Süddeutsche Zeitung

TSG 1899 Hoffenheim:Julian Nagelsmann: Jung, wild, offensiv

  • Julian Nagelsmann ist seit knapp 50 Tagen Trainer bei der TSG Hoffenheim.
  • In seinen sieben Partien feierte der 28-Jährige vier Siege. Im Vergleich zu Vorgänger Huub Stevens setzt der ehemalige Jugendtrainer die Offensive der abstiegsbedrohten Kraichgauer wiederbelebt.
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Von Benedikt Warmbrunn

Ende März ist Matthias Kaltenbach dienstlich in die USA geflogen, eigentlich wollte er sich dabei mit seinem Chef, der auch sein Freund ist, eine Harley mieten und über die Highways fahren, der Chef am Lenker, Kaltenbach als Beifahrer, so wie das auch sonst immer gut funktionierte. Wochenlang hatten sie sich darauf gefreut, aber nun, als Kaltenbach in den USA war, fuhr er im Auto über die Highways, alleine, am Lenkrad, er ist jetzt ja selbst der Chef, als neuer Trainer der U19 der TSG Hoffenheim. Sein bisheriger Chef dagegen war nicht dabei, aber Kaltenbach hat oft an ihn gedacht. Daran, dass ihm das bestimmt gut gefallen hätte, sie beide auf dem Motorrad, die endlosen Landschaften, und sonst nichts.

Ein paar Wochen vor dem Abflug nach Dallas aber ist Julian Nagelsmann, dessen Co-Trainer Kaltenbach in der U19 war, befördert worden, seit knapp 50 Tagen ist er Profitrainer in Hoffenheim. Beim Heimspiel am Sonntag (17.30 Uhr) betreut Nagelsmann zum achten Mal die Mannschaft, schon jetzt hat er einen der eindrucksvollsten Einstiege eines Trainers in die Fußball-Bundesliga hinter sich. Vier Spiele hat er gewonnen, nur zwei verloren, er hat die Mannschaft auf den Relegationsplatz geführt, vor allem aber hat er ihren Stil so erfrischt, dass sie eher zu den Favoriten im Abstiegskampf zählt.

So viel hat Nagelsmann verändert, dass er ganz vergessen hat, sich eines viel diskutierten Persönlichkeitsmerkmals zu entledigen. Und so ist er weiterhin gerade einmal 28 Jahre alt. "Es war mir bewusst, dass meine Verpflichtung ein paar Wellen schlagen wird", sagte Nagelsmann in dieser Woche, "ich kann aber gut damit leben." Er weiß, dass er bis Ende Juli ein 28-Jähriger bleiben wird, er weiß, dass sein Alter auch ein Thema bleiben wird, wenn er ein Jahr älter ist. Vor allem aber geht er davon aus, dass er auch als 29-Jähriger weiterhin ein Bundesliga-Trainer sein wird.

Er lernte, seine Emotionalität gezielt einzusetzen

Als Kaltenbach, der spätere Co-Trainer, Nagelsmann kennenlernte, war dieser 24 Jahre alt, zwei Jahre jünger als Kaltenbach, schon damals ist er ihm aufgefallen als "sehr, sehr selbstbewusst und sehr wissbegierig - und er hatte einen klaren Plan, wo es für ihn hingehen sollte". Dass dies die Arbeit in der Bundesliga sein sollte, traute sich Nagelsmann erst in den vergangenen Jahren zu, davor ging es ihm darum, sagt Kaltenbach, seine Vorstellungen umzusetzen.

Er führte Variationen in den Trainingsalltag ein, die sich bis heute in der Jugendabteilung der TSG gehalten haben. Er gewöhnte sich eine klare, präzise Sprache an. Er lernte, seine Emotionalität gezielt einzusetzen. Schon bald förderte ihn daher Anteilseigner Dietmar Hopp, der auch im vergangenen Sommer verhinderte, dass Nagelsmann in die Jugendabteilung des FC Bayern wechselte, obwohl ihn das durchaus gereizt hatte.

Als dann im Februar Huub Stevens aufgrund von Herzrhythmusstörungen vom Traineramt zurücktrat, übernahm Nagelsmann ohne zu zögern, im Sommer wäre er ja ohnehin auf Stevens gefolgt. Es war ein Übergang der Extreme, vom Prediger der Null mit seinem über die Jahre unveränderten Stil hin zu einem, der das Wilde und Forsche noch ausleben will, am liebsten, indem er 500 verschiedene Systeme ausprobiert. "Er steht für ein detailliertes Coaching", sagt Kaltenbach, "die Kunst, die er beherrscht, ist es, in der Kürze der Zeit Dinge zu erkennen und zu benennen."

Diesen Blick für Details kombiniert Nagelsmann mit einer Neigung zum Risiko. So erkannte er, dass die TSG sich so sehr auf das Torevermeiden konzentrierte, dass sie selbst nicht mehr vor das gegnerische Tor kam. Also setzte er auf offensivere Außenverteidiger, einer davon ist der 18-jährige Philipp Ochs, der zwar fast nie in der Abwehr gespielt, dafür seine Offensivstärke in der Jugend unter Nagelsmann mit 18 Toren nachgewiesen hatte. In der Mitte des Spiels vertraut er auf Fabian Schär, der zwar nicht schnell ist, dafür aber umso passsicherer.

Und im Sturm darf Kevin Volland wieder über die Flügel angreifen; in den sieben Spielen unter Nagelsmann war er an sieben Toren beteiligt. Diesen offensivfreudigen Stil hat der Trainer in seinen acht Jahren in der Jugendarbeit geformt. "Das ist ein aggressives Balljagen im Verbund, gepaart mit einem schnellen Umschalten", sagt Kaltenbach, "Ballbesitz will er am liebsten in der gegnerischen Hälfte, und dann als schnelles, einfaches Spiel mit zwei Kontakten."

Nagelsmann ist bekannt für seine emotionalen Ansprachen

Aus der Mannschaft berichten Spieler, dass der Trainer von allen anerkannt werde, selbst von einem Routinier wie dem 34-jährigen Kevin Kuranyi, der bisher unter Nagelsmann nicht eine Minute lang spielen durfte. Den Spielern gefällt, dass der Trainer jedes Lob und jede Kritik begründet, dass er nicht sagt: "Gut." Sondern: "Gut, dass du nach links gespielt hast." Dass er nicht sagt: "Schlecht." Sondern: "Das nächste Mal besser den diagonalen Ball." Kaltenbach, der weiterhin täglich mit Nagelsmann spricht, glaubt, dass wegen dieser Detailstrenge auch das Alter noch kein Thema in der Mannschaft war: "Gleich in seiner ersten Ansprache hat er klargemacht, dass es nicht darum geht, sondern um die Sache. Er überzeugt mit Fachwissen."

Als Jugendtrainer war Nagelsmann bekannt für seine emotionalen Ansprachen, "da hatte ich oft eine Gänsehaut", sagt Kaltenbach. Aus der Profi-Mannschaft berichten sie dagegen, "dass er klug genug war, zu wissen, dass er mit Haudrauf-Rhetorik jetzt nichts mehr erreichen würde". Auch Kaltenbach hat beobachtet, dass sich Nagelsmann "an der Seitenlinie etwas gemäßigt" habe. "Dass er weiter wahnsinnig emotional ist, merkt man spätestens in den Jubelszenen."

In der Mannschaft und auch in Nagelsmanns Umfeld wissen sie, dass die wirkliche Probe für den Trainer noch ansteht. Dann, wenn er ein paar Spiele nicht gewonnen hat, dann, wenn selbst seine präzisen Anweisungen am Erfolg vorbeigeführt haben. "Das ist aber keine Frage des Alters, sondern eine Frage des Könnens", sagt Kaltenbach, "und da ist er einfach auf einem sehr hohen Level." Im Sommer rückt Kaltenbach als Co-Trainer zu Nagelsmann auf, er glaubt an viele gemeinsame Jahre in der Bundesliga. Und dann ist vielleicht auch einmal Zeit für die Fahrt auf der Harley.

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SZ vom 02.04.2016/nste
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