TSV 1860 München:Filmreifer Abschied in fünf Akten

Der entlassene 1860-Geschäftsführer Ziffzer räumt sein Büro, viele Fans schimpfen auf Präsident Linde, Sponsoren sind in Sorge.

Am Ende der filmreifen Abschiedsinszenierung erschien der gestürzte Hauptdarsteller im Kostüm des Feindes. Stefan Ziffzer, seit Dienstag offiziell entlassener Geschäftsführer von 1860 München, verließ mit einem hellblauen Löwen-Schal den Fanshop und er hängte sich das symbolische Requisit um den Hals - so, wie es sein interner Gegenspieler, Präsident Albrecht von Linde, bei jeder Gelegenheit tut.

TSV 1860 München: Was machen Löwen-Präsident Albrecht von Linde (links) und sein Vize Karsten Wettberg nach der Entlassung des Geschäftsführers?

Was machen Löwen-Präsident Albrecht von Linde (links) und sein Vize Karsten Wettberg nach der Entlassung des Geschäftsführers?

(Foto: Foto: dpa)

Samt Schal ging Ziffzer zum Parkplatz, es war 11.41 Uhr, und erneut bedrängten ihn Trauben von Reportern und Schaulustigen. Ingesamt gab Ziffzer im Laufe des Vormittags auf diese Weise fünf Kurzpressekonferenzen, und während jedes Aktes präsentierte er den Zuhörern die ihm eigene rhetorische Melange aus frontaler Direktheit und ironisch-doppelbödigen Bonmots: "Mir geht es gut", versicherte er, "ich habe seit sechs Monaten, mit Verlaub, vor mich hingekotzt, weil ich unter diesem Präsidenten nie so agieren konnte, wie ich es für 1860 gerne getan hätte. Das ist seit Sonntag vorbei." Zwischen den Zeilen jedoch versteckte Ziffzer die Botschaft, dass er die Machtprobe beim Fußball-Zweitligisten nicht final verloren gibt: "Ob das letzte Wort gesprochen ist, wird man sehen."

Linde geht kommentarlos

Die objektive Nachrichtenlage blieb bis Dienstagabend dünn, das Getöse rund um Ziffzers mutmaßlich letzten Arbeitstag war umso lauter. In knappen Worten meldete die Pressestelle, Sportmanager Stefan Reuter amtiere vorläufig als Alleingeschäftsführer, kaufmännisch unterstützt von Markus Kern, 34, dem von Ziffzer geholten Finanzcontroller des Vereins, der im Amt bleiben soll. Linde, am Sonntag von Ziffzer öffentlich brüskiert ("Sie sind eine Schande"; "Der Fisch stinkt vom Kopf"), fuhr kurz vor elf Uhr in Begleitung eines Anwalts zur Geschäftsstelle, um dem Finanzchef den Kündigungsbrief zu überreichen.

Auch beide Vizepräsidenten gaben dazu ihr Plazet. Franz Maget, der mit einer SPD-Landtagsdelegation in den USA weilt, teilte über die Pressestelle seiner Partei mit, Ziffzers "inakzeptable Äußerungen" seien "in dieser beleidigenden Form im deutschen Profifußball einmalig" - und "weder in Form noch Inhalt hinnehmbar".

Linde hatte in Interviews bereits einen "tiefblauen Finanzfachmann" als Ziffzer-Nachfolger annonciert. Am Dienstag sagte er, an den Journalisten stramm vorbeieilend, nur zwei Worte: "Kein Kommentar." Auskunftsfreudiger war Ziffzer, der nach Monaten des Stillhaltens für die Staatsräson nun die Ventile öffnete. Er ließ keinen Zweifel daran, dass ihm die Zeit mit Linde eine Folter war: "Der Präsident hatte immer im Kopf, mich abzuschießen, er hat vom ersten Tag an den großen Max markiert und uns in der Tat wie Kellner behandelt. Es gab eineinhalb Jahre eine Nicht-Zusammenarbeit."

Vereinsaustritt aus Solidarität - nach 48 Jahren

Ziffzer selbst machte es den Menschen oft nicht leicht, ihn herzlich zu mögen. Der scharfsinnige Diplom-Ökonom gehört zur Spezies der "klugen Schwierigen", die Narren, derer viele sie um sich wähnen, selten nett ertragen und auf Diplomatie pfeifen, wenn sie für eine Sache wie 1860 mit Leidenschaft streiten. Das verkomplizierte zuletzt die Betriebsfronten, denn es gibt durchaus wichtige Leute im Zirkel des TSV 1860, die Präsident Linde für eine Fehlbesetzung halten - ihm aber bisher nie in den Rücken fielen, weil auch ihr Verhältnis zu Ziffzer nicht von Zuneigung geprägt war. Zu Beginn eines DSF-Doppelinterviews am Dienstagabend bestätigte Ziffzer, dass er mit Vizepräsident Wettberg "weitaus weniger Differenzen" hatte als mit Linde.

Zahlreiche Ziffzer-Sympathisanten reagierten wütend auf die Eskalation. Zwar tauchten am Dienstag auch Fans am Gelände auf, die auf den Finanzboss schimpften, denn bei einigen Löwen-Traditionalisten galt Ziffzer als Sachwalter des Großkapitals, der beim Stadion-Verkauf mit dem bösen FC Bayern Geschäfte trieb. Und natürlich grummelten auch Zaungäste, dass die sportliche Leistung von 1860 in der Rückrunde miserabel war und dafür das Management haften müsse.

Doch die Mehrheit der rund 100 Pilgerer war gekommen, um Ziffzer Beistand zu geben. Linde empfingen laute "Buh-" und "Hau-ab"-Rufe, einer brüllte sich vor laufenden Kameras in Rage: "Der Einzige, der hier professionelle Arbeit leistet, wird von Profilneurotikern vom Hof gejagt. Dem Präsidenten geht es nur um seine Eitelkeit." Eine ältere Frau teilte Ziffzer solidarisch ihren Vereinsaustritt mit - "nach 48 Jahren".

Filmreifer Abschied in fünf Akten

Wie sehr der Fall Ziffzer 1860 spaltet, zeigen die Leserbriefe und E-Mails, die die Redaktionen erreichen. Von Teilen der Löwenfans wurde Ziffzer nie geliebt, trotzdem erhält er für seine fachlichen Leistungen im früheren Fastpleiteklub 1860 nun mehrheitlich Anerkennung, der Vip-Raum applaudierte ihm nach seiner Linde-Schelte am Sonntag. Die Fangemeinschaft Arge, in der die meisten Mitglieder organisiert sind, stützt im Gegensatz zur Präsidiums-nahen Gruppe Pro1860 die Geschäftsführung: "Unsere überwältigende Mehrheit sieht den Sachverhalt wie Ziffzer. Der Präsident ist (...) seiner wichtigen Aufgabe nicht im Geringsten gewachsen, beginnend bei den versprochenen Millionen bis zum jüngsten unterlassenen Beistand für Reuter. (...) Ziffzer kann Erfolge vorweisen, dies kann man vom Präsidenten nicht behaupten Sollte jemand seinen Hut nehmen müssen, dann nicht Ziffzer und Reuter", heißt es in einer Arge-Erklärung.

Andere Fans kündigten Stadionabos, der Betriebsrat des Klubs soll besorgt sein, und 1966-Meisterlöwe Fredi Heiß erneuerte seine flehentliche Bitte, dass "Linde uns endlich den Gefallen tun soll, zurückzutreten." Mehrere Sponsoren bekunden ebenfalls ihren Unmut über Ziffzers Aus. Trikotpartner Trenkwalder gibt am Mittwoch eine Pressekonferenz und will sich dort erklären, von Premium-Sponsor Hacker-Pschorr verlautete, man habe die "sehr professionelle Zusammenarbeit mit Ziffzer" geschätzt und beobachte "die Entwicklung genau". Linde kommentierte diese Dinge in der Presse gelassen, Wettberg sagte am Abend im DSF: Dass 1860 wegen eventuell abspringender Sponsoren vor dem Konkurs stehe, "das kann man vergessen".

Eine Million Eigenkapital nötig

Ziffzer war es ein Anliegen, nochmals die wichtigsten Eckdaten der Finanzsituation des Vereins der Presse mitzuteilen, bevor "ab morgen die Legendenbildung beginnt". Er nannte unter anderem: "Vier Millionen Euro Kreditlinien, die wir bisher nicht in Anspruch nehmen mussten; Guthaben bei den Banken: 1,2 Millionen; aktuelle Darlehensverpflichtungen: 3,6 Millionen; Etatabschluss dieser Saison: null bis minus 100 000".

Ziffzer betonte auf Nachfrage, jene vier Millionen Kreditlinie hätte man im Winter keinesfalls in neue Spieler investieren können: "100000 Euro weniger - und wir hätten keine Lizenz gekriegt." Alle Personalentscheidungen in der Winterpause, auch die inzwischen kritisch diskutierten Vertragsverlängerungen mit vielen eigenen Spielern, würde er "nochmal genauso treffen - und damals haben auch alle diese Entscheidungen begrüßt."

Bis Jahresende 2008, teilte Ziffzer mit, müsse man qua Lizenzauflage der DFL "minimum eine Million Euro Eigenkapital" beschaffen. "Aber jetzt, wo ich als Bremsklotz und angeblicher Bösewicht weg bin, ist der Präsident ja frei in der Entfaltung seiner ungeahnten Möglichkeiten. Ich würde mich ehrlich für 1860 freuen, wenn ab morgen das Konto überquillt und die Millionen kommen. Und wenn es so ist, wie Linde sagt, dass mehr Sponsoren kommen als gehen, wenn ich weg bin - dann wäre das ja ein Segen." Jedes seiner Worte wollte sagen: Ich fürchte, Freunde, es kommt anders!

Und dann noch: "Alles Gute"

Während Ziffzer eine große Cleopatra-Holzfigur aus seinem Büro räumte, gab er dem Verein noch die folgende Hinterlassenschaft: "1860 muss endlich weg von Vereinsmeierei und Sentimentalitäten, um im Profifußballbetrieb eine Chance zu haben. Wer Kapital aus der Wirtschaft will, muss ein verlässliches Personalkonzept haben - oder den Investoren Kontrollrechte geben. Und er muss konsequent Einigkeit demonstrieren."

Bleibt es beim Rauswurf, droht Ziffzer jedoch mit dem Gang zum Arbeitsgericht: "Es gäbe 96 Gründe, die gegen meine fristlose Kündigung sprechen, dann kämen öffentlich alle Dinge zur Sprache, die hier eineinhalb Jahre abgelaufen sind." Dann stieg Ziffzer in den Dienst-Audi mit Löwen-Wappen, den er auf Wunsch des Sponsors behalten soll. Und er sagte: "Alles Gute".

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