Süddeutsche Zeitung

Triathlon:Wie Jan Frodeno die Triathlon-Grenzen verschiebt

Lesezeit: 3 min

Von Johannes Knuth, Roth

Nach rund zweieinhalb Stunden rutschte dem Triathleten Jan Frodeno zum ersten Mal ein Lächeln raus. Es war so ein mattes Lächeln, das irgendwo zwischen Schmerzen und Glücksgefühlen eingefroren war. Frodeno war gerade den Solarer Berg hinaufgekraxelt, dort, wo es scheinbar keine Straße gibt, nur eine große, bunte Menschenmenge, die sich erst in letzter Sekunde teilt und für die Radfahrer einen schmalen Pfad freigibt, wie bei den Bergetappen der Tour de France. "Mir ist fast das Trommelfell geplatzt", sagte Frodeno später über diesen Moment, in dem es noch nicht für mehr reichte als für einen flüchtigen Genuss. Das änderte sich später, als er ins Zielstadion eintauchte, nach 3,8 Kilometern Schwimmen, 180 Kilometern Radfahren und 42,195 Kilometern Laufen bei der Challenge in Roth. An einem Tag, an dem er "die ganze Zeit mit dem Limit spielen musste", wie Frodeno befand.

7:35:39 Stunden, das ist die Zahlenkombination, die der Triathlet Jan Frodeno, 34, am Sonntag in die Geschichtsbücher seines Sports gemalt hat. Schneller hat bislang noch kein Triathlet eine Langdistanz hinter sich gebracht, weltweit nicht. Der Rostocker Andreas Raelert hatte vor fünf Jahren knapp sechs Minuten länger für seine damalige Weltbestmarke benötigt. Frodenos Verfolger folgten am Sonntag sogar mit mehr als 20 Minuten Abstand, der Brite Joe Skipper (7:56:23) und der Vorjahressieger Nils Frommhold (7:57:49) etwa. Frodeno hatte also genug Zeit, im Ziel die ersten Glückwünsche von Renndirektor Felix Walchshöfer und von seiner Ehefrau Emma anzunehmen (im Liegen), die ersten Interviews zu führen (in der Hocke) und weitere Gratulanten im Stadion abzuklatschen (im Schritttempo). Vor allem Walchshöfer war die Genugtuung bei der 15. Auflage seiner Challenge in Roth anzusehen, Frodeno war zuvor ja meistens bei den Rennen der konkurrierenden Ironman-Gruppe gestartet.

Der Auftritt der Schweizerin Daniela Ryf (8:22:04) ging da fast ein wenig unter. Vor rund zwei Wochen hatte sie die EM in Frankfurt abgebrochen, am Sonntag rückte sie nahe an die unwirkliche Weltbestmarke der Australierin Chrissie Wellington heran (8:18:13). Und vielleicht war das ja eine beruhigende Botschaft, die den Sonntag abrundete: So ganz einfach lassen sich die Grenzen bei dieser stundenlangen Quälerei dann auch wieder nicht verrücken.

Weltbestzeiten im Langstreckentriathlon wohnt eine begrenzte Aussagekraft inne, zu unterschiedlich sind die Strecken, die klimatischen Bedingungen, durch die sich die Fahrer kämpfen. Und so manche famose Bestmarke wurde in den neunziger Jahren erschaffen, als sich das Blutdopingmittel Epo noch nicht nachweisen ließ. Nun, die Kontrollsysteme haben sich zumindest ein wenig verbessert. Und dass Frodeno eine besondere Begabung für diese stundenlange Quälerei in sich trägt, hat sich schon vor ein paar Jahren abgezeichnet, als der Olympiasieger von 2008 vom Kurz- ins Langdistanzgewerbe wechselte.

Am Sonntag zerfiel das Rennen dann früh in zwei Wettbewerbe, in den von Frodeno und vom Rest. Nach vier Minuten löste er sich im Main-Donau-Kanal aus dem Feld, beim Radfahren legte er Minute um Minute zwischen sich und die Verfolger. Nach 120 Kilometern ein Schreckmoment, Frodeno schlitterte in den Graben, er kam weitgehend unversehrt davon. "Ich weiß nur noch nicht, ob ich noch ein zweites Kind haben kann", sagte er, seit einem halben Jahr Vater eines Sohnes. Kurz darauf bog plötzlich ein Auto aus einer Einfahrt auf die Strecke, warum auch immer; Frodeno wich gerade noch aus. Er setzte eine Grußbotschaft ab, dann fuhr er weiter, er hielt auch im Marathon seinen virtuellen Vorsprung auf Raelert. Auch wenn ihm "stets der Anhaltspunkt fehlte", wie er später sagte. Am Ende hatte man den Eindruck, als könnte sich Frodeno doch noch im Nebel seiner Schmerzen verirren, schwer wog jeder Schritt, als würde an jedem seiner Laufschuhe ein unsichtbares Gewicht hängen. "Ich bin einfach dankbar, dass ich nicht eingebrochen bin", sagte Frodeno, "aber es gab keine andere Wahl, als volles Risiko zu gehen. Die Marke soll ja noch die nächsten zwei, drei Jahre halten."

"Noch nicht das perfekte Rennen"

Es sieht schwer danach aus, als tauche Frodeno gerade in die Hochphase seiner Schaffenskunst auf der Langstrecke ein. Mit seinen 34 Jahren steckt er mittendrin in der Ü30-Klasse, die in diesem zehrenden Ausdauergewerbe stark vertreten ist. Und auch sonst wirkt er in diesen Tagen aufgeräumt, aufgeräumter als früher. Früher habe er, wenn er sich ins Ziel geschoben habe, schon mal gedacht: "Mann, was bin ich geil." Er wollte auch auf allen Hochzeiten tanzen, mit jedem befreundet sein, abends dann auch noch weggehen. Aber manchmal kann es ja auch ein Gewinn sein, wenn man mal etwas weglässt. Er habe sich überlegt, für welche Unternehmungen er einen Trainingstag opfern wolle, erinnert sich Frodeno "das sind mittlerweile sehr wenige Dinge". Und er habe begriffen, hat er zuletzt erzählt, "dass ich das alles ohne meine Familie und ohne meine Freunde nicht auf die Reihe kriegen würde".

Und jetzt, wenn man nahezu sämtliche Hauptpreise seines Sports erstanden hat, nach EM- und WM-Titel im vergangenen Oktober? "Naja", sagte Frodeno, "im Marathon hatte ich heute höllische Höhen und Tiefen." Die erste Schleife mit dem Rad, "die war ein bissel defensiv". Im Oktober wartet auf Hawaii das nächste Duell mit Sebastian Kienle, der vor zwei Wochen die EM in Frankfurt gewonnen hatte. "Ich liebe diesen Sport, ich wüsste gar nicht, was ich sonst machen sollte", sagte er. Und der Sonntag in Roth, fand Jan Frodeno, war noch nicht das perfekte Rennen.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2016
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