlechner trieb den Abwehrspieler vor sich her, zog nach innen, schlenzte – traf aber nur den Innenpfosten. Das meinte Werner wohl, als er von „optimieren“ sprach.
Die hohe individuelle Qualität bei Sechzig ist in die Erwartungshaltung eingepreist. Noch bedrohlicher für die Liga-Konkurrenz ist jetzt die Selbstverständlichkeit, die Glöckners Spieler schon in allen Mannschaftsteilen an den Tag legt. „Wir haben in der gesamten Vorbereitung nur ein Gegentor bekommen, man sieht die Stabilität, man sieht den Spielwitz“, freut sich der Trainer, der zudem von einer „genialen Klarheit auf den Positionen“ sprach. Das oft schnörkellose Spiel ähnelt jenem aus dem vergangenen April, als Glöckner endgültig bei Sechzig angekommen war – nur, dass es jetzt noch schneller und präziser abgespult wird. Die von ihm gelobte Kompromisslosigkeit war bis zur letzten Spielminute zu spüren, ein Gegentor wäre bedeutungslos gewesen, wurde zur Not aber auch mithilfe taktischer Fouls verhindert.
Als Niederlechner, Volland und einige andere das Feld verlassen haben, fällt die Leistung nicht ab
Werner sagte dann noch über Volland, er habe sich sehr für ihn wegen seiner Tore gefreut. Noch „viel mehr gefreut“ habe er sich aber über die Tatsache, dass Volland „extrem viel gegen den Ball gearbeitet hat, das ist das, was wir verkörpern wollen“. Er kam dann auch als Spaßverderber nicht daran vorbei, zu bestätigen, dass die Gesamtqualität des Kaders „ein positiver Aspekt“ ist. Als Niederlechner, Volland und einige andere das Feld verlassen hatten, fiel die Leistung nicht ab. Werner hob in David Philipp aber auch noch einen weiteren auffälligen Akteur heraus. Nach dessen 18 Einsatzminuten fand der Sportchef, dass der 25-Jährige „in dieser Form zu den besten Spielern der dritten Liga gehört“.
Tags zuvor hatte Patrick Glöckner Rot-Weiss Essen beobachtet, in einem Test gegen den FC Augsburg in Dillingen. Dabei hatte Ahmed Arslan aus kolportierten 55 Metern getroffen. Ein plakatives Argument dafür, dass am Freitag im Eröffnungsspiel alles anders sein wird, da spiele dann auch die Psychologie mit rein, gab Glöckner zu bedenken. Als sich die Sechziger schon verabschiedet hatten, war in der Regensburger Interviewzone noch viel die Rede von der Reife im Auftreten der Löwen, auch das Wort „Klassenunterschied“ war zu hören. Das aber würden Glöckner und Werner frühestens in zehn Monaten bestätigen.

