TSV 1860 MünchenVorkehrungen mit eskalierender Wirkung

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Jüngste Entgleisung: Fans verschmieren eine ICE-Toilette.
Jüngste Entgleisung: Fans verschmieren eine ICE-Toilette. (Foto: Bundespolizei/oh)

Geraten die Randale der 1860-Fans außer Kontrolle? Es passiert tatsächlich mehr als sonst, wenngleich selten direkt im Stadion; noch stärker aber steigt die Zahl der Berichte über diese Vorfälle an.

Von Christoph Leischwitz

In erster Linie geht es für den TSV 1860 München am Samstag gegen Energie Cottbus (14 Uhr, Grünwalder Stadion) um Punkte gegen den Abstieg. Doch im Umfeld steht für den Veranstalter, für die Polizei, für Sicherheitskräfte und szenekundige Fanprojekte wieder ein langer Arbeitstag an, denn die Partie trägt das Etikett „Risikospiel“. In den vergangenen Monaten konnte gerade bei vielen Drittliga-Spielen tatsächlich der Eindruck entstehen, dass erhöhte Sicherheitsvorkehrungen bitter nötig sind. Auch Sechzig-Fans standen im Laufe der Saison mehrmals im Fokus, vor allem bei Auswärtsspielen.

Der Verein möchte sich auf Nachfrage nicht äußern, weder zu eigenen Erkenntnissen noch zu der Berichterstattung über die Anhänger. Wenn man Fans direkt befragt, entsteht der Eindruck: Es passiert tatsächlich mehr als sonst, wenngleich selten direkt im Stadion; noch stärker aber steigt die Zahl der Berichte über diese Vorfälle an. „Und sie sind teilweise sehr unsachgemäß“, wie ein langjähriger Auswärtsfahrer findet. Es entsteht zudem der Eindruck, dass erhöhte Sicherheitsvorkehrungen bisweilen eskalierende Wirkung haben. In anderen Fällen wird die Konfrontation einfach verlagert, zum Beispiel am Freitag vor einer Woche, als Fans des FC Bayern von Löwen-Anhängern für eine Schlägerei abgefangen wurden – nach einem Regionalliga-Spiel der Bayern-U23.

Die Vorfälle in Saarbrücken am 18. Januar sind ein Beispiel dafür, wie schnell sich Fronten verhärten können. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft immer noch gegen einen Beamten, der am Saarbrücker Bahnhof einen Sechzig-Fan auf einer Treppe von hinten in den Rücken getreten haben soll. „Wir wurden schon in einer feindlichen Atmosphäre empfangen“, erzählt ein Augenzeuge, am Bahnsteig warteten Beamte mit drei laut bellenden Hunden. Einer der Hundeführer sei von Beginn an sehr aggressiv aufgetreten. Ein betrunkener Fan habe mehrmals „Acab“ gerufen, die Abkürzung für „All Cops are bastards“. Möglicherweise habe der aggressive Polizist bei seinem Tritt Personen miteinander verwechselt. „So ein Verhalten eines Polizisten habe ich noch nie erlebt“, sagt der bestürzte Augenzeuge, der keineswegs polizeifeindlich eingestellt sei. Es sei schon vorgekommen, dass ihn die Polizei vor gegnerischen Fans gerettet habe.

Im vergangenen Dezember, beim Auswärtsspiel in Essen, war es zu größeren Auseinandersetzungen zwischen Sechzig-Anhängern und der Polizei gekommen – es war der bislang letzte Vorfall, zu dem sich 1860 München selbst äußerte: „Flaschen- und Dosenwürfe auf Einsatzkräfte sind nicht hinnehmbar. Gleichzeitig mahnen wir auch die Einsatzkräfte zur Besonnenheit“, hieß es darin. Tatsächlich hatten sich nach allem, was zu hören ist, beide Seiten danebenbenommen. Augenzeugen berichten, dass Bahnbeamte im ICE die erste Klasse räumten, um die zahlreichen Tränengas-Opfer behandeln zu können.

Eine jüngere Generation soll entgegen ungeschriebener Fangesetze über die Stränge geschlagen haben

Bisweilen kommt es aber auch zu einer Art Selbstreinigungsprozess, wie nach den Vorfällen in Memmingen, als die zweite Mannschaft dort am 8. März zu Gast war. Dabei hatte eine Gruppe Fans die Stadionkasse überrannt und auf der Rückfahrt den Regionalzug erheblich beschädigt. Das Münchner Fanprojekt der Arbeiterwohlfahrt startete danach zusammen mit Fans eine Spendenaktion, 1000 Euro wurden als Entschuldigung nach Memmingen überwiesen. In der Szene gilt der Vorfall als ungewöhnlich: Eine jüngere Generation soll entgegen ungeschriebener Fangesetze über die Stränge geschlagen haben, wonach man bei kleineren Vereinen nicht derart aus der Rolle falle.

Für Empörung unter den Anhängern sorgt aktuell der Polizeibericht über die Rückreise vom Spiel beim VfL Osnabrück (0:1) am vergangenen Samstag. Von Randalen war darin die Rede, der Bericht suggerierte ein zerstörtes Abteil und pöbelnde Anhänger, laut Augenzeugen war aber „nur“ geraucht, Wände und Fenster beschmiert und Aufkleber angebracht worden.

Auf die Frage, ob Gewalt und Vandalismus ansteigen, erklärt der Deutsche Fußball-Bund: „Die Zahl der Strafverfahren im Umfeld von Fußballspielen sowie die Zahl der sogenannten gewaltbereiten und gewaltsuchenden Personen sind seit Jahren konstant niedrig, obwohl von Jahr zu Jahr mehr Menschen in die Stadien kommen“ – wenngleich es zurzeit „signifikante Einzelereignisse“ gebe. Doch die Vorkommnisse der vergangenen Monate, nicht nur mit 1860-Beteiligung, scheinen die Entwicklung zu beschleunigen, dass sich Feindschaften mal wieder verfestigen, sowohl unter rivalisierenden Fans als auch zwischen Fans und Polizei.

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