TSV 1860 München:Ja, wo isser denn?

TSV 1860 München: "Wir wollten ja, dass sie die langen Bälle spielen, und sollten dann eigentlich nicht, in Anführungszeichen, überrascht sein von diesem Ball." - Trainer Maurizio Jacobacci hatte Grund zum Staunen.

"Wir wollten ja, dass sie die langen Bälle spielen, und sollten dann eigentlich nicht, in Anführungszeichen, überrascht sein von diesem Ball." - Trainer Maurizio Jacobacci hatte Grund zum Staunen.

(Foto: Oryk Haist/Imago)

Der Neuanfang bleibt aus: Trainer Jacobacci schafft es in seinem ersten Spiel gegen Viktoria Köln nicht, einen Impuls zu setzen. Das Gegentor zeigt, dass die Mannschaft weiter taktische Selbstverständlichkeiten missachtet.

Von Christoph Leischwitz

Diesmal geschah etwas, das man nun wirklich nicht häufig zu sehen bekommt bei Heimspielen des TSV 1860 München: Zuschauer gingen schon vor dem Schlusspfiff nach Hause. Immer dann, wenn unten auf dem Rasen wieder einer dieser kleinen Fehler passierte, ein ungenauer Pass, ein verunglückter Torschuss, standen ein paar Leute auf und winkten verärgert ab - das wird doch nichts mehr. Es waren nicht allzu viele, und es waren nach Schlusspfiff auch nicht allzu viele, die den Spielern zuriefen: "Wir sind Löwen und ihr nicht." Aber es gab sie.

Das aus Sechziger-Sicht Schockierende daran ist nicht, dass es verärgerte Fans gibt. Sondern dass die Hoffnung, dass dieses Heimspiel gegen Viktoria Köln (0:1) einen Neuanfang darstellen würde, sich nicht erfüllte. Der neue Trainer Maurizio Jacobacci war geholt worden, um einen "Impuls" zu setzen, so hatte es Geschäftsführer Günther Gorenzel formuliert. Gorenzel hatte sich diesmal übrigens einen anderen Ort als die Bank gesucht, um das Spiel zu sehen, er saß in einer der alten Kabinen über der Haupttribüne, wo auf den Schiebetüren "Kein Zutritt!" steht. Er und knapp 15 000 andere werden sich nach dem Spiel gefragt haben, frei nach Gerhard Polt: Ja, wo isser denn, der Impuls?

Jacobacci lieferte am Samstag nach dem frustrierenden 0:1 (0:1), das viele Fans bis ins Mark erschütterte, eine ziemlich treffende Analyse ab. Er sprach Schwachpunkte klar an. Etwa, dass der Plan für einen verbesserten Spielaufbau scheiterte - auch, weil Leandro Morgalla die Situation als Rechtsverteidiger oftmals falsch auflöste. Jacobacci sprach in der Pressekonferenz oft mit weit aufgerissenen Augen, was bei ihm ein Zeichen erhöhter Konzentration ist. Seine Mimik wirkt dann so, als sei er von irgendetwas stark beeindruckt. In diesem Fall konnte das nur die Überraschung darüber sein, was der Mannschaft alles misslingt. Er musste dann natürlich aufpassen, wie viel Kritik er in dieser Situation öffentlich machte. In seiner Vorstellung vor einer Woche hatte der Schweizer gesagt, er wolle die Spieler nicht mit taktischen Details überfrachten, "das würden sie sowieso nicht verstehen".

Das beste Beispiel dafür, welch grundlegende Dinge misslingen, war die Entstehung des Gegentors. Da hatte der Kölner Torwart Ben Voll einen Abstoß auszuführen und hatte es nicht eilig; Sechzigs Abwehrspieler hatten also genug Zeit, nach einem ungefährlichen Eckball zurückzulaufen. Von außen war Jacobacci zu hören, wie er zweimal "zustellen!" hineinrief. Der Torwart sollte also zu einem langen Abschlag gezwungen werden. Der kam dann auch. "Wir wollten ja, dass sie die langen Bälle spielen, und sollten dann eigentlich nicht, in Anführungszeichen, überrascht sein von diesem Ball." Waren sie aber: Nach einer Kopfballverlängerung lief Kölns David Philipp allein aufs Tor zu und erzielte das Siegtor (41.).

"Wir kommen zu spät zum Kopfball und haben die Absicherung nicht. Ein Gegentor, das eigentlich nicht passieren darf", ärgerte sich Jacobacci. Taktische Selbstverständlichkeiten werden missachtet, wohl aufgrund von Verunsicherung. Noch deutlicher in seiner Analyse war Kölns Trainer Olaf Janßen: "Das macht ja was mit einer Mannschaft, wenn man so einen überragenden Start hat wie die Sechziger, und wenn es dann im Sturzflug nach unten geht." Da werde es ein neuer Trainer schwer haben, "das in sechs Tagen aus den Köpfen rauszukriegen".

"Ich glaube, er ist auf einem guten Weg, aber allein kann er's natürlich auch nicht machen", sagt Lex über Jacobacci

Aber vielleicht nach zwei Wochen? Kapitän Stefan Lex jedenfalls fand: "Wir haben mutiger gespielt, es immer wieder spielerisch probiert." Und er nahm den Trainer auch ein wenig in Schutz: "Ich glaube, er ist auf einem guten Weg, aber allein kann er's natürlich auch nicht machen." Jacobacci versuche "einen neuen Spirit reinzubringen". Mit einem Sieg wäre diese Aussage wahrscheinlich glaubhafter gewesen, räumte er ein.

Keine Systemumstellung, nur minimale personelle Änderungen - der einzige Versuch eines neuen Impulses war die Order, den "aggressive leader" (Jacobacci) Yannick Deichmann vor der Abwehr anstatt als Rechtsverteidiger auflaufen zu lassen. Und das ging beim Gegentor im Wortsinn nach hinten los. "Zu viel verändern bringt in dieser Situation sicher nichts, es hilft niemandem", befand der Trainer.

Eine Sache, die sich nicht geändert hat: Proteste der Fans gegen Investor Hasan Ismaik und insbesondere dessen Statthalter Anthony Power, Ausdruck des tiefen Grabens zwischen den beiden Gesellschaftern. Die Niederlage gegen Köln wird kaum dazu beitragen, dass irgendjemand mal einen Impuls in Richtung Streitbeilegung setzt.

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