Süddeutsche Zeitung

Triathlon:Extrem ätzend, aber schön

Lesezeit: 4 min

Von Johannes Knuth

Jan Frodeno hatte es jetzt ganz schön eilig, aber für eine Sache war dann doch noch Zeit. Er stand auf von einer Bank im Wechselzelt, in dem er sich gerade die Laufschuhe angelegt hatte für die abschließenden 42,195 Kilometer beim Ironman in Frankfurt. Dann ging er ruhigen Schrittes zu Sebastian Kienle, seinem ärgsten Widersacher.

Kienle hockte ein paar Bänke weiter mit einem Gesicht, in dem es sich der Schmerz schon ordentlich bequem gemacht hatte. Eine Ärztin pflückte ihm gerade einen Splitter aus dem Fuß, er hatte ihn sich wohl beim 3,8 Kilometer langen Schwimmen eingefangen - was Kienle aber nicht davon abgehalten hatte, auf der folgenden, 185 Kilometer langen Radstrecke zum führenden Frodeno aufzuschließen. Letzterer erkundigte sich nun bei Kienle, ob ihr Duell sich fortsetzen würde - manchmal ist es ja nur ein Moment an diesem ewigen Tag auf der Triathlon-Langstrecke, der alle Pläne zerschmelzen lässt.

Sebastian Kienle hat sich am Ende durchgebissen, aber gegen diesen Frodeno war am Sonntag nichts zu machen, mal wieder. Der 37-Jährige gewann im Frankfurter Glutofen in 7:56:02 Stunden, knapp vier Minuten vor Kienle und 21:11 Minuten vor Franz Löschke, der das deutsche Podium komplettierte. Für Frodeno war es auch ein Punktsieg im Dreikampf der deutschen Großmeister, der in diesem Jahr so knisternd ist wie vielleicht noch nie. Neben Kienle und Frodeno war auch Patrick Lange in Frankfurt am Start, Sieger 2017 und 2018 bei der mythenumwehten Ironman-Prüfung auf Hawaii. Doch der 32-Jährige erwischte am Sonntag einen dieser furchtbaren Tage, die auf der Langstrecke eben auch dazugehören. Und Frodeno brauchte im Ziel immerhin ein paar Minuten, eher er auf seinen wackeligen Beine stand und von einem "wirklich harten Kampf" sprach. Frankfurt hatte nicht nur Ausdauer und Hitzeresistenz gefordert, sondern Fertigkeiten in Orthopädie, Mechanik und Querfeldein-Fahren.

Lange und Frodeno hatten das Rennen zuvor eröffnet, indem sie einen Kampf "um die deutsche Ehre" ausriefen, und das geht bei den Deutschen mittlerweile ein bisschen über das Sportliche hinaus. Kienle und Frodeno hatten sich von 2014 bis 2016 viele Titel aufgeteilt, Kienle gewann 2014 auf Hawaii, Frodeno folgte 2015 und 2016; der ehemalige Kurzdistanz-Olympiasieger erschuf in Roth zudem eine Weltbestzeit (7:35:39). Lange stand derweil, nach Jahren in der Mittelmäßigkeit, an einer Gabelung - Sport oder doch schon ins echte Leben abbiegen? Er hievte sich mit seinen Kona-Siegen dann ruckartig in die Spitze; vor einem Jahr unterbot er auf Hawaii sogar die Acht-Stunden-Marke, als erster Triathlet überhaupt. Doch der Aufstieg verlief nicht ruckelfrei, zuletzt bekamen sich Lange und Kienle auf Kona in die Haare - Kienle polterte, dass Lange den Mindestabstand beim Radfahren oft nicht einhalte und vom Windschatten profitiere. Mittlerweile sind die Spannungen abgeflaut, aber es ist auch nicht so, dass man beide einträchtig auf jeder Pasta-Party antrifft.

Auch sonst brachte am Sonntag jeder Athlet eine kleine Vorgeschichte mit. Frodeno hat zwei pannenanfällige Jahre hinter sich, auf Hawaii fand er nach Rückenbeschwerden spät ins Ziel, zuletzt musste er verletzungsbedingt passen. Kienle hockte dort im Vorjahr tief enttäuscht am Straßenrand: Seine Achillessehne, die ihm seit Jahren Probleme macht, schmerzte fürchterlich, ein Neubeginn war nötig. Den ging der 34-Jährige mit neuem Trainer (Philipp Seipp statt Lubos Bilek) und einer Erkenntnis an: "Dass ich kurz raus war aus meinem Sport, hat mir auch gezeigt, wie sehr ich ihn noch liebe." Und Lange, der hatte sich zuletzt zwar als Spezialist für Hawaii etabliert, aber diese Ironman-Europameisterschaft in Frankfurt, in der Nachbarschaft seiner langjährigen Heimat Darmstadt, war ihm nie richtig geglückt. Jetzt wollte er "endlich einen raushauen", nur: Einen raushauen ist auf der Langstrecke etwa so planbar wie schönes Wetter für eine Gartenparty im deutschen April.

Frodeno verlor seine Trainflaschen, nicht aber die Fassung

Frodeno stieg am Sonntag als Erster aus dem Wasser, Kienle und Lange folgten knapp dahinter. Kienle, der beste Radfahrer im Feld, überholte Lange bald darauf, Frodeno verschätzte sich derweil vor einem Kreisverkehr und rauschte ins Gras - er verlor seine Trinkflaschen, nicht aber die Fassung. Beim letzten Wechsel waren Kienle und Frodeno dann gleichauf, obwohl Kienles Hinterrad nach und nach Luft verloren hatte, und er trug ja noch diesen Splitter im Fuß. Und Lange? Der hatte einen Platten, den er mit schwitzigen Händen reparierte - fremde Hilfe ist beim Triathlon verboten. Als er das Rad verließ, war die Spitze schon um eine halbe Stunde enteilt.

Auch Kienle hatte bei dem Spontan-Eingriff im Wechselzelt Zeit verloren, nach 15 Kilometern hatte er Frodeno aber überraschend eingeholt. Doch der zog bald wieder davon, er überrundete sogar Lange, den bärenstarken Läufer. Der war längst von heftigen Magenproblemen geplagt, er schleppte sich am Ende mit fast einer Stunde Rückstand auf Frodeno ins Ziel, um wenigstens die Hawaii-Teilnahme zu sichern. Frodeno erinnerte beim Zieleinlauf wiederum an einen schwer getroffenen Boxer, aber als Sieger schmeckte das Gefühl der Erschöpfung ungleich süßer. "Das war eines meiner schönsten Rennen", sagte Frodeno, "auch wenn es gerade extrem ätzend ist." Und Kienle befand, mit Blick auf die vielen Kämpfe, die er in der Hitze mit sich ausgetragen hatte: "In meinem Kopf hätte man Eier kochen können."

Wie riskant diese Hitze von bis zu 34 Grad werden kann, zeigte das Rennen der Frauen: Die lange führende Sarah True (USA) brach 1000 Meter vor dem Ziel zusammen, war später aber wohlauf. Der Sieg ging an Landsfrau Skye Moench.

Und Frodeno? Zieht nun mit dem Bonus der starken Generalprobe nach Kona, auch wenn solche Vorteile dort schnell wieder verdampfen: "Ich gehe gerade jedes Rennen wie das letzte an", hatte Frodeno zuletzt gesagt. Er weiß ja längst, wie rasch in seinem Sport alles vorbei sein kann.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2019
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