Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Gierig wie halbverhungerte Hyänen

  • Zwölf Jahre nach dem letzten Pflichtspiel einer ersten Mannschaft des TSV 1860 München im Grünwalder Stadion gewinnen die Löwen 3:1 gegen Burghausen.
  • Die drei erfahrensten Spieler erzielen die Tore - in der Westkurve singen die Fans längst vergessene Lieder

Aus dem Stadion von Philipp Schneider

Schön zu sehen, dass der Löwe auch in der unwirtlichen Steppenlandschaft der Regionalliga jenes gesellige Tier geblieben ist, als das ihn selbst die Elefanten des Profifußballs schätzen gelernt haben. In dichten Trauben versammelten sich die Fans des TSV 1860 München am Freitagabend vor dem Anpfiff, anstatt sich wie die Vögel über Giesings Höhen zu verteilen. An der Ecke Grünwalder Straße, Candidstraße drängten sie sich vor dem Biergarten Wienerwald so dicht, als sei dieser das einzige Wasserloch auf einem Quadratkilometer Fläche. Überall parkten Busse und heraus stiegen Löwen mit den Trikots ihrer alten Helden. Holebas, Cerny, Häßler. Als wäre die Zeit stehen geblieben vor diesem 3:1 (0:1) gegen Wacker Burghausen, das ja die Rückkehr von Sechzigs erster Mannschaft ins Grünwalder Stadion nach zwölf Jahren Abstinenz markierte.

Innen im Rund rief der Stadionsprecher Stefan Schneider immer wieder die Frage, ob denn alle zuhause seien. "Ist jemand in der Stehhalle zuhause?!" Die Betonung lag natürlich auf zuhause. Also riefen die Fans in der Stehhalle: "Jaaaaa!" Schneider war überhaupt sehr witzig aufgelegt. Er habe doch neulich jemanden brüllen gehört, 1860 würde "to the top" gehen, sagte Schneider in Anspielung auf den ambitionierten Trainer Vitor Pereira, der 1860 mit seiner Idee von Kurzpassspiel aus der zweiten Liga entfernt hatte. "Vielleicht war damit ja der Giesinger Berg gemeint?"

Alles blieb friedlich

Auf dem Berg jedenfalls blieb alles friedlich. Am Vorabend hatten die Ultras der "Münchner Löwen" eine Art Verhaltenskodex veröffentlicht. Mit der Rückkehr nach Giesing gehe ein "fast schon nicht mehr für möglich gehaltener Traum in Erfüllung", hieß es darin. Anders als in Fröttmaning, hatten die Ultras erkannt, leben rund um das Grünwalder Stadion allerdings "100 000 Einwohner, die das Wirken, Auftreten und Verhalten von uns Fans mitbekommen werden". Also wurden die Ultras wunderbar konkret: "Wir vermüllen unser Viertel nicht mit Flaschen, Pizzakartons oder Verpackungsmaterial von Fastfood-imbissen! Wir zerdeppern keine Glasflaschen, kleben keine Aufkleber auf Privateigentum und biesln nicht in Hauseinfahrten oder an Gartenzäune!"

Gut, gebieslt wurde natürlich trotzdem hier und da, was möglicherweise die Freude der 100 000 Einwohner ein wenig trübte. Nicht aber die Freude derer, die gekommen waren, um zum ersten Mal seit dem 22. Mai 2005 die erste Mannschaft des TSV 1860 in Giesing spielen sehen wollten. Vor dem Anpfiff zündeten Chaoten Böller hinter der Stehhalle, ansonsten gab es den ganzen Abend Volksfeststimmung und eine Choreografie in der Westkurve: "Willkommen am Ort der sportlichen Erfolge!!!", stand auf einem Transparent. Diesem Ort blieb Investor Hasan Ismaik fern. Dafür saß, im weißen Hemd mit blauen Hosenträgern, in der ersten Reihe: Gerhard Mey. Der Münchner Milliardär, der gerne einsteigen würde als Investor bei 1860.

Daniel Bierofka nahm gegenüber dem 4:1 in Memmingen eine Änderung vor. Als Rechtsverteidiger spielte Eric Weeger anstelle von Kilian Jakob. Ansonsten hat er seine Wunschformation wohl schon gefunden. Seine Mannschaft ist ja auch eine zum Liebhaben. Die Flügelzange mit Benjamin Kindsvater und Nico Karger ist sozusagen das Pendant zu Robben und Ribéry in ihren Glanzzeiten. (Bloß halt in der Regionalliga). Zwischen ihnen lungert der irre motivierte Sascha Mölders. Und bedient werden sie mit Pässen aus dem nach wie vor sehr feinen Fuß von Timo Gebhart, 28.

Wie es halt so ist bei den großen Premieren: Es klappt nicht immer alles auf Anhieb, schon gar nicht die Abstimmungen und Abläufe. Und dann muss der Souffleur eingreifen, der bei 1860 Bierofka heißt und schreit anstelle zu flüstern. Sechzig war von Beginn an zwar überlegen, aber Burghausen ging knallhart in die Zweikämpfe, um dem beabsichtigten schönen Spiel seinen Fluss zu nehmen.

Die Alten haben es gerichtet

Die erste Chance hatte Burghausen: Muhamed Subasic trat einen Freistoß, den viele für eine Flanke hielten, dann klatschte der Ball gegen die Latte. Im Gegenzug probierte es Gebhart mit einem Schuss aus 30 Metern. Nach einer Weile passten sich Christian Köppel und Gebhart sehenswert durch den gegnerischen Strafraum, aber der Abschluss geriet dürftig. In der Westkurve war gerade der Spruch "Egal ob Schauer oder Gewitter. Wir lassen dich nicht im Regen stehen. Durchhalten!" ausgepackt worden, da hatten die Fans einen Anlass, diese löbliche Haltung zu beweisen: Ein kollektiver Seufzer wurde in Giesings Lüfte gehaucht, nachdem Tobias Janietz das Durcheinander in Sechzigs Deckung genutzt hatte: 0:1 (33.). 1860 benötigte ein paar Minuten, um sich zu sammeln, vor der Pause prüfte Gebhart Burghausens Schlussmann Flückiger immerhin mit einem strammen Freistoß. Flückinger musste sich strecken. Arg strecken.

0:1 zur Pause? Nicht mit Bierofka.

Gierig wie halbverhungerte Hyänen kehrten die Löwen zurück. Nach einer Flanke von Daniel Wein flog von hinten Jan Mauersberger heran, der den Ball mit dem Kopf zum Ausgleich ins Netz wuchtete (49.). Zwölf Minuten später traf der sträflich ungedeckte Gebhart nach einem Eckball per Kopf: 2:1 (61.). Der Rest war dann nur noch Schaulaufen. Sechzig rannte das gegnerische Tor an, als sei Burghausen Kreisligist. Nach 78 Minuten wurde Gebhart vom Feld gerufen, die Fans feierten ihn mit Stehenden Ovationen. Sechs Minuten vor Schluss schlenzte Mölders nach Querpass von Nicholas Helmbrecht auch noch den Ball ins Tor zum 3:1-Endstand.

Mauersberger, Gebhart, Mölders. Die Alten haben es gerichtet am Tag der Rückkehr ins ehrwürdige Stadion von 1911. "Sie sind unsere Achse. Deshalb haben wir sie geholt", lobte Bierofka. Das Spiel war lange aus, da sangen die Fans in der Westkurve noch längst vergessene Lieder: "Oh, wie ist das schön". Und dann war die Rückkehr von 1860 München ins Grünwalder Stadion Geschichte. Eine herrliche Geschichte.

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Quelle:
SZ vom 22.07.2017
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