Triathlon:Die Kraftzelle Frankens

Lesezeit: 4 min

7500 Ehrenamtliche richten den kleinen Ort Roth her als Bühne für die Triathlon-Challenge. Detlef Kühnel importierte die Idee des Ausdauerdreikampfes einst aus Hawaii - inzwischen ist Roth selbst eine Größe in der Szene.

Von Johannes Knuth

Anfang Juli, da erleben sie in Roth Jahr für Jahr eine Art fünfte Jahreszeit, die jedes Mal die gleiche ist und doch immer ein wenig anders. Dann verändert sich der Ort, der ansonsten gemütlich im fränkischen Seenland liegt, in einen Sammelpunkt der Ausdauerszene. Geschäfte dekorieren ihre Schaufenster mit Rennrädern und Laufschuhen, Schüler malen Fahnen, die überall im Ort hängen. Und immer mehr Athleten lassen sich blicken; manch einer trainiert auf Fahrrädern so teuer wie ein Kleinwagen und wohnt bei einer Familie im Umland - weil die Hotels nicht mal annähernd ausreichen, um allein jene 3400 Starter zu beherbergen, die diesmal beim Triathlon in Roth mitmachen; am Sonntag ist es wieder so weit. Und noch etwas sei immer gleich, sagt Felix Walchshöfer, der Rennleiter: Die Botschaft nämlich, die jeder mitbekommt, sobald er in Roth eintrifft: "Es ist hier wirklich jeder beim Triathlon dabei", sagt Walchshöfer, von der Großmutter bis zum Erstklässler.

Es gibt diese kleinen Orte, die durch den Sport zu einer Größe finden, die man ihnen nur einmal im Jahr richtig ansieht. Kitzbühel und Wengen mit ihren alpinen Abfahrten, Wimbledon mit dem Tennis, Götzis mit der Leichtathletik. Oder eben das mittelfränkische Roth mit seinen 25 000 Einwohnern, die fast alle mit diesem Triathlon vernetzt sind, der sich ohne Übertreibung als eine der Wiegen der Langdistanz in Deutschland verstehen darf. Detlef Kühnel war es, der in den 1980ern die Idee des oft mythisch umwehten Ausdauerdreikampfes aus Hawaii nach Roth importierte, er hatte beim Ur-Rennen auf Kona mitgemacht. Vor 35 Jahren richtete er mit dem TSV 1859 Roth den ersten deutschen Triathlon mit internationaler Elite aus (der erste deutsche Triathlon mit internationaler Beteiligung fand 1983 in Immenstadt im Oberallgäu statt). Vier Jahre später boten sie schon die erste Langdistanz an: 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42,195 Kilometer Laufen. Bis 2001 kauften sie die Lizenz der amerikanischen Ironman-Kette, die den Hawaii-Wettkampf veranstaltet, Roth war so ein Qualifikationsrennen für den Jahres-Höhepunkt. Bis Kühnel und Herbert Walchshöfer, den damaligen Organisatoren, die Vorgaben der Amerikaner zu unverschämt wurden.

Auch die Challenge-Serie ist längst ein Geschäft, mit Rennen in Mexiko und Vietnam

Die Rother erfanden dann halt ihr eigenes Rennen, aus dem bald eine Wettkampfserie wuchs, die Challenge, Herausforderung. Das traf zunächst vor allem auf ihr neues Format zu. Sie wussten ja nicht, ob ihnen Sponsoren und Athleten treu bleiben oder sich dem Ironman in Frankfurt anschließen würden, der seitdem als Qualifikation für Kona gilt - und der forsch versprach, man werde Roth den Rang ablaufen. "Es war alles andere als einfach", erinnert sich Felix Walchshöfer, das ist alles andere als übertrieben. Doch seine Familie behielt die Ruhe, auch als Walchshöfers Vater Herbert 2007 starb. Heute gehören Mutter Alice, Felix und Schwester Kathrin die Teamchallenge GmbH, und wenn man sich die Geschichte dahinter anschaut, kann man einiges über die Urheber des Spektakels lernen, die Franken an sich.

Ein Anruf bei Ralph Edelhäußer genügt, er ist Bürgermeister in Roth und spricht mit diesem Idiom, das auch schon viel über die Franken erzählt: ein bisschen knorrig, schwungvoll, herzhaft. "Wenn du hier neu bist, in eine Wirtschaft gehst, dann wartet der Franke erst mal, bis du auf ihn zukommst", sagt Edelhäußer. "Aber wenn du ihn überzeugt hast, dann hast du einen Freund fürs Leben." Die Walchshöfers wussten natürlich, wie sie ihre Landsleute anpacken mussten. Sie vermittelten ihnen, dass Roth "nicht das Rennen der Familie Walchshöfer ist", wie Felix Walchshöfer sagt, sondern das einer Region. Und so machten bald auch (fast) alle mit: Familien, die seit 25 Jahren dieselben Athleten kostenslos beherbergen, als einer von 1000 "Homestays"; Dreijährige, die das Helfer-T-Shirt wie ein Nachthemd tragen und Athleten nasse Schwämme zur Abkühlung reichen; die Zuschauer am Solarer Berg, die nicht auch noch die Langsamsten die Steigung hinaufbrüllen wie im Hochgebirge bei der Tour de France - was Felix Walchshöfer, als er vor fünf Jahren selbst in Roth mitmachte, die Tränen in die Augen trieb ("Gott sei Dank hatte ich eine Sonnenbrille"). Und da sind die Helfer, die am Morgen nach dem Rennen mit Kaffee und Brötchen all die Athleten versorgen, die in der Nacht vor dem Rennbüro gecampt haben, weil sie dort einen der 1000 Startplätze fürs nächste Jahr ergattern wollen.

Ihre Grundidee, die haben sie in Roth in 35 Jahren kaum verändert: Breiten- und Leistungssport zu verzahnen, vom Juniorenrennen über die Bürgermeister-Staffel bis zum großen Triathlon. Aber Felix Walchshöfer weiß natürlich, dass es in Zeiten der Eventkultur auch für Klassiker kaum Gewissheiten gibt: "Wir wollen und müssen jedes Jahr einen drauflegen", sagt er. Diesmal haben sie das Zielstadion in eine geschlossene Arena verwandelt und mit digitalen Werbebanden ausgestattet, sie haben das Messe-Gelände mit seinen vielen Verkaufsständen um ein kleines Kino erweitert, in dem sie Dokumentationen zeigen, der Bayerische Rundfunk überträgt das Rennen erstmals in voller Länge - auch im Internet, wo die künftige Generation an Stammgästen unterwegs ist. Es fällt ihnen bis heute nicht schwer, sich als Gegenentwurf zu den kühlen Geschäften der Ironman-Kette zu präsentieren. Die wurde vor knapp vier Jahren an das chinesische Dalian-Wanda-Imperium verkauft, für 650 Millionen Dollar (was auch ein Grund war, weshalb Jan Frodeno vor drei Jahren in Roth statt Frankfurt startete und dabei seine Weltbestzeit erschuf). Auch die Challenge-Serie der Walchshöfers ist längst ein Geschäft, mit Rennen in Mexiko, Tschechien und Vietnam. Aber da ist "nichts Aufgesetztes", findet Edelhäußer, und der Erfolg gibt ihnen ja recht - 260 000 Zuschauer werden diesmal erwartet, was das Rennen zum größten Eintages-Event in Bayern macht, wie sie in Roth ausgerechnet haben. 12 Millionen Euro sollen in der Region hängen bleiben. 30 Sekunden dauerte es, bis 1000 Startplätze weg waren, die im Internet ausgeschrieben waren. Bei den Profis sind sechs der besten zehn Männer des vergangenen Hawaii-Ironmans am Start (aber keiner der besten Deutschen, die zuletzt in Frankfurt ihre Kona-Teilnahme sicherten), bei den Frauen ist die Britin Lucy Charles Favoritin.

Und auch bei den Helfern rechnen sie mit einer neuen Bestmarke: 7500 sollen es diesmal sein, und das in Zeiten, in denen viele Vereine immer weniger Ehrenamtliche finden. Felix Walchshöfer und seine Schwester fahren auch deshalb jedes Jahr mit dem Motorrad alle Stationen ab, um sich bei so vielen Freiwilligen wie möglich zu bedanken. Das Große kann eben auch nur dann funktionieren, wenn es sich seiner Kraftzelle im Kleinen bewusst ist.

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: