Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 - FC Bayern II:Bärte, Bäuche, Begeisterung

1860-Trainer Michael Köllner hat, was Bayerns U23-Coach Danny Schwarz nicht hat: eine richtige Gesichtsbehaarung - und einen Torjäger. Und die Löwen-Familie ist ausnahmsweise schrecklich viel netter als die Mia-san-mia-Familie. Gute Gründe vor dem Drittliga-Derby am Sonntag, warum die Löwen aufsteigen - und der FC Bayern II leider absteigen wird.

Von Christoph Leischwitz und Markus Schäflein, München

Die Trainer

Zum Vatertag hat Michael Köllner von seinen Kindern ein Bartöl geschenkt bekommen, und es ist noch untertrieben, dieses Präsent als nützlich zu bezeichnen. Der Erfolgs-Vollbart des 1860-Trainers wuchert und wuchert. Nur an wenigen Stellen grau, aber trotzdem: "Meine Frau sagt, das sieht ja furchtbar aus." Zur kommenden Saison soll die Gesichtsbehaarung daher entfernt oder zumindest gestutzt werden: "Sonst sieht man hier das Mikrofon nicht mehr." Während der Kommunikationskünstler Köllner in der heißen Saisonphase Witze mit Bart macht, sprießen an der Grünwalder Straße keine Gerüchte: "Ihr beschäftigt Euch mit meinem Bart", sagte Köllner zu den Journalisten, "und die Mannschaft kann in Ruhe ihren Job erledigen." Kein Wunder, dass Köllner derzeit auf dem besten Weg ist, die Wahl des Deutschen Fußball-Bundes zum Drittliga-"Trainer des Jahres" zu gewinnen.

Der Bart von Danny Schwarz ist noch recht kurz: Erstens hat er zusammen mit Martin Demichelis erst Anfang April den Duo-Trainerjob bei der Bayern-U23 angetreten, zweitens hat die Mannschaft keinen Wuchs zugelassen: Sie hat seitdem noch kein einziges Mal gewonnen. Schwarz und Demichelis sind Nachfolger von Holger Seitz, der Leiter am Campus des FC Bayern war als Trainer reaktiviert worden, weil Sebastian Hoeneß vergangenes Jahr nach Hoffenheim ging. Sie hatten geahnt, dass der stets glattrasierte Hoeneß schwer zu ersetzen sein wird. Aber so schwer? Wenn die Beteiligten zurzeit vor dem Spiegel stehen und sich rasieren, dann fällt ihnen möglicherweise das eine oder andere graue Haar auf.

Die Torjäger

Am auffälligsten bei Sechzig ist selbstredend Sascha Mölders. Das liegt nicht nur an der "Wampe von Giesing" oder dem "Bauch Gottes", wie er sein bemerkenswertes Erscheinungsbild selbst nennt. Es liegt auch nicht bloß daran, dass er mit 36 Jahren der älteste Torschützenkönig in der Geschichte des deutschen Profifußballs werden wird. Alt, jung, rund, schlank - am Ende liegen Tore (bisher 21) und Vorlagen (acht) in der Waagschale. "Es ist natürlich toll, dass wir das hinbekommen haben, dass er wieder richtig zündet", sagt Trainer Köllner, und auch fürs Derby gegen den FC Bayern II am Sonntag (14 Uhr, Grünwalder Stadion) kündigt er an: "Sascha gut in Position zu bringen, wird das Entscheidende sein."

Am auffälligsten ist bei Bayerns U23 einer, der fehlt: Kwasi Wriedt. Vor einem Jahr waren es nämlich die Bayern, die den Drittliga-Torschützenkönig stellten. Der von allen "Otschie" genannte Mittelstürmer schoss 24 Tore und bereitete sechs vor; danach war er nicht mehr zu halten. Er trifft nun für Willem II in der niederländischen ersten Liga ebenfalls recht regelmäßig. Die Bayern hingegen haben jetzt im gegnerischen Strafraum keinen Abnehmer mehr für ihren Ballbesitz-Fußball: Sie haben nach 36 Spieltagen 29 Tore weniger geschossen als im vergangenen Jahr. Und keiner der jungen, dünnen Angreifer hat mehr als fünf Tore (Fiete Arp) erzielt - auffällig unauffällig.

Die Krankenakte

"Unser Plan B ist das Modell Liverpool", hatte 1860-Geschäftsführer Günther Gorenzel für den Fall angekündigt, dass Mölders mal ausfallen würde - ein System ohne echten Mittelstürmer also. Das Modell Liverpool musste dann nur ein Mal zur Anwendung kommen, nur ein einziges Mal in 36 Spielen fehlte Mölders, und das auch nur wegen einer Gelbsperre. Die robuste Figur helfe dem Altmeister, verletzungsfrei zu bleiben, hat Köllner einmal verraten, aber nur daran scheint es nicht zu liegen: Auffällig wenige Löwen-Spieler verletzten sich in dieser Saison, der Stamm der wichtigen Akteure stand fast immer zur Verfügung. Nur 15 Spieler absolvierten zehn oder mehr Einsätze. Spricht für gute Trainingssteuerung, gute Arbeit der medizinischen Betreuer - und eben für robuste Körper.

Bayern hat drei wichtige Ü23-Spieler als Stützen, alle drei mussten im Gegensatz zu Mölders offenbar ihrem Alter Tribut zollen. Ausgerechnet zum Saisonfinale fehlt der Mittelfeldspieler mit den meisten Toren (acht): Timo Kern, 31, fungiert wegen Achillessehnenproblemen nur noch als lautstarker Antreiber von der Haupttribüne. Abwehrchef Nicolas Feldhahn, 34, verpasste in der Hinrunde acht Partien wegen eines Meniskusrisses. Als er wieder fit war, fiel Maximilian Welzmüller, 31, monatelang mit einem Bänderriss aus - und aktuell scheint Welzmüller nicht gerade das Vertrauen des neuen Trainerduos zu genießen. Hinzu kommt, dass Malik Tillman, fest für den Angriff eingeplant, sich Anfang Oktober einen Kreuzbandriss zuzog. Auch Lasse Günther, der zusammen mit dem Trainerteam im April debütierte, ist jetzt verletzt. Insgesamt setzte der FC Bayern II 38 (!) verschiedene Spieler ein - Ligarekord.

Das Momentum

"Das Momentum ist auf unserer Seite", sagt 1860-Coach Köllner. "The trend ist your friend - für viele Fußballer ist das wichtig." Und dieser Trend sagt: Seit zehn Spielen hat Sechzig nicht verloren und dabei 24 Punkte geholt. Zuletzt gelang nach Rückstand noch ein Remis in Wiesbaden. "Wir wissen, dass uns auch ein 0:1 nicht aus der Ruhe bringt, das haben die anderen im Moment nicht so." In dem Fall meint er mit den anderen die Konkurrenten im Aufstiegskampf - es könnte sich aber auch auf die Bayern beziehen.

Eine U23 im Männerfußball spielt in der Rückrunde oft besser als in der Hinrunde, weil sie sich ein Stück weit an die harte Gangart gewöhnt hat. Nach der Derbyniederlage gegen 1860 am 9. Januar (0:2) begann das neue Kalenderjahr auch ordentlich - doch dann drehte sich die Spirale in die andere Richtung. Auch gute Leistungen wurden selten mit Punkten belohnt. Nachwuchsleiter Jochen Sauer findet, dass viele Spieler jetzt etwas lernen, was sie sonst beim FC Bayern von klein auf nie lernen: Abstiegskampf. "Das ist Neuland für die Jungs", sagt auch Trainer Schwarz. Und offenbar können viele damit nicht angemessen umgehen. Nun ja, für ein neues Momentum kommt ein Derby ja oft gerade recht - aber in diesem Fall womöglich auch zu spät in der Saison.

Das Umfeld

Alle bei Sechzig wollen hoch in die zweite Liga, und alle geben ihr Möglichstes dafür. Wenn die Fans schon nicht ins Stadion kommen können, bilden sie wenigstens Anfeuerungsspaliere am Wettersteinplatz, wo der Mannschaftsbus vorbeifährt, wie zuletzt beim Heimspiel gegen Kaiserslautern. "Das war gigantisch, wie die völlig aus dem Häuschen waren", berichtet Köllner. Die Spieler machten begeistert Handyvideos, und Co-Trainer Günter Brandl winkte den Anhängern durch die Fensterscheibe freudig entgegen. "Das war der Running Gag", sagt Köllner, "der andere Co-Trainer hat ihm dann gesagt, Günter, das sind dunkle Scheiben, dich sieht keiner." Vielleicht brauchen die Löwen zum Derby einen anderen Bus, aus dem sich winken lässt - aber der Zusammenhalt in der früher oft schrecklich unnetten Löwen-Familie, der passt derzeit.

Wenn der neue Trainer Martin Demichelis im Grünwalder Stadion am Seitenrand steht, dann sieht er sich oft selbst: auf der digitalen Werbebande, auf der neben seinem lächelnden Gesicht auch etwas von "Bayern-Familie" steht. Von den Verwandten an der Säbener Straße lässt sich aber kaum jemand blicken: Hansi Flick kam nur zu Co-Trainer-Zeiten vorbei, Sportdirektor Hasan Salihamidzic ist nur ganz sporadisch da. Überhaupt scheint es, der Campus an der Ingolstädter Straße sei von den Entscheidern an der Säbener Straße einfach zu weit weg - mia san nicht mia, sozusagen. Die Spieler-Durchlässigkeit ist in beide Richtungen mangelhaft. Wer am Campus genau hinhört, könnte zwischen den Zeilen das Gefühl bekommen, dass man sich dort ein bisschen vernachlässigt fühlt.

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