Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Intelligente Rennsemmel

Nach dem missglückten Versuch, sich bei St. Pauli und Venlo durchzusetzen, ist Mittelfeldspieler Richard Neudecker zu seinem Jugendverein Sechzig zurückkehrt - dort zählt er nun zu den wichtigsten Spielern der Erfolgsmannschaft.

Von Christoph Leischwitz

Eine Jugendmannschaft des TSV 1860 München im Jahr 2010, zu Gast beim TSV Ampfing, ein Testspiel steht an. Der kleine Zehner beim Gegner fällt auf. "Da lief's für mich anscheinend ganz gut, da habe ich ganz ordentlich gespielt", erzählt Richard Neudecker über seine Entdeckung mit 13 Jahren. Aus der Schule in Waldkraiburg, die er zu jener Zeit besuchte, ist zu hören, dass er zwar ein bisschen schmächtig, aber durchaus durchsetzungsfähig gewesen sei. Obendrein recht beliebt bei den Mädels. Und, dass er im Sportunterricht oft einen Rüffel bekommen hat, weil er beim Fußball nie abspielen wollte.

Neudecker ist heute ein ziemlich lockerer Typ. Er macht selbstironische Scherze, die sich viele andere Fußballprofis nicht trauen. Vielleicht hätten sie ihn ja wegen seines guten Aussehens zu Sechzig geholt - solche Dinge. Objektiv feststellen kann man heute auf jeden Fall, dass sich die Sache mit dem Ball abspielen stark verändert hat.

Die Sechziger sind aktuell eine Spitzenmannschaft in der dritten Liga. Sie wollen es zwar selbst gerade so nicht betonen, aber sie befinden sich im Kampf um die Aufstiegsplätze. Und Neudecker hat dazu wichtige, unterschiedliche Beiträge geleistet. Er ist Rennsemmel, Kampfzwerg (so hat er sich selbst schon genannt), ein Techniker mit Spielintelligenz, der aber auch schon sieben gelbe Karten gesammelt hat - weil er immer das tut, was gerade gebraucht wird.

1860-Geschäftsführer Gorenzel habe genau zur richtigen Zeit angerufen, sagt Neudecker

2016 hatte der heimatliebende Mittelfeldspieler Bayern doch tatsächlich mal verlassen. Er ging zum Zweitligisten FC St. Pauli, um den nächsten Schritt zu machen, Neudecker wurde damals eine Erstliga-Karriere zugetraut. "Das war der richtige Schritt, ich musste mal rauskommen", sagt er heute. Eine Schambeinentzündung prägte ihn ebenfalls: "Da habe ich gemerkt: Es läuft nicht alles am Schnürchen: Nur eine Verletzung, mein Freund, und deine Karriere schaut ganz anders aus als gedacht." Dann noch ein Jahr in der ersten niederländischen Liga, beim VVV-Venlo. Er kam auch zum Einsatz, aber ein echter Durchbruch blieb aus.

Da kam der Lockruf aus der Heimat. Sechzigs Geschäftsführer Günther Gorenzel habe genau zur richtigen Zeit angerufen: "Er hat gesagt, er will mich wieder aufbauen und auf mich bauen. Das war erstmal überraschend, und dann aber keine lange Überlegung." Im Sommer 2020 kam er wieder in die Heimat, noch dazu hat er jetzt einen oberpfälzischen Trainer. Über Michael Köllner sagt er: "Wir kommen super klar. Wir sagen beide, was wir denken, wir liegen uns nicht immer in den Armen, aber wir sprechen dieselbe Sprache."

Neudecker spricht viel von der Entwicklung der Mannschaft, dass man sogar in der Endphase der Saison neue Dinge ausprobiere. "Wir haben hart gearbeitet, um spielerisch besser zu werden", erzählt er. Dass er gleichzeitig auch immer torgefährlicher wurde führt er darauf zurück, dass er selbst sich immer mehr reingefuchst hat: "Ich war neu und musste mich einleben."

Das gelang sukzessive recht gut. Als Beispiel führt er selbst das Tor zum 1:0 am vergangenen Wochenende bei Waldhof Mannheim an (Endstand 2:0), das "wie gemalt" gewesen sei: ein langer Diagonalball von Phillipp Steinhart auf Sascha Mölders. Diese Bälle seien in der Liga zwar bekannt, sagt Neudecker, aber offenbar schwer zu verteidigen. Gerade mit Mölders seien die "Laufwege immer vertrauter". Der Kapitän legte ihm den Ball genau in den Lauf, Neudecker schoss freistehend ein.

"Sascha ist wie ein Rotwein", sagt Neudecker über den kongenialen Mölders

Gerade Mölders und Neudecker haben schon viel höherklassige Erfahrung gesammelt. Neudecker sagt über den 36-jährigen Führenden der Torschützenliste: "Sascha ist wie ein Rotwein." Soll heißen: Er wird mit zunehmendem Alter eher noch besser. Doch das wirft quasi automatisch die Frage auf: Wenn sich die Mannschaft permanent weiterentwickelt, wann ist denn dann eigentlich die zweite Liga erreicht? "Ich weiß nicht, wozu es am Ende reicht", sagt Neudecker, "wir wollen am Ende nicht die Lappen sein, die nur die großen Sprüche raushauen."

Zweitens spricht Neudecker viel vom Aufopferungswillen in der Mannschaft. Spielerische und kämpferische Stärke zu verbinden, das sei "eine absolute Stärke" des Teams, "das sieht man in der Form selten." Wenn er merke, dass er selbst mal nicht so im Spiel sei, dann könne man ja immer noch "trotzdem alle Löcher stopfen, und jeden Meter, der machbar ist, machen". Kurz: Neudeckers Stärken sind repräsentativ für die ganze Mannschaft.

Am Dienstag steht das nächste Heimspiel an, ein Traditionsmatch gegen das abstiegsbedrohte Kaiserslautern. Sollte Sechzig noch drei oder vier Siege holen, hätte Neudecker womöglich beides erreicht: zweite Liga und Heimat.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5280539
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/lein/and
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.