TSV 1860 München:Giftmischer gesucht

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Wieder nicht Gelb-Rot: Jesper Verlaat (links hinten) vom TSV 1860 ist aufgebracht, dass die Aktion von Moussa Doumbouya (rechts auf dem Boden liegend) gegen Torwart Marco Hiller nicht als Foul gewertet wird. (Foto: Heike Feiner/Eibner/Imago)

Beim 1:2 im Spitzenspiel gegen Ingolstadt beschweren sich die Löwen über die Gangart des Gegners und die Auslegungen des Schiedsrichters. Das Gezeter kann aber nicht kaschieren, dass sie zurzeit ziemlich harmlos daherkommen.

Von Christoph Leischwitz

So ist das ja oft zu hören beim TSV 1860 München: "Schon allein, wenn wir mit dem Bus hierherfahren, und die Fans stehen vor dem Stadion - das entfacht was", sagte der Trainer. Er habe seine Jungs in der Kabine sogar "eher bremsen" müssen, so motiviert seien sie gewesen. Der Unterschied zu sonst: Diesmal sagte das nicht Michael Köllner, sondern Rüdiger Rehm vom FC Ingolstadt. "Man muss die Atmosphäre aufsaugen", fand Rehm, solch ein Spiel sei doch der Grund, warum man Fußballer geworden sei. Mit anderen Worten: Die berüchtigte Atmosphäre im Grünwalder Stadion kann von einer selbstbewussten Mannschaft auch gegen die Sechziger verwendet werden. Und so setzte es für 1860 München, ehedem Tabellenführer der dritten Fußball-Liga, nach fünf verdienten Heimsiegen eine verdiente 1:2 (0:1)-Niederlage.

Wie schon während des Spiels entlud sich nach dem Schlusspfiff die Anspannung in zahllosen Wortgefechten. Die Niederlage ist für Sechzig aus mehreren Gründen frustrierend. Erstens entwickeln sich die Schanzer mit Blick auf das Saisonfinale 2020/21 zu einem Angstgegner. Zweitens empfinden die Löwen die Ingolstädter als eine sehr sterile Variante eines Fußballvereins, als Sponsorenklub ohne Fankultur. Sechzigs Trainer Michael Köllner hatte die zuletzt nicht ganz so guten Leistungen damit wegmoderiert, dass man sich zumindest kämpferisch gut verkauft habe. Doch ausgerechnet Ingolstadt hatte den Löwen nun auch noch den Schneid abgekauft, und in der Tabelle sind die Top-Teams wieder näher zusammengerückt.

Der Schiedsrichter habe sich "nicht beeindrucken lassen", lobt Rehm

Die Bereitschaft zur Eskalation war den Gästen permanent anzumerken. Vom ersten, möglicherweise schon rotwürdigen Foul von David Kopacz an Fabian Greilinger (9.) bis zu der Szene nach dem 2:0 in der 88. Minute durch den eingewechselten Patrick Schmidt, das er süffisant und gestenreich vor der weiß-blauen Fankurve feierte. "Ist vielleicht so seine Art", sagte Sechzigs Torwart Marcel Hiller über den Torschützen. Da schwang Frust mit, zumal sich die Ingolstädter "scheiße aufgeführt" hätten und sich über Schiedsrichterentscheidungen nicht hätten beschweren können.

Mitentscheidend war es schon, dass der Schiedsrichter sowohl Kopacz als auch Moussa Doumbouya nach gelber Karte und nach jeweils einem weiteren rüden Einsteigen nicht vom Feld schickte. Sechzigs Trainer Köllner sprach später davon, der Unparteiische habe Ingolstadt "zweimal am Leben gehalten". Beide Spieler wurden lediglich ermahnt, als das Stadion lauthals Platzverweise forderte (27., 54.), beide konnten aber nach den Ermahnungen umgehend von Rehm ausgewechselt werden. Der FCI-Trainer übrigens fand den Schiedsrichter fast so gut wie seine Mannschaft. Denn auch dieser habe sich "nicht beeindrucken lassen von der Kulisse". Was allerdings auch einmal zu einer äußerst fragwürdigen Entscheidung führte: Als Doumbouya ausgewechselt wurde, schickte Benjamin Brand den 24-jährigen Angreifer auf der Gegengeradenseite vom Feld. Dort war Doumbouya tausendfacher Beschimpfung ausgesetzt - es war ein weiterer Eskalationsmoment.

Vor seinem Sonntagsschuss holt Costly mit Zweikampfhärte einen Eckball heraus

Das Gezeter in Richtung Gegner konnte aber auch im Nachgang nicht kaschieren, dass die Sechziger zurzeit ziemlich harmlos daherkommen, in einer Phase der Saison, in der vermeintlich starke Gegner warten. "Wir haben zu langsam Fußball gespielt", befand Köllner, die gegnerische Abwehr habe vor allem in der ersten Halbzeit immer wieder in bester Ordnung reagieren können. Wie schon beim 1:1 in Dortmund eine Woche zuvor war seine Elf vor allem bei Standards gefährlich, aus dem Spiel heraus passierte wenig. "Auf den letzten 20 Metern", also in der Nähe des gegnerischen Tores, sei das einfach zu wenig gewesen, so Köllner. Hinzu kommt, dass die Schüsse aus der Distanz zurzeit nicht aufs Tor kommen, meistens ist es nicht einmal knapp. Das 0:1 durch den Verteidiger Marcel Costly (15.), ja mei, das sei halt ein Sonntagsschuss gewesen. Dass Costly zuvor Martin Kobylanski düpiert hatte und wiederum davor mit Zweikampfhärte gegen zwei Gegner einen Eckball herausgeholt hatte, blieb unerwähnt.

Nach dem überraschenden Aus im Toto-Pokal in Illertissen wie auch nach dem Remis in Dortmund hatte Köllner versprochen, dass die Mannschaft beim nächsten Mal "ein anderes Gesicht" zeigen würde. Tat sie aber nicht, jetzt auch nicht einmal mehr kämpferisch. "Wir waren in zwingenden Situationen vielleicht nicht ganz so giftig", analysierte Yannick Deichmann, der selbst eigentlich ein guter Giftmischer ist. Fest steht: Bis zum Auswärtsspiel am kommenden Samstag beim VfL Osnabrück ist Chemieunterricht angesagt.

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