Trikots:Trophäen aus Polyester

Milan Meinert

„Mbappé, bitte geben Sie mir Ihr Hemd“: Milan Meinerts höfliche Nachfrage hat auch in diesem Falle funktioniert.

(Foto: oh)

Milan Meinert, 14, reist zu Fußballspielen und sammelt Spielertrikots. Inzwischen hat er schon 87 Stück.

Von Sebastian Leisgang

Milan Meinert erinnert sich noch, als wäre es gestern gewesen. Das ist nicht bloß so dahingeschrieben, er hat tatsächlich noch alle Details im Kopf von diesem Tag im September 2018. Wie er gegoogelt hat, was "Bitte geben Sie mir Ihr Hemd" auf Französisch heißt. Wie er dann das Plakat bemalt hat, und wie Kylian Mbappé bei diesem Länderspiel in der Münchner Arena dann tatsächlich zu ihm gekommen ist, um ihm sein Hemd zu geben. "Ich dachte erst, er sieht mich nicht", sagt Milan, "aber dann ist er um die Ecke gekommen." Und jetzt hat er Mbappés Trikot.

Wenn man es genau nimmt, ist Mbappés Trikot nicht bloß ein Trikot - es ist eine Trophäe. Eine Trophäe aus hundert Prozent Polyester, dem Stoff, aus dem die Träume sind.

Ein warmer Donnerstagmittag im Juni, ein Mehrfamilienhaus in einem Hinterhof in Zirndorf-Weiherhof, nur ein paar Kilometer entfernt vom Stadion der SpVgg Greuther Fürth. Milan sitzt mit seiner Mutter Catja auf einer großen Couch und erzählt von einem Fürther Testspiel vor vier Jahren, einem 1:5 gegen Celta Vigo, eines der ersten Spiele überhaupt, das er sah. Allein das Ergebnis hätte seine Faszination für die Spielvereinigung erschüttern können, doch es tat ihr keinen Abbruch - es ist schließlich die Emotion, die Mensch und Klub zusammenführt, nicht das Spiel selbst.

Jetzt sagt Milan: "Gegen Celta Vigo habe ich von Goran Sukalo mein erstes Trikot bekommen." Das erste von nun 87, einer großen Sammlung, die ihm allerdings noch nicht groß genug ist. "Wenn ich in den nächsten drei, vier Jahren immer hundert schaff'", sagt Milan, "und das jedes Jahr so weitergeht, dann hab' ich in 40 Jahren ungefähr..." Er bricht den Satz ab und überlegt. Dann sagt seine Mutter Catja: "Aber er würde kein einziges hergeben."

Milan führt aus dem Wohnzimmer in einen Nebenraum, zu einer Kleiderstange, an der die Hemden von Mbappé, Sukalo und all den anderen hängen. Für die Spieler waren die Trikots, die hier aufbewahrt, ja behütet werden, nichts weiter als Arbeitskleidung, für Milan sind sie: Errungenschaften - und Lebensinhalt. "Später will ich mal Vereinsmitarbeiter werden", sagt Milan, "am besten bei Fürth. Zu denen sind die Spieler immer nett und geben Trikots ab. Und man darf unten am Platz stehen." Milan hat eine hohe Stimme, er ist ein schmächtiger Junge, es ist ihm nicht anzusehen, dass er schon 14 ist. Kaum eines der Trikots passt ihm, nicht mal das des feingliedrigen Julian Green, der ihm mal ein Nationaltrikot mit der Widmung "Für Milan" per Post geschickt hat.

Jetzt hängt es hier, neben all den anderen Trikots, von den Spielern getragen und nicht gewaschen, am befleckten Hemd des Düsseldorfers Rouwen Hennings ist das besonders gut zu erkennen. Es ist zu sehen, und man kann sich einreden, dass es auch zu riechen ist.

Fußball ist nicht mehr als ein Spiel, eine Nebensächlichkeit. Er erhält erst dann eine Bedeutung, wenn er über das Feld hinaus wirkt, wenn er eine Geschichte erzählt, wie die von Milan.

Die Meinerts haben das Geld nicht im Überfluss. Milans Mutter ist alleinerziehend und stemmt die Miete und all die Stadionbesuche mit ihrem Erziehergehalt. "Benzingeld, die Eintrittskarten, Getränke: Das geht schon ins Geld", sagt sie, "aber ich unterstütze Milan, weil es ein guter Halt für ihn ist, eine schöne Beschäftigung."

Wie zuletzt an einem Sonntagmittag Ende Mai. Milan kniet in einem Zugabteil vor seinem Sitz, er ist im Regionalexpress auf dem Weg nach München, ein Plakat, beinahe so groß wie er selbst, vor ihm auf dem Boden, einen roten Filzstift in der Hand. Er malt die einzelnen Buchstaben in Versalien aufs Papier: "Alphonso Davies. Please give me your jersey." Und eine Alternative für den Fall, dass Davies sein Jersey nicht rausrücken will: "Otschi Wriedt. Bitte geb mir dein Trikot." Das Aufstiegsspiel zwischen den zweiten Mannschaften des FC Bayern und VfL Wolfsburg steht an, die Bayern haben das Hinspiel 1:3 verloren, im Rückspiel gewinnen sie dann 4:1 und steigen in die dritte Liga auf, doch Milan geht leer aus. Davies kommt gar nicht erst an den Zaun, auf den er geklettert ist, Wriedt achtet nicht auf das Plakat. Bei besonders wichtigen Spielen, das hat Milan gelernt, stehen die Chancen schlecht. Die Spieler überlassen ihr Trikot in aller Regel dann ihrer Familie, "und wenn einer gegen seinen früheren Verein spielt, tauscht er das Trikot meistens".

Für die nächste Saison, sagt Milan, habe er schon "eine große Liste gemacht. Ich habe mir von jedem Verein zwei, drei Spieler ausgesucht." Etwa den neuen Leverkusener Moussa Diaby, "ein guter Freund von Kylian", berichtet Milan. Ganz so, als sei dieser Kylian ein guter Freund von ihm.

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