TSG Hoffenheim:Hochspringer vor einer neuen Messlatte

FSV Mainz 05 - 1899 Hoffenheim

„Er hat viele Spieler besser gemacht“: Trainer Julian Nagelsmann (Zweiter von links) lässt sich zum Abschied noch einmal von seinen Profis feiern.

(Foto: Thomas Frey/dpa)

Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann hinterlässt ein großes Erbe - und verpasst die gesteckten Ziele.

Von Tobias Schächter, Mainz

Am Sonntag räumte Julian Nagelsmann sein Büro, noch einmal ging die Schranke vor dem Trainingszentrum der TSG Hoffenheim hoch für ihn. Dreieinhalb Jahre prägte er als Chefcoach den Klub, nun wechselt er zu RB Leipzig. Unter Nagelsmann erlebte die TSG die erfolgreichste Zeit ihrer elf Jahre in der Bundesliga: Nach erfolgreicher Rettungsmission im Abstiegskampf schloss Hoffenheim die folgenden Spielzeiten auf den Rängen vier und drei ab. Die Messlatte, die der 31-Jährige hinterlässt, hängt also hoch - aber seit Samstag auch nicht mehr zu hoch für seinen Nachfolger Alfred Schreuder, derzeit noch Assistenztrainer bei Ajax Amsterdam. Die dritte Europapokalteilnahme nacheinander verspielten die Hoffenheimer nach einer 2:0-Pausenführung durch eine 2:4-Niederlage in Mainz.

"Wir hätten die fehlenden Punkte auch in der Vorrunde holen können", sagt der Trainer trotzig

Am Ende einer wechselhaften Runde landet die Mannschaft somit auf Platz neun, fast ein Hohn angesichts der Qualität ihres Spiels und der guten Ausgangsposition, die sie sich im Verlauf der Saison erspielt hatte. Aber zu oft war die meist begeisternd offensiv spielende Elf unfähig, eine Führung bis zum Schluss zu verteidigen. "In dieser Hinsicht war das Spiel heute ein Sinnbild für die ganze Saison", klagte Nagelsmann verärgert in Mainz.

Hoffenheim hat die meisten Führungen verspielt und mit 27 Latten- oder Pfosten-Treffern auch in dieser Kategorie die Liga-Höchstmarke aufgestellt. "Wir waren nicht gerade von Glück verfolgt", meinte Nagelsmann, der sich aber auch wunderte, "wie wir manchmal nach Führungen aus dem Tritt gekommen sind". Für diese Schwäche fand der Trainer während der ganzen Saison keine Lösung. Das hat auch damit zu tun, dass in Benjamin Hübner der wichtigste Abwehrspieler fast durchgehend verletzt ausfiel. Oft spielte die Mannschaft in den Schlussphasen von Partien vogelwild statt abgeklärt, auch in Mainz kassierte sie noch drei Treffer, nachdem sie bis zur 83. Minute 2:1 geführt hatte, trotz Unterzahl: Christoph Baumgartner hatte kurz vor der Pause die gelb-rote Karte gesehen. Mit diesem 2:1 hätte Hoffenheim zumindest die Europa-League-Qualifikation geschafft.

Der Sturz von der Champions-League-Teilnahme ins Tabellenmittelfeld tut weh, doch die Mannschaft ist selbst schuld. Vorne vergab sie immer wieder zu viele Chancen, hinten kassierte sie zu oft leicht Gegentore. Das von Nagelsmann ausgerufene Saisonziel - den dritten Platz des Vorjahres zu übertreffen - trug die Mannschaft mit. Doch die Kühle einer Spitzenelf ließ sie in entscheidenden Situationen vermissen.

Im Rückblick, so Nagelsmann, würde er wieder dieses Ziel ausrufen und vor Beginn der Saison wieder seinen Wechsel nach Leipzig bekanntgeben. Dass das Verhältnis zur Mannschaft wegen des nahenden Abschieds zuletzt litt, deutete er jüngst freilich selbst an; es wurde auch durch die harsche Kritik von Andrej Kramaric in der Bild-Zeitung öffentlich. Der Kroate beschwerte sich über die vielen Umstellungen während der Partien und drückte so die wachsende Verzweiflung im Team aus. In den letzten vier Spielen holte die TSG nur noch einen Punkt. Nagelsmann sagte trotzig: "Wir hätten die fehlenden Punkte auch in der Vorrunde holen können."

In Rekordzeit hat sich Nagelsmann zu einem der spannendsten Trainer Deutschlands entwickelt. Mit Mut, taktischen Varianten und Entertainerqualitäten baute er mit Sportchef Alexander Rosen aus vielen verkannten Profis eine Mannschaft, die Hoffenheim sportlich und wirtschaftlich neue Perspektiven eröffnete. Alleine mit den Wechseln von Nico Schulz (für 27 Millionen Euro nach Dortmund) und Kerem Demirbay (für 32 Millionen nach Leverkusen) macht die TSG in diesem Sommer ordentlichen Gewinn. Für viel wichtiger als die beiden Europapokal-Teilnahmen hält Nagelsmann, dass er einen Kader hinterlässt, der 200 Millionen Euro an Ablösesummen generieren könnte und somit Arbeitsplätze und Bundesligazugehörigkeit auf Jahre hinaus garantiere. Viele Spieler sind ihm dankbar. Nico Schulz, unter Nagelsmann zum Nationalspieler gereift, sagt: "Julian ist ein außergewöhnlicher Trainer, sehr motivierend. Alles, was er macht, ist sehr, sehr gut. Er hat nicht nur mich, sondern viele Spieler besser gemacht."

Der Ehrgeiz treibt Nagelsmann nun nach Leipzig, dort sieht er größere Chancen, Titel zu gewinnen. Im neuen Umfeld muss er aber beweisen, mit der Doppelbelastung Liga/Europapokal zurechtzukommen; mit der TSG gewann er ja nur eins von 14 Europapokalspielen. Für ihn kann die Messlatte in Leipzig kaum höher liegen. Unter Ralf Rangnick war RB Dritter in der Liga und zog ins Pokalfinale ein - Erfolge, die schwer zu übertreffen sein werden. In seiner typischen Art sagt Julian Nagelsmann aber: "Im Hochsprung war ich immer ganz gut." Das glaubt man ihm, auch wenn er in dieser Saison erstmals den eigenen Ansprüchen nicht ganz gerecht geworden ist.

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