TSV 1860 MünchenIsmaik wirft den falschen Hasen aus dem Auto

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Immer eine gute Idee: Hasan Ismaik.
Immer eine gute Idee: Hasan Ismaik. (Foto: Ulrich Wagner/Imago)

Der Investor von 1860 knüpft die Gewährung eines Darlehens nicht länger an die Bestellung von Anton Hiltmair zum Geschäftsführer. Der Kandidat sieht damit seine Chancen auf den Job steigen. 50+1-Fans befürchten, dass es in Wahrheit um etwas ganz anderes geht.

Von Philipp Schneider

Das Alleinstellungsmerkmal des wunderbaren Fußball-Drittligisten TSV 1860 München ist nicht etwa das Stadion an der Grünwalder Straße in Giesing. Auch andere Klubs bespielen stimmungsvolle Betonschüsseln, die mitten in der Stadt zwischen Zapfanlagen gelegen sind. Das Besondere an Sechzig sind die unterhaltsamen Intrigen und Ränke, die nirgendwo sonst so ausdauernd das große Kino streifen.

Seit nunmehr 13 Jahren, seit dem finanziellen Einstieg des Jordaniers Hasan Ismaik, streiten die Gesellschafter bei 1860 wie in dem beliebten Kopf-ab-Dramolett „Game of Thrones“ um ihren Einfluss auf den jeweiligen Geschäftsführer. Im Grunde muss dieser daher im Wochentakt erneuert werden. Die Ausnahme bildete jene friedliche Phase unter dem devoten Präsidenten Peter Cassalette, der sich so hingebungsvoll vor Ismaik in den Staub warf.

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Wer nun die neueste Volte um die Berufung oder Nichtberufung von Anton Hiltmair zu Sechzigs Finanzgeschäftsführer begreifen will, dem sei eine Schlüsselszene aus dem Film „The Big Lebowski“ von den Brüdern Coen empfohlen. Jene, in der der ehemalige Vietnam-Veteran Walter Sobchak bei einer vermeintlichen Lösegeldübergabe statt eines Koffers voll Geld einen Koffer mit schmutziger Unterwäsche aus dem Fahrerfenster wirft: den sogenannten „falschen Hasen“. Der Hase soll von dem ablenken, worum es Sobchak eigentlich geht: davonzukommen mit der ganz fetten Beute!

Der falsche Hase, den Hasan Ismaik am Freitag aus dem Auto warf, das ist Anton Hiltmair. Der nämlich muss plötzlich doch nicht mehr ganz dringend Geschäftsführer werden. In einer Pressemitteilung, die am Vormittag das Präsidium des 1860 e.V., also des Stammvereins, verschickte, heißt es: „In Gesprächen mit Vertretern von HAM International (Ismaiks Firma, d. Red.) wurde nunmehr vereinbart, die Personalie des Geschäftsführers Finanzen nicht weiter, wie ursprünglich von dem Darlehensgeber zwingend gefordert, in der Darlehensvereinbarung zu verankern.“

Kein Wort war also zu hören von der Beute, mit der davonzukommen Ismaik nun weiter hoffen darf: jener Klausel, wonach die Besetzung des Geschäftsführerpostens zukünftig nur einvernehmlich durch die e.V.-Vertreter und die Investorenseite möglich ist, solange die über eine gemeinsame KGaA betriebene Fußballfirma auf die entsprechenden Darlehen angewiesen ist (also womöglich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag). Geht es nach Ismaik und auch dem Präsidium, kann also kein Geschäftsführer mehr vom Stammverein mittels 50+1 eingesetzt werden – was aber in der jahrelangen Game-of-Thrones-Phase bei Sechzig eher die Regel als die Ausnahme war.

Der Verwaltungsrat des e.V. hatte die Berufung Hiltmairs zuletzt abgelehnt. Nicht wegen Hiltmair an sich, dem Gründer von „Wohnen & Gut Leben“, einer Firma zur Verrentung von Immobilien. Um Hiltmair war es auch den Verwaltungsräten in Wahrheit nie gegangen: weil sie ihn schon als falschen Hasen identifiziert hatten, bevor ihn Ismaik überhaupt aus dem Fenster warf. Auch die Räte hatten von Anbeginn an den wahrhaftigen Hasen im Blick: die Klausel – und deren Ablehnung. Über diese dürfen sie allerdings, anders als über die Bestellung des Geschäftsführers, laut Satzung nicht entscheiden. Nicht zufällig wurden sie am Freitag über ihren beschränkten Einfluss in der Mitteilung des Präsidiums informiert. „Der Verwaltungsrat darf sich nicht in den operativen Bereich einmischen“, heißt es, denn: „Der Verwaltungsrat ist kein ‚Kabinett‘ einer ‚Regierung‘.“ Er dürfe daher nicht „die Linie vorgeben“.

„Jetzt bin ich nicht mehr Teil einer Forderung, beide Seiten können mich ohne Hintergedanken beurteilen – somit scheint das Problem um meine Person gelöst“, sagt Hiltmair

Sechzig wäre nicht Sechzig, erhielte der ohnehin komplizierte Fall nicht noch einen Schwenk zum Irren. Anton Hiltmair freut sich sogar darüber, dass ihn die HAM-Seite nicht mehr als Bedingung in einem Darlehensvertrag fordert. Die Logik: Wenn ihn keiner mehr will, steigert das die Wahrscheinlichkeit, dass er den Job erhält! „Ich wollte ja nie ein HAM-Kandidat sein, sondern ein Kandidat für alle“, sagt Hiltmair auf SZ-Anfrage. „Jetzt bin ich nicht mehr Teil einer Forderung, beide Seiten können mich ohne Hintergedanken beurteilen – somit scheint das Problem um meine Person gelöst.“

Ursprünglich hat sich das Präsidium des e.V. auf den Deal mit Ismaik offenkundig aus einem Grund eingelassen: Es ging Robert Reisinger sowie seinen Vizes Karl-Christian Bay und Norbert Steppe darum, sich aus der Haftung für eine mögliche Insolvenz zu nehmen. Für die Fortexistenz der Fußballfirma benötigte Sechzig Ende Oktober mal wieder Ismaiks Geld. Der Jordanier und seine Anwälte kamen erstmals seit 13 Jahren Game of Thrones auf die an sich naheliegende Idee, die Überweisung an die dezidiert ausformulierte Bedingung zu knüpfen, dass Sechzig fortan in der Frage der Bestellung und/oder Abberufung des Geschäftsführers auf Exekution von 50+1 verzichtet. Theoretisch kann der e.V. dieses immer noch tun. Aber die Verantwortlichen beschwören dann die sofortige Fälligstellung der Darlehen durch Ismaik herauf – was wiederum eine Insolvenz zur Folge hätte. Der Unterschied: Die Zahlungsunfähigkeit hätte dann nicht das Präsidium Reisinger verursacht, sondern dessen Nachfolger, die 50+1 exekutieren.

Kritiker des Deals sehen in den jüngsten Ereignissen einen tieftraurigen Tag für Sechzig und für 50+1. Und einen Tag, an dem sich das Präsidium vollständig vom Interesse seiner Mitglieder distanzierte: Denn hatten diese nicht auf der vergangenen Mitgliederversammlung ausschließlich 50+1-Ultras in den Verwaltungsrat gewählt, deren Einwände nicht gehört werden vom Präsidium?

Unklar ist, wie es nun weitergeht. Beide Gesellschafter seien sich einig, heißt es in der Mitteilung, dass Sechzig einen „fachlich geeigneten Finanzexperten“ benötigt. Mit der Nachbesetzung sei der Beirat betraut, in den beide Gesellschafter zwei Vertreter entsenden. Man darf gespannt sein, ob Hiltmair recht behält. Oder der Verwaltungsrat bald den nächsten Hasen ablehnt – damit Ismaik nicht mit fetter Beute davonkommt.

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