Süddeutsche Zeitung

Triathlon:"Talentfrei" zu Olympia

  • Triathlet Jonas Schomburg hat sich für die Olympischen Spiele in Tokio qualifiziert. Sein Ziel ist eine Medaille.
  • Dabei urteilte die Deutsche Triathlon-Union (DTU) noch vor sechs Jahren, Schomburg sei "talentfrei" und strich ihn aus dem Kader.
  • Über die Türkei, Südafrika und Frankreich kämpfte sich Schomburg zurück.

Von Johannes Knuth

Mittlerweile, sagt Jonas Schomburg, sei er doch ganz froh, dass er im Lateinunterricht aufgepasst hat. Er ahnte damals natürlich nicht, dass ihm die romanischen Sprachfertigkeiten noch mal zugutekommen sollten, weil es ihn als Profi-Triathleten in eine französisch-belgisch-schweizerische Trainingsgruppe treiben sollte. Im vergangenen Dezember war es jedenfalls so weit. Er packte die alten Französisch-Schulbücher seines Bruders ein, zog nach Grenoble, paukte jeden Tag 30 Minuten mit seinen Trainingspartnern die neue Dienstsprache, die Lateinkenntnisse waren da nicht hinderlich. Und Schomburg ist ohnehin einer, der sich immer wieder an neue Umstände gewöhnen musste; einer, der gelernt hat, dass es (fast) immer einen Weg gibt. Auch wenn der auf den ersten Blick noch so beschwerlich wirkte.

Vor Kurzem hat Jonas Schomburg aus Hannover-Langenhagen seine bislang schwerste Etappe auf diesem Pfad absolviert. Zehnter wurde er beim Testrennen der Triathleten in Tokio, auf der olympischen Distanz über 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren und zehn Kilometer Laufen. Das reichte, um die Zulassung des Deutschen Olympischen Sportbunds für die Sommerspiele 2020 zu schaffen, und für seinen kleinen Verband, die Deutsche Triathlon Union (DTU), ist das eine durchaus große Hilfe: Die Glanzzeiten mit Jan Frodenos Olympia-Gold 2008 sind ja längst blasse Erinnerungen; während deutsche Triathleten seit Jahren auf der Langstrecke brillieren, ist die olympische Distanz ein Ressort im ständigen Umbau. Jetzt sind da zumindest wieder ein paar Boten des Aufschwungs: die 23 Jahre alte Berlinerin Laura Lindemann etwa, die in Tokio nun ebenfalls ihr Olympia-Startrecht erwarb, und eben Schomburg, der gezeigt hat, dass sogar ein erzwungener Umweg ans Ziel führen kann.

Wenn man Schomburg darauf anspricht, hört man, dass sein Ärger darüber noch nicht restlos verraucht ist. Es war in der Saison 2012/13, seine Karriere sollte gerade Schwung aufnehmen, als sie plötzlich fast zerbröckelte. Schomburg sei "talentfrei", meinten sie im deutschen Verband erkannt zu haben - er schwamm und radelte zwar gut, doch beim abschließenden Laufen rutschte er oft weit zurück. Er verlor seinen Kaderplatz und damit fast alle Perspektiven. Als Athlet kann man im olympischen Sport allerdings oft leicht den Nationalverband wechseln - nach einem Jahr unter neutraler Flagge darf man für die neue Nation starten-, die Olympiamacher sehen es gern, wenn viele Verbände mit vielen Athleten bei ihrem Hauptevent vertreten sind. Schomburg schloss sich 2014 dem türkischen Verband an, er kannte den dortigen Cheftrainer; seine Eltern, beide Lehrer, schulterten fast alle Kosten. Er tingelte vor den Spielen 2016 von Wettkampf zu Wettkampf, am Ende fehlten ihm ein paar läppische Qualifikationspunkte. "Ich habe danach fast eine Woche lang geheult", erinnert er sich. Aber talentfrei, das hatte er immerhin nachgewiesen, war er sicher nicht.

Heute schätzt Schomburg den Wert dieses Umwegs. "Ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen", sagt er, da habe er sich viel Trotz und Hartnäckigkeit antrainiert. Es war vielleicht auch gar nicht so schlecht, dass er damals dem Trubel im deutschen Verband entkam, wo sie nach den verpatzten Rio-Spielen um ein internes Qualifikationsformat für die Weltcuprennen stritten. Schomburg trainierte oft für sich, auch als er 2017 in die DTU zurückkehrte, wo er durch die Sportgruppe der Bundeswehr mittlerweile besser gefördert wird. Wobei er merkte, dass die einsamen Einheiten - ein halbes Jahr Südafrika etwa - auch ihre Nachteile hatten: "Alleine kannst du dich einfach nicht so pushen." Dann erzählte ihm Léo Bergère, ein französischer Triathlet, von dieser Gruppe in Grenoble.

Bergère hatte sich dort mit ein paar Kollegen in einer Trainingszelle jenseits der Verbände eingerichtet, mit einem eigenen Trainer, und neben ihren Qualitäten als Sprachlehrer überzeugten sie Schomburg vor allem mit ihrem flotten Programm. "Es gibt in Deutschland keine Trainingsgruppe auf dem Niveau", sagt er. Allein die Berge rund um Grenoble, wo es "fast nur rauf und runter" gehe, hätten seine Kraftausdauer auf ein neues Niveau gehoben. Er habe auch an vielen Kleinigkeiten gefeilt, an Kraft- und Stabilitätsübungen fürs Laufen etwa; oder wie man noch schneller durch die Kurven im Gebirge rauscht, was ihm auf den immer anspruchsvolleren Radschleifen der WM-Serie helfe. Vor dem Rennen in Tokio wurde er Zehnter in Leeds, Elfter in Yokohama, er hat es in diesem Jahr in die erweitere Weltspitze geschafft. Schomburg ist noch immer einer, der gerne die Welt bereist im Dienste seines Sports, aber wenn er von seinem neuen Lebensmittelpunkt erzählt, klingt er so, als habe er seinen Platz gefunden.

Und so fließt gerade einiges zusammen in seinem Triathlonleben: Die Erfahrungen der Umwege ("Ich war zuletzt auch einfach besser vorbereitet"); sein Lehramtsstudium, in dem er gerade ein Urlaubssemester eingelegt hat, um bis Tokio alles dem Sport zu widmen; das schwülheiße Klima, das er in Südafrika oft erlebte und das ihm im schwülheißen Tokio weniger Sorgen bereiten dürfte als vielen Konkurrenten; der kurvenreiche Olympiakurs, auf dem man sich früh an der Spitze zeigen muss, was dem guten Schwimmer und Radfahrer Schomburg sehr entgegenkommt. "Eine Medaille", sagt er, "nehm' ich mir für Tokio schon vor." Es ist eine mutige Ansage, aber es wäre nicht das erste Mal, dass er den einen oder anderen Skeptiker widerlegen würde.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2019
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