Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Heldengesänge auf den Ausbaufähigen

Die 1860-Anhänger feiern nach dem 3:0 gegen Zwickau den Efkan Bekiroglu. Aber auch zwei Talente zeigen, dass sie Sechzig weiterhelfen können.

Von Philipp Schneider

Der Mann, den nun viele sprechen wollten, lief den Korridor entlang, der im Grünwalder Stadion das Spielfeld mit dem Bereich bei den Umkleidekabinen verbindet. Ein gläserner Schlauch, der vom Tageslicht ins Kunstlicht führt und an dessen Ende es einige architektonische Besonderheiten zu bestaunen gibt: krumme Decken und Winkel, dazu eine exorbitant steile Treppe, auf der sich nur in gebückter Haltung herabsteigen lässt und die möglicherweise von einem sadistisch veranlagten Architekten mit Vorliebe für Kopfnüsse ersonnen wurde. Doch endlich kam er, eine gefühlte halbe Stunde nach Schlusspfiff.

Bekiroglu beherrscht schlaue Pässe: Er besitzt die nötige Übersicht - und eine gute Technik

Wenn sich den Geräuschen trauen ließ, die sich in diesen Minuten der Warterei durch den Korridor ins Innere verbreitet hatten, dann war der Mann, über den nun einige sprechen wollten, der Mann gewesen, den noch mehr Menschen besingen wollten. Zweifelsfrei ließ sich behaupten, dass er nach dem Spiel mindestens so beschäftigt gewesen war wie während dieses 3:0 gegen den FSV Zwickau, zu dem er die ersten zwei Tore beigetragen hatte. Und es ist ja so: Wen die Fans des Drittligisten TSV 1860 München besingen, ob nun Gebhart, Lauth oder Kiraly, das überlegen sie sich gründlich. Die hymnische Huldigung ist ein Privileg, das nur die beliebtesten unter den allerliebsten Lieblingslöwen erfahren. Gut also, wenn sich sein Name dann auch noch gesanglich in drei Teile zersägen lässt. Beeee! Kiiii! Roglu!

Irre toll sei diese Erfahrung gewesen, erzählte nun Efkan Bekiroglu. Schon nach seiner Auswechslung für Timo Gebhart kurz vor Schluss hatten ihn die Zuschauer mit stehenden Ovationen bedacht, das hatte Bekiroglu natürlich ebenfalls mitbekommen. Gänsehaut habe er gehabt. "Es ist toll, wenn man als Münchner Junge so gefeiert wird", sagte er. Geboren in Dachau, spielte Bekiroglu, 23, danach für viele Klubs, die das Münchner Umland so hergibt für einen talentierten Mittelfeldspieler wie ihn: SC Fürstenfeldbruck, FC Phönix München, FC Unterföhring, FC Augsburg II. Seit 2018 spielt er für Sechzigs Drittligamannschaft. Und seit Mittwochabend wird er dort auch besungen.

Am Mittwochabend zog ihn Trainer Daniel Bierofka weit nach vorne, überließ ihm sehr viel Freiheiten in der Spieleröffnung. Bekiroglu gehört zu einer Spielergattung, die in der dritten Liga selten ist: Er beherrscht den schlauen Pass. Er besitzt die nötige Übersicht, die gleichwohl allein nichts wert wäre, verfügte er nicht zusätzlich über eine ansehnliche Technik. Die half ihm auch bei seinem filigranen Freistoß, als er in der 33. Minute mit sehr viel Gefühl aus dem Innenrist den Ball um die zwei Drei-Mann-Reihen der Zwickauer herum in den Winkel fliegen ließ. Daniel Bierofka war gleichwohl daran gelegen, einen kleinen Kontrapunkt zum Heldengesang zu setzen, er bewertete Bekiroglus Leistung recht nüchtern. "Offensiv sehr gut, defensiv ausbaufähig", habe er gespielt.

So richtig gut hatte nicht nur dem Trainer, sondern allen Beobachtern, die Leistung von Aaron Berzel gefallen. Der Innenverteidiger hatte den gesperrten Kapitän Felix Weber ersetzt und sich in der einen oder anderen Situation als Ausputzer verdient gemacht. "Heute hat man gesehen, weshalb ich ihn unbedingt zurückhaben wollte", sagte Bierofka. Finanziert worden war Berzels Rückkehr bekanntlich nur dank eines finanziellen Zusammenschlusses privater Gönner, die weiterhin gerne anonym bleiben wollen.

Der erste Sieg im dritten Spiel zeigt ganz gut die strategischen Möglichkeiten der Löwen auf

Ansonsten zeigte der erste Sieg im dritten Spiel der Saison ganz gut die strategischen Möglichkeiten auf, die den Löwen trotz des ausgerufenen Konsolidierungsjahrs bleiben: Bierofka wird in dieser Saison verstärkt auf junge Spieler setzen, deren Potenzial jetzt schon ersichtlich ist. Der 20-jährige Dennis Dressel vor der Abwehrkette ist so ein Spieler, auch die eingewechselten Fabian Greilinger und Leon Klassen. Greilinger hatte in der Partie gegen Braunschweig schon so ordentlich gespielt, dass es gegen Zwickau verwunderte, dass ihn Bierofka pausieren ließ. Und Klassen, dessen riesiges Talent nach seinem Wechsel 2017 vom 1. FC Köln in Sechzigs A-Jugend offensichtlich wurde, gelang nun gleich in seinem Debüt für die Profimannschaft die Vorlage zum 3:0 Endstand. Zwei Minuten nach seiner Einwechslung steckte er den Ball clever durch zu Herbert Paul.

19 Jahre alt ist Klassen. Wenn er in diesem Tempo weitermacht, dann bietet sich im Konsolidierungsjahr für Spieler wie ihn und Greilinger, der erst 18 ist, ein neuer Begriff an: Sie sind Konsolidierungslöwen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4548866
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.