TSG Hoffenheim:Unbekanntes Tempo

Hoffenheim spielt zu schnell für die Bundesliga, bietet ein Spektakel-Trio im Angriff und ist wieder Tabellenführer. Und das trotz dickem Zeh.

Thomas Hummel

Nun haben auch ein paar Jugendliche aus dem Ort Rauenberg ihren Anteil am Erfolg. Am Samstagvormittag begrüßten sie auf ihren Hartplatz ungewöhnliche Gäste, etwa Ralf Rangnick, Trainer des Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim. Ebenso ein Mitglied des Ärzteteams sowie Tobias Weis, Mittelfeldspieler. Und es kam noch besser: Die Entourage des durchaus betuchten Profiklubs hatte nicht einmal einen Ball dabei und fragte, ob sie sich einen leihen dürfte. Allerdings enthielt das einzig greifbare Exemplar kaum Luft. Und so lief einer der Hoffenheimer zur nächsten Tankstelle, um das Spielgerät wettbewerbsfähig aufzupumpen.

TSG Hoffenheim: Chinedu Ogbuke Obasi, (links) und Vedad Ibisevic erzielten wieder einmal die Hoffenheimer Tore.

Chinedu Ogbuke Obasi, (links) und Vedad Ibisevic erzielten wieder einmal die Hoffenheimer Tore.

(Foto: Foto: AP)

Grund für diesen Ausflug aus dem Mannschaftshotel war der große Zeh von Tobias Weis. Den hatte sich der Spieler am Vorabend in der Dusche verletzt, sein Einsatz am Nachmittag war fraglich. Nach einem schmerzstillenden Mittel sollte Weis ein paar Mal auf den Ball dreschen. Also ging Rangnick mit ihm hinüber auf den Ascheplatz und Weis drosch. Zehn Minuten lang, unter dem Jubel der Jugendlichen. Der Schmerz hielt sich in Grenzen, Weis konnte gegen den Karlsruher SC spielen. Und wie er spielte.

Die TSG Hoffenheim bietet ja nun Woche für Woche Überraschungen. Diesmal hieß sie Tobias Weis. Der 23-Jährige, 2007 ablösefrei vom VfB Stuttgart II gekommen, stemmte sich trotz maladem Zeh vehement gegen die rustikale Gangart des Gegners, verteidigte mit Eifer die Bälle im Mittelfeld, ließ sich ungezählte Male über den Haufen rennen und spielte derart gescheite Pässe in den Angriff, dass selbst der nüchterne Rangnick ins Schwärmen kam: "Das 1:0 ist von Weis fantastisch eingeleitet worden, ein absolutes Traumtor."

Angriffstrio war das überragende Element

Ein Traumtor war dieses 1:0 (15.) für ihn deshalb, weil es einen hundert Mal einstudierten Angriff krönte. Der Fußballlehrer sah, dass seine Schüler das Gelernte im Ernstfall umsetzen. Er fühlte sich bestätigt in seiner Arbeit. Dass seine Stürmer da vorne die Vorarbeit von Weis erfolgreich abschlossen, muss eigentlich nicht mehr erwähnt werden. Denn das ist nach dem 11. Spieltag keine Überraschung mehr: Obasi auf Ibisevic, Tor.

Es war der zwölfte Saisontreffer des Bosniers, nach der Pause (75.) folgte der 13. Die weiteren Treffer zum 4:1-Erfolg gegen Karlsruhe (Gegentor zum 1:1: Sebastian Freis, 20.) erzielte Chinedu Obasi (67./78.) selbst. Und auch der dritte Stürmer, Demba Ba, hatte große Möglichkeiten. Aufsteiger TSG Hoffenheim holte sich Platz eins der Fußball-Bundesliga zurück, das Angriffstrio war wieder das überragende Element in einer starken Mannschaft. Die Abwehr des KSC konnte einem fast leid tun, so unterlegen war sie ihren Gegenspielern. Das Tröstliche für Görlitz, Sebastian, Stoll und Eichner war: Da sind sie in der Bundesliga derzeit wahrlich nicht die einzigen.

Unbekanntes Tempo

Das 1:0 verdeutlichte neben Weis' Spielverständnis die Dynamik von Obasi, der Gegner Stoll einfach davonlief. Es zeigte Obasis Übersicht, als er den Ball von der Seite flach und gezielt an den Fünfmeterraum passte. Und es demonstrierte die außergewöhnliche Ruhe und Genauigkeit von Vedad Ibisevic beim Torabschluss. Zusammen mit Demba Ba lieferten sie über 90 Minuten ein unwiderstehliches Spektakel, das inzwischen Späher aus den europäischen Topklubs anlockt.

"Ich bin tot, total k.o."

Die Stürmer sind aber nur die strahlendsten Perlen im Hoffenheimer Schmuckkasten. Denn der Erfolg des Aufsteigers gründete auch gegen Karlsruhe auf ein bislang in der Bundesliga unbekanntes Tempo, eine enorme Athletik und Intensität des Spiels, die dem Gegner kaum Luft zum Atmen lässt. Dabei hatten es die Karlsruher wahrlich versucht, bestritten die Zweikämpfe oft am Rande des Erlaubten, wollten merklich Emotionen und Hektik in das badische Derby bringen. Doch letztlich wurden sie selbst zuerst müde. KSC-Trainer Edmund Becker bemerkte anerkennend: "Um momentan in Hoffenheim bestehen zu können, benötigt man eine läuferische Topleistung, man muss Defensiv kompakt stehen und darf kaum Fehler machen."

Obwohl es in der Halbzeitpause 1:1 stand, raunten sich Freunde des KSC zu, wie lange ihre Mannschaft wohl noch standhalten könne. Langsam wird den Beobachtern bewusst, was Bundesliga-Kritiker aus der Nationalmannschaft jahrelang predigten; nun macht es Rangnicks Hoffenheim vor, wie schnell man Fußball spielen kann. Manager Jan Schindelmeiser sagte dazu: "Wir haben Spieler verpflichtet, die in der Lage sind, diesen Fußball zu spielen." Also junge, kräftige, wendige Körper, die vom eigens angestellten Athletiktrainer zu Kraft- und Laufmaschinen ausgebildet werden. Doch nach dem dritten Spiel in sechs Tagen (und neun Punkten) stöhnte auch Tobias Weis: "Ich bin tot, total k.o."

Dazu kommt ein mächtiges Selbstvertrauen, auch beim Trainer. Nach dem Ausfall des einzig defensiven Mittelfeldspielers Isaac Vorsah (Nasenbeinbruch), wechselte er kurzerhand Sejad Salihovic ein. Der Bosnier war der dritte Offensivakteur im Zentrum, neben Carlos Eduardo und Weis, und damit der sechste angriffsorientierte Hoffenheimer auf dem Platz. Für die Karlsruher ergab sich daraus indes kein Vorteil, weil sie kaum mehr aus der eigenen Spielhälfte entweichen konnten. Salihovic bereitete alle drei Treffer in der zweiten Halbzeit vor.

Das alles ergibt ein neues, attraktives Bild, das die Kritiker am Projekt Hoffenheim zunehmend verstummen lässt. Auch die Angriffe auf TSG-Mäzen Dietmar Hopp scheinen nachzulassen. Vor dem brisanten Baden-Derby hatte er noch scharfe Angriffe der Karlsruher Fans befürchtet, "die sind ja nicht gerade zimperlich", sagte er. Doch die KSC-Fans hielten sich zurück, es blieb erstaunlich ruhig. Vielleicht besänftige auch das zu Beginn gemeinsam gesungene Badner Lied ("Frisch auf mein Badner Land") die erhitzten Gemüter.

Träumen auf der Tribüne

Dafür ist die Hoffenheimer Fangemeinde schon erstaunlich angewachsen. Hoffenheim stößt in der Rhein-Neckar-Region in ein Vakuum, seit dem Abstieg von Waldhof Mannheim 1990 ist die Gegend bundesligafreie Zone, nun war das Mannheimer Carl-Benz-Stadion zum sechsten Mal in Folge mit 26.300 Zuschauern ausverkauft. Das eigene Stadion in Sinsheim soll im Dezember fertig sein, für die Rückrunde ist der Umzug geplant.

Ob auf diesem Rasen der märchenhafte Aufstieg der TSG Hoffenheim weitergeht? Das hängt zum einen wohl davon ab, ob ein dicker Zeh von Tobias Weis weiterhin das ärgste Verletzungsproblem bedeutet. Außerdem sehen die Verantwortlichen die Gefahr, die der Erfolg häufig mit sich bringt: "Es ist sicher schwierig zu verhindern, dass die Spieler sich nicht mit Zielen in weiter Ferne befassen, statt mit dem nächsten Spiel", sagte Schindelmeiser. Rangnick dagegen meint: "Die Mannschaft ist völlig klar im Kopf."

Träumen dürfen nur die Menschen auf der Tribüne und vielleicht auch ein paar Jugendliche auf einem Ascheplatz in Rauenberg, die nun ihren Teil beigetragen haben.

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