Kevin Volland hatte nur wenige, aber umso deutlichere Worte parat für das, was vorgefallen war: „Das war ein grottenschlechtes Spiel von uns allen“, schnaufte der 33-Jährige kurz nach Abpfiff: „Wir geben uns eigentlich nach der zehnten Minute auf, finden überhaupt nicht ins Spiel.“ Es reichte ein Blick auf die Ränge, um das Ausmaß dessen zu verstehen, was Volland da ansprach: Die Fans vom TSV 1860 München riss es schon eine Viertelstunde vor Spielende fluchtartig aus den Sitzschalen und raus aus dem Grünwalder Stadion. Etwas, das man in Giesing höchst selten zu Gesicht bekommt. Eine Flucht mit Signalcharakter. Viele standen wahrscheinlich schon auf der Rolltreppe zur U-Bahn-Station am Wettersteinplatz, als Hoffenheims Ben Opoku Labes das fünfte und letzte Mal einen Ball über die Torlinie der Sechziger kugeln ließ.
Nach der englischen Woche in Liga drei stehen die Löwen nun da wie begossene Pudel – und müssen sich die Frage gefallen lassen, wie sie in so kurzer Zeit so nass werden konnten. Der durchaus vielversprechende Saisonstart ist jedenfalls verpufft. Alle, die nach den ersten Spielen doch tatsächlich dachten, 1860 könne so etwas wie eine ruhige sportliche Spielzeit bevorstehen, wurden bereits in Rostock gewarnt. Und spätestens am Samstag in der Befürchtung bestätigt, dass die ewig traditionelle Unruhe endgültig wieder Einzug in Giesing gehalten hat.
„Wenn wir so auftreten wie heute, dann kannst du nicht erwarten, Punkte zu holen. So darfst du dich nicht präsentieren, Punkt“, kommentierte Löwen-Keeper Thomas Dähne das Spiel und fügte an, seine Mannschaft habe „richtig auf die Fresse bekommen“. Die herbe 1:5-Pleite der Löwen gegen den Aufsteiger TSG Hoffenheim II war nach der 1:2-Niederlage in Rostock unter der Woche das nächste Giesinger Frusterlebnis.

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„Wenn es so einfach wäre, dann würden wir es auf dem Platz anders machen“, stammelte Dähne angesprochen auf den krassen Leistungsabfall binnen einer Woche. Doch mit Blick auf das Spiel in Rostock sowie dem Totalausfall gegen Hoffenheim ist mit Erschrecken festzuhalten: Es ist mehr als einfach zu sehen, was momentan bei Sechzig falsch läuft.
Schon der Sieg gegen Aachen am dritten Spieltag kam in Überzahl und per spätem „Lucky Punch“ zustande, beim 3:2 gegen Aufsteiger Havelse verspielte man eine 2:0-Führung, gegen Stuttgart II erzwang man glanzlos ein spätes Remis – der Auftritt gegen die TSG war nun die Klimax eines spielerischen Verfalls, der sich seit Wochen angebahnt hatte.
Denn wie so oft in den vergangenen Wochen stolperte Sechzig gegen Hoffenheim einen Fußball zusammen, von dem selbst die besten Forensiker in München-Garching unter dem Mikroskop keinerlei Spurenelemente eines geordneten Aufbauspiels oder defensiver Stabilität entdeckt hätten. Beinahe jährlich grüßt das urplötzliche Abhandenkommen der Einsatzfreude einiger Sechzig-Spieler: In den Lücken, die in den vergangenen Wochen zwischen Münchner Abwehr und Gegnerspieler klaffen, hätte so mancher Wiesn-Schausteller problemlos seinen Wohnwagen einparken können.
Innenverteidiger Siemen Voet, der übrigens Champions-League-Spiele mit Bratislava gegen Mailand und Madrid in seiner Vita hat, präsentierte sich gegen die Hoffenheimer Reserve erneut in einer desolaten Form. Er ließ seine Gegenspieler mehrmals unbedrängt in die Mitte ziehen und verschuldete das zwischenzeitliche 0:2 durch einen katastrophalen Rückpass (45+1.). Voet war einer von vier Löwen, die zur Halbzeit in der Kabine blieben.
Kevin Volland schlug Alarm in Bezug auf die Einstellung seiner Mannschaft: „Uns fehlt zurzeit einfach die Energie, das Aufbäumen. Wir zerfallen viel zu einfach“, konstatierte der ehemalige Nationalstürmer. Volland, über dessen Fitnesszustand zu Saisonbeginn viel spekuliert worden war, lieferte höchstselbst ein eindrucksvolles Beispiel für diese Energielosigkeit: Ein Frustfoul in der 83. Minute – da stand es bereits 1:5 – brachte ihm Gelb ein, als er gegen einen Hoffenheimer nicht hinterherkam.
Münchner Schüsse gab es sogar mehrere in den ersten Spielminuten, jedoch ausschließlich Richtung Tribüne: Die Westkurve hatte zum Oktoberfest-Start eine Choreo des traditionellen „Altbayerischen Schweineschießens“ aufgefahren, inklusive passender, akustischer Untermalung der Münchner Fans.
Nach so einem Ergebnis könne man „nicht in Harmonie leben“, sagt Trainer Patrick Glöckner
Dagegen schafften es die Münchner nicht, innerhalb der ersten 45 Minuten auch nur einen einzigen Schuss in Richtung TSG-Tor abzugeben. Immerhin: Nach fast einer Stunde war es Florian Niederlechner, der dies nachholte, der eingewechselte David Philipp traf wenig später zum 1:4-Ehrentreffer.
In der Presserunde vor der Partie hatte Sechzig-Trainer Patrick Glöckner noch erklärt, wie eine Mannschaft, die aufsteigen wolle, spielen müsse: nicht immer spielerisch schön, sondern auch dreckig und kämpferisch. Nach dem Abpfiff am Samstagabend wirkten Glöckners Aussagen wie eine Karikatur seiner Prophezeiung: Der Spielwitz und die Kreativität fehlten vollends im Münchner Spiel, Hoffenheim kam ohne große Mühe zu Torchancen. Das Wort „Aufstieg“ verbietet sich nach den jüngsten Leistungen. Das Spiel solle für „die gesamte Saison eine Warnung sein“, mahnte Thomas Dähne.
Am kommenden Samstag geht ebenjene Saison im Erzgebirge weiter – Gegner Aue hat die vergangenen vier Spiele verloren und steht auf einem Abstiegsplatz. Dort müsse man dann ein „ganz anderes Gesicht zeigen“, so Dähne. Irgendwo dürfte jemand eine Münze ins Phrasenschwein geworfen haben. Angesprochen auf die Atmosphäre im Verein befand Patrick Glöckner: „Wir sind die Ersten, bei denen die Stimmung kippt. Sie muss auch ein Stück weit kippen.“ Nach so einem Ergebnis könne man „nicht in Harmonie leben“. Die gellenden Pfiffe im Grünwalder Stadion waren der passende Beleg.

