Süddeutsche Zeitung

TSG Hoffenheim:Aus die graue Maus

Kompakte Defensive, offensive Außendarstellung: Unter André Breitenreiter kehrt Hoffenheim zurück zum Fußball aus der Zeit vor Sebastian Hoeneß. Bislang mit Erfolg: Den Leuten gefällt's.

Von Christoph Ruf, Sinsheim

Als schon fast alle Themen abgehandelt waren, die vor dem Hoffenheimer Auswärtsspiel bei Hertha BSC so hätten angesprochen werden können, kam die Rede noch auf eine biografische Konstante im Leben des leitenden Angestellten. Trainer André Breitenreiter wird am Sonntag 49 Jahre alt. Damit scheint es ihm allerdings so zu gehen wie vielen anderen Menschen - je länger das Geburtsdatum zurückliegt, desto weniger freudig erscheint das Ereignis. "Tatsächlich habe ich am Sonntag Geburtstag", sagte Breitenreiter also. "Das passiert ein Mal im Jahr." Wichtiger sei ihm, dass seine Mannschaft dann auch wieder so spielt wie zuletzt: erfolgreich. Und dabei so ansehnlich wie so oft in der kurzen Hoffenheimer Profigeschichte.

Seit den Zeiten von Ralf Rangnick (2006-2010) steht die TSG, abgesehen von kürzeren konzeptionellen Verirrungen, für Kontinuität. Die meisten Spiele in 14 Jahren Erstligazugehörigkeit waren unterhaltsam, die Zahl der fußballerisch limitierten Spieler überschaubar. Ins Stadion gingen einige Zuschauer nicht aus unverbrüchlicher Treue zur TSG. Sondern weil sie guten Fußball sehen wollten. In dieser Spielzeit ist die Wiedererkennbarkeit zurückgekehrt, nachdem die TSG in der Endphase der zwei Jahre unter Sebastian Hoeneß recht graumäusigen Fußball spielte. Nun ist wieder Zug im Angriffsspiel, dem es aber oft noch an Präzision fehlt.

Auf den Außenbahnen, die Angeliño und Pavel Kaderabek bedienen, herrscht Tempo. Die Mittelfeldzentrale um Dennis Geiger, Grischa Prömel und Christoph Baumgartner strahlt wieder eine Robustheit aus, die in der vergangenen Saison fehlte. Zudem gelangen gute Transfers: Ozan Kabak, Prömel und Angeliño brauchten keine Eingewöhnungszeit. Überhaupt hat Breitenreiter in einer recht frühen Phase der Saison die zwei wohl dringendsten Aufgaben gelöst, die mit seiner Verpflichtung verbunden waren. In den vergangenen sechs Spielen fielen nur vier Gegentreffer, in der abgelaufenen Saison waren es noch 1,6 pro Partie. Die Defensivarbeit sei "der Schwerpunkt" in der Vorbereitung gewesen, sagt Breitenreiter. "Wir stehen jetzt durchgehend kompakt mit geringen Abständen", erklärt er. "So gelingt es, den Gegner vom Tor wegzuhalten. Bisher haben wir noch kein Kontertor zugelassen."

Auch für Breitenreiter selbst hat sich das Engagement in Hoffenheim bisher gelohnt. Schließlich schien seine Trainer-Karriere zwischenzeitlich in eine bedenkliche Phase geraten zu sein. Nach der erfolgreichen Zeit in Paderborn, das er 2014 in die erste Liga führte, landete er mit Schalke 04 im Jahr 2016 auf Platz fünf - was der Vereinsführung erstaunlicherweise nicht reichte. Breitenreiter ging, stieg kurz darauf mit Hannover auf und wurde 2019 auf einem Abstiegsplatz entlassen. Es war die erste Zäsur in seiner Trainerkarriere, nachdem man das Aus auf Schalke noch eher dem Arbeitgeber als dem Angestellten angekreidet hatte. Seit dem Rauswurf in seiner Heimatstadt Hannover war Breitenreiter dann ohne Engagement, ehe ihn 2021 der FC Zürich holte.

In Zürich vermissen sie Breitenreiter schon - sein Nachfolger wurde bereits freigestellt

Der Wechsel zum Schweizer Traditionsklub wurde für beide Seiten zum Glücksfall. FCZ-Präsident Ancillo Canepa hatte Breitenreiters Laufbahn zuvor genau beobachtet und bekam - wie ein Jahr später Hoffenheims Alexander Rosen - den Trainertyp, den er gescoutet hatte. Einen, der attraktiven Umschaltfußball spielen lässt und dabei undogmatisch agiert. Phasen längeren Ballbesitzes sind durchaus erwünscht. Lange Bälle auch. Wie sehr Breitenreiter dem volkstümlicheren der beiden Klubs aus Zürich fehlt, untermauert die Tatsache, dass sein Nachfolger Franco Foda nach zehn Niederlagen in 18 Pflichtspielen schon wieder freigestellt wurde.

In Hoffenheim ist derweil der Kontrast zu seinem Vorgänger auch in der Außendarstellung ziemlich offensichtlich. Während die Pressekonferenzen bei dem auf eine kompakte Absicherung bedachten Hoeneß oft kurze, nüchterne Veranstaltungen waren, beantwortet Breitenreiter ähnlich wie einst Julian Nagelsmann ausführlich fußballspezifische Fragen und wirkt dabei deutlich lockerer als in seiner Schalker Zeit, als er sich zuweilen von Feinden umzingelt fühlte. Auch seine immer wieder aufblitzende Ironie kommt bislang gut an im Kraichgau.

Überhaupt strahlt der oft sehr freudlose Verein derzeit eine erfreuliche Lockerheit aus. Dabei kam der Klub ziemlich lädiert aus der Corona-Pandemie, in der ihn offenbar nur der härteste Kern der Fanszene so vermisst hatte, dass er ihn auch wieder mal besuchen wollte. Nach den ersten Heimspielen als neuer TSG-Coach musste Breitenreiter deshalb viele Fragen zu den leeren Rängen (17 000 und 18 000 in den ersten drei Spielen) beantworten. Er tat das angemessen demütig und gab der Hoffnung Ausdruck, dass man die Leute durch attraktiven und erfolgreichen Fußball zurückerobern könne. Beim Sonntagsspiel gegen Freiburg (0:0), bei dem Kapitän Oliver Baumann sein 400. Bundesligaspiel bestritt, kamen dann immerhin auch wieder etwas mehr als 24 000 Zahlende.

Die Abwehr steht also, die weichen Faktoren passen. Und, fast hätte man es vergessen, die Ergebnisse tun das auch. Mit 13 Punkten aus sieben Spielen geht es nun zum Sonntagsspiel nach Berlin. Platz vier belegt die TSG in der Bundesliga-Tabelle. Und man interpretiert die branchenüblich-verquasten Floskeln von den "Zielen, die wir uns gesteckt haben", nicht völlig falsch, wenn man davon ausgeht, dass die TSG sich am Ende der Saison auch nur ungern deutlich unterhalb dieser Platzierung sähe.

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