Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Das Brüllen der Löwen

Mit dem 2:0 gegen Türkgücü verbessert Sechzig seine Ausgangslage im Aufstiegskampf weiter. Nach dem Sieg erlauben sich Trainer Michael Köllner und Kapitän Sascha Mölders verbale Konter gegen den neuen Stadtrivalen.

Von Christoph Leischwitz

Die letzten Interviews am Spielfeldrand waren schon im Kasten, jetzt war im sowieso schon leeren Münchner Olympiastadion auch der Innenraum leer, als noch einmal eine Dreier-Delegation von Türkgücü München auf der Tartanbahn die Aussicht genoss. Einer von ihnen, womöglich Geschäftsführer Max Kothny selbst, fing dann an, laut zu rufen, er wollte das Echo in diesem riesigen Stadion testen. Es hallte lautstark zurück. Und mit den Stellungnahmen des Gegners, wie Türkgücüs Bosse wenig später festgestellt haben dürften, verhielt es sich ähnlich.

In der Hinrunde hatten sie unglücklich Remis gespielt, einmal hatte 1860 München 0:1 verloren gegen den Aufsteiger, das war erst vor gut drei Wochen gewesen, im bayerischen Pokalwettbewerb. Nach dem hochverdienten 2:0 (0:0)-Sieg am Samstagnachmittag an historischer Stätte erlaubten sich die Löwen dann aber doch einmal, ein bisschen loszubrüllen. Das betraf besonders Kothny. Der hatte am Freitag über den Lokalrivalen gesagt, er sehe "zwei, drei andere Mannschaften besser in der Liga" und er "wäre froh, wenn andere hochgehen". So nutzte Sechzigs Trainer Michael Köllner in der Videokonferenz nach dem Spiel die Frage nach dem möglichen Aufstieg für eine Spitze, die er sich sonst selten gönnt. "Die Lage ist nicht hoffnungslos", sagte er lachend und merkte an, Türkgücü "hat uns vor dem Spiel letztendlich so eingestuft, dass wir vorne nichts verloren haben, dass es bessere Mannschaften gibt. Dann nehmen wir das auch so zur Kenntnis."

Natürlich stellte bei so einer Gelegenheit auch Kapitän Sascha Mölders den Lautsprecher an. Denn eines habe ihn ja schon lange gestört, sagte er gegenüber dem BR: "Der Sportskamerad Kothny" habe schon vor Monaten gesagt, dass Türkgücü die Sechziger als Nummer zwei in München ablösen wolle. Dazu meinte Mölders: "Wenn Sechzig München eines Tages mal in der Kreisliga C spielen sollte: Mit dieser Wucht, die der Verein hat, mit dieser Fanbase und allem, ist es unmöglich, dass Sechzig in München von irgendjemanden abgelöst wird." Kothny solle sich um seinen eigenen Verein kümmern, da habe er genug zu tun. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Mölders vor der Saison dem Vernehmen nach ein Angebot von Türkgücü vorliegen hatte. Er hätte in seinem aus damaliger Sicht vermeintlich letzten Jahr als Profi noch einmal deutlich mehr verdienen können, lehnte jedoch ab.

Die Mannschaft und besagte Fanbase hatten zuvor ihre spielerische und akustische Überlegenheit unterstrichen - für die Sechziger war es am Samstag ein Sieg auf ganzer Linie. Denn es ist einerseits schwer vorstellbar, dass schon bald ein Türkgücü-Mannschaftsbus auf dem Weg zu einem Auswärtsspiel so frenetisch gefeiert wird, wie es am Samstagmittag den Löwen widerfuhr. Die Grünwalder Straße und die Candidstraße waren in dunklen Rauch gehüllt. Köllner, der später von einer "tollen Pyro" sprach, bedankte sich nach dem Spiel auch noch bei den Fans am Stadionzaun und auf dem Olympiaberg, indem er lächelnd seine Jacke schwenkte.

Mit Greilinger als Linksverteidiger hat sich Trainer Köllner einen überraschenden Kniff überlegt

Außerdem waren die Sechziger auf dem Feld über weite Strecken überlegen gewesen. Sie hatten sich offensichtlich auch sehr viel vorgenommen für dieses Spiel. Köllner sprach später von aufwendigen taktischen Trainingseinheiten unter der Woche, außerdem hatte er sich mit Fabian Greilinger als Linksverteidiger für den gesperrten Phillipp Steinhart einen überraschenden Kniff überlegt. Auch der Torschütze zum 1:0, Richard Neudecker, erzählte, dass man sich in dieser Phase der Saison "spielerisch weiterentwickeln" wolle.

Auf jeden Fall hatten sich die Sechziger zahlreiche Chancen gegen Türkgücü herausgespielt, während die Gastgeber, abgesehen von einer Großchance durch Sebastian Maier (61.), fast nur nach Standardsituationen gefährlich waren. Sascha Mölders ließ diesmal allerdings die Präzision vermissen und vergab gut herausgespielte Möglichkeiten (27., 37.). Neudecker sagte über sein Tor aus der 59. Spielminute, dass es ihm egal sei, wie er der Mannschaft helfe; wenn nicht durch Tore, "dann laufe ich mich halt wieder zu Tode". Das 2:0 erzielte Abwehrspieler Semi Belkahia, der nach einem Schuss vom Mölders abstaubte (83.). In der aktuellen Tabelle stehen nun tatsächlich noch drei Mannschaften vor den Sechzigern. Vor der nun anstehenden englischen Woche - Sechzig empfängt am Dienstag Viktoria Köln - aber nur noch sehr knapp. Der Rückstand auf den Dritten Ingolstadt (0:0 gegen Meppen) und den Zweiten Dresden (ein Spiel weniger) beträgt jeweils nur noch zwei Punkte.

Was das Thema Aufstieg angeht, so blieb Köllner trotz des fünften Sieges in Serie bescheiden. Wichtig sei doch erst einmal gewesen, den Abstand auf Platz fünf vergrößert zu haben, und dass Sechzig kommende Saison im DFB-Pokal spiele - der vierte Platz berechtigt dazu. Alles Weitere würden dann die kommenden Wochen zeigen, man habe alles selbst in der Hand. Was freilich nicht zu hundert Prozent richtig ist. Zum Beispiel trifft Türkgücü am vorletzten Spieltag noch auf Dynamo Dresden.

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