TSV 1860:Die Beine tragen wieder

29.04.2016,  Fussball 2.Liga: St. Pauli - 1860 München

Drei Spieler, die bei Sechzig lange keine Rolle mehr spielten (v.l.): Valdet Rama, Torschütze Daylon Claasen und Daniel Adlung.

(Foto: Kathrin Müller/M.i.S.)

Nach dem 2:0 auf St. Pauli winkt 1860 schon gegen Paderborn der Klassenverbleib. Ob Daniel Bierofka ein großer Trainer ist, spielt keine Rolle - er ist ein echter Löwe.

Von Markus Schäflein

An der Wirtin lässt sich beim Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München stets die allgemeine Stimmungslage ablesen. In den vergangenen Wochen saß die Christl oft in der Ecke ihres Stüberls, stocherte traurig in ihrem Kartoffelsalat und kaute depressiv auf ihrem Schnitzel herum. Am Samstagmittag hingegen hatte sie sich in ihr schönes Frühlingsoutfit geworfen, trug eine fliederfarbene Bluse mit Tieren und Blumen und eine große Sonnenbrille, tänzelte durch den Biergarten und reckte immer wieder einen Schal in die Höhe mit der Aufschrift "Danke Biero!"

Der Schal stammt noch aus dem Jahr 2014, als Daniel Bierofka seine Karriere als Fußballspieler bei Sechzig beendete. Nun ist er unverhofft Trainer der Zweitliga-Mannschaft, im zweiten Spiel unter seiner Leitung gewann die Mannschaft am Freitag zum zweiten Mal, 2:0 beim FC St. Pauli, und in Kombination mit den Ergebnissen der Konkurrenten im Abstiegskampf bedeutet das, dass sich die Löwen im Heimspiel am Sonntag (15.30 Uhr) gegen den SC Paderborn bereits am vorletzten Spieltag den Klassenverbleib sichern können. Es wäre eine riesige Party in der ungeliebten Fröttmaninger Arena, und im Mittelpunkt würde der auch in Hamburg wieder mit Sprechchören gefeierte Bierofka stehen. Ihm selbst ist das gar nicht so recht, und 1860-Sportdirektor Oliver Kreuzer hatte zwar gelobt, Bierofka habe "die Mannschaft zum Laufen gebracht", aber auch angefügt: "In zwei Spielen wird man kein großer Trainer."

Ob Bierofka ein großer Trainer ist, spielt allerdings überhaupt keine Rolle - er ist, wie sie es an der Grünwalder Straße zu sagen pflegen, ein echter Löwe. Und das scheint für den Moment zu reichen.

Auch beim FC St. Pauli stellte Bierofka wieder die elf Spieler auf den Platz, denen er die Echtheit ihres Löwendaseins am meisten abkauft. Daylon Claasen dankte seinen Einsatz mit dem schnellen 1:0 und einer wie schon gegen Braunschweig starken Leistung. Dass Claasen sowohl unter Benno Möhlmann wie auch unter dessen Vorgänger Torsten Fröhling immer mal wieder unterirdische Leistung gezeigt hatte und aus der Mannschaft gefallen war, spielte für Bierofka keine Rolle. "Ich habe immer gesagt, dass es mich nicht interessiert, was vor mir war. Er hat sich schon in den ersten Trainingseinheiten bei mir angeboten, ist ein unheimlich mannschaftsdienlicher Spieler", sagt der neue Übungsleiter. Claasens Renaissance ist außerdem systembedingt, meint Bierofka: "Es kommt ihm zugute, dass wir mit zwei echten Außenstürmern spielen." Das lässt sich auch von Valdet Rama behaupten, der wie Christl aus der Depression in den x-ten Frühling zurückgekehrt ist. Und vom eingewechselten Levent Aycicek, der das zweite Münchner Tor erzielte, ebenso.

Dass Daniel Adlung nach längerer Verletzungspause in die Mannschaft zurückgekehrt ist, kommt Bierofka zusätzlich gelegen: "Ich weiß, was ich an ihm habe, ich habe ja früher mit ihm zusammen gespielt und weiß, dass ihm kein Weg zu weit ist." So kam es dann auch, dass Adlung den unter Möhlmann gesetzten Michael Liendl aus der Startformation verdrängte. Obwohl Liendl viel bessere Eckbälle schießt als Adlung und viel bessere Freistöße.

Es gelingt der Beweis, dass auch aus dem Spiel heraus Tore fallen - wenn Sechzig nur genug presst

Lange war das Spiel der Sechziger auf diese Qualitäten ausgerichtet, Standardsituationen sollten die Tore bringen. "Außer nach Standards schießen wir ja überhaupt keine Tore", hatte Innenverteidiger Christopher Schindler schon nach der deprimierenden Niederlage in Karlsruhe geklagt. Auch gegen Braunschweig bei Bierofkas Debüt mussten eine Ecke des spät eingewechselten Liendl und ein Kopfball des spät eingewechselten Rubin Okotie zum Siegtor herhalten. Nun gelang in Hamburg der Beweis, dass auch aus dem Spiel heraus Tore fallen können, ganz ohne schöne Kombinationen oder spielerischen Glanz - wenn Sechzig nur genügend presst. Claasens Tor ging ein Fehlpass von Enis Alushi voraus, Ayciceks Treffer ebenfalls ein Aussetzer von Alushi. Pressing ist Laufarbeit, und wie es Sportchef Kreuzer formulierte, ist das Bierofkas größte Leistung: dass er diese lange Zeit so merkwürdige Mannschaft zum Laufen brachte. Wobei sich der Übungsleiter diese Wende gar nicht groß selbst anrechnen möchte: "Wir haben momentan eine gewisse Überzeugung, und da tut man sich wesentlich leichter zu laufen, da tragen dich die Beine von alleine."

Nie käme Bierofka auf die Idee, zu behaupten, dass man ihm zu danken habe - er fühlt sich irgendwie immer noch als ein Mitspieler im Kollektiv, der sich noch lange nach einem ergrätschten Triumph wie am Millerntor schwertut, runterzukommen. In der kommenden Saison wird er wieder zur Regionalliga-U21 zurückkehren, der er ebenfalls den Klassenverbleib sichern kann, wenn er die Profimannschaft in der zweiten Liga hält. "Das ist dann noch der Bonuspunkt für mich, dass ich meinen Jungs helfen kann", sagt er. "Und dem ganzen Verein."

Bierofka hängt an 1860 wie die Christl und die Allesfahrer. Das scheint derzeit wirklich das Einzige zu sein, das zählt. Und es zeigt, dass dieser Klub, der einem jordanischen Investor gehört und in der Arena des FC Bayern zur Miete spielt, noch etwas aus sich selbst heraus schaffen kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: