Trennung von Jens Keller:Schalke giert nach Schampus

File picture of Schalke 04's coach Keller leaving

Jens Keller: Keine Zukunft mehr auf Schalke

(Foto: REUTERS)

Richtig glücklich waren sie auf Schalke mit Trainer Jens Keller nie. Jetzt muss er gehen. Nachfolger Roberto Di Matteo soll dem Team eine Identität verleihen - und Erfolg.

Von Jonas Beckenkamp

Es ist nicht auszuschließen, dass an diesem Morgen ein riesiger Seufzer der Erleichterung durch den Großraum Gelsenkirchen wehte. Im Ruhrgebiet sind die Menschen eigentlich unerschütterlich, aber für all jene, die es mit dem FC Schalke 04 halten, waren die vergangenen Monate doch eine ziemliche Tortur. Kaum eine Mannschaft im deutschen Profifußball unterliegt solchen Leistungsschwankungen - Schalke, das war zuletzt mal Schampus und dann wieder schales Pils.

Viele der Debatten hingen sich an Trainer Jens Keller auf, doch der ist nun entlassen worden. Nicht wenige Königsblaue werden sagen: endlich. Wie der Verein am Dienstag mitteilte, wird der ehemalige Chelsea-Coach Roberto Di Matteo sein Nachfolger, mit weiterem Gezerre um einen neuen Ideengeber wollte man sich offenbar gar nicht erst aufhalten. Der 44-Jährige Italiener, gebürtig im schweizerischen Schaffhausen, erhält einen Vertrag bis 30. Juni 2017 und wird am Mittwoch (13.00 Uhr) vorgestellt.

Der Trainerwechsel ist in vielerlei Hinsicht eine Reaktion auf die allgemeine Stimmungslage rund um den Klub, dessen Ansprüche viel höher sind, als es die Realität hergibt. Schalke ist seit Jahren gefühlter Titelkandidat, derzeit taumelt das Team aber auf Platz elf durch den Graue-Maus-Bereich der Liga. Nur zwei Siege aus zehn Pflichtspielen und das Aus im DFB-Pokal hatten die Klubführung nachhaltig alarmiert - es musste sich was tun.

"Die Leistungen der Mannschaft in den vergangenen Wochen sind immer wieder starken Schwankungen unterlegen gewesen", kommentierte Schalke-Manager Horst Heldt laut einer Mitteilung die Trennung. Auch positive Ansätze wie die sieben Punkte aus der englischen Woche mit dem lebenswichtigen Derbysieg gegen Dortmund hätten leider keine nachhaltige Wirkung gezeigt. "Es fehlt die notwendige Konstanz, um unsere gesteckten sportlichen Ziele zu erreichen. Daher haben wir uns dazu entschieden, einen Schnitt zu vollziehen", so Heldt. Es sind die typischen Worte nach einem Rauswurf - vor Keller hatte es in dieser Saison bereits Mirko Slomka in Hamburg erwischt.

Wunsch nach einem Klopp-Tuchel-Guardiola-Klon

Die Ära Keller war rein sportlich gesehen nie von besonderer Entwicklung geprägt, seit der 43-Jährige im Dezember 2012 das Amt von Huub Stevens übernommen hatte. Keller kam nach vielen Jahren in seiner Stuttgarter Heimat von einer Trainerstation bei der U17 von S04 - und wurde zur Überraschung vieler zum Chefcoach ernannt. Schon damals hätten sich Teile der Fans lieber einen Mann mit mehr konzeptuellen Ideen an der Seitenlinie gewünscht, einen moderneren Klopp-Tuchel-Guardiola-Klon, der Fußball mit Pfiff und Plan spielen lässt. Doch Schalke bekam: den Pragmatiker Keller.

Die Beziehung zwischen dem schwäbischen Ballflachhalter und den gerne euphorischen Gelsenkirchenern erwärmte sich in der Folge nie besonders, obwohl der Coach durchaus Erfolge vorweisen konnte. In seinem ersten Jahr führte er das Team in die Champions League und nach einer durchwachsenen Hinrunde folgte in der vergangenen Saison die beste Rückserie der Vereinsgeschichte mit der Punktlandung auf Platz drei. Schalke und Keller - das war eine immer währende Achterbahnfahrt.

Handwerklich galt sein Wirken als passabel, er zeigte sich vor allem in seiner zweiten Saison nervenstärker und beharrlicher, auch in der Mannschaft fand er Akzeptanz. Trotzdem blieb die finanziell hochgerüstete Elf immer ein großes Fragezeichen. Manager Heldt, der lange zu seinem sportlichen Leiter hielt, äußerte sich bereits vor einem Jahr nach einem enttäuschenden 3:3 gegen Hoffenheim mit drastischen Worten über den Zustand des Schalker Gesamtgebildes.

"Wir haben die Gewissheit, dass wir keine Gewissheit haben." So klang das. Oder so: "Hören Sie mir auf mit dieser scheiß Mentalitätsfrage! Wir haben individuell wahnsinnige Fehler gemacht." Und: "Das hat bei dem ein oder anderen mit der Birne zu tun." Solche Statements trugen nicht zum Kreditgewinn Kellers bei und auch wenn es bis heute kaum "Keller-raus-Rufe" aus der Fankurve gab, bleibt der Eindruck: Echte Liebe sieht anders aus.

Immer wieder Überlebens-Resultate

An diesem Wochenende ähnelten Heldts Aussagen nun auf verblüffende Weise jenen Tiraden von vor zwölf Monaten: "Wir haben keine Konstanz, es ist ein ständiges Auf und Ab." Oder: "Verletzungen und Belastungen durch die englischen Wochen sind keine Erklärung." Und: "Das geht natürlich so nicht weiter." All diese Giftpfeile ließ Heldt am Samstag nach dem 1:2 (0:2) in Hoffenheim in Richtung des Trainers los.

Die Kritik des Managers führt zum Kern des Problems unter Keller: Dem Coach gelang es auf lange Sicht nie, der Mannschaft eine Identität einzuhauchen. Es fehlte eine attraktive Spielidee, es mangelte an Entwicklung und irgendwie ist heute kein Spieler besser als noch zu Stevens' Zeiten. Wer Schalke spielen sah, erlebte zu oft ein Team im Flairbereich einer Betriebssportgruppe. Besonders von außen prasselte heftige Kritik auf den mitunter blassen Keller ein, sein Standing in den Medien war nie besonders gut - da half es auch nichts, dass er intern durchaus anders wahrgenommen wurde.

"Ich habe manchmal das Gefühl, er kann machen, was er will - für die Medien macht er es nie recht", ließ Schalke-Chef Clemens Tönnies einst wissen. Dass die Klubverantwortlichen selbst mit ihren Avancen in Richtung Thomas Tuchel im vergangenen Januar Kellers Standing untergruben, weckte aber ebenso wenig Vertrauen.

Frühe Gespräche mit Di Matteo

Kellers Entlassung war mehrfach ein Thema in Gelsenkirchen, doch immer wenn die Dinge kurz vor knapp standen, gelangen dem Trainer Überlebens-Resultate wie das 1:1 beim FC Chelsea in der Champions League oder zuletzt der Derby-Sieg gegen den BVB. Keller selbst blieb immer ruhig, er versuchte einfach durchzukommen, weiterzumachen, auf das nächste Spiel zu hoffen - und war somit nur ein Verwalter seiner selbst. Dass es im Fußball mit dem Heuern und Feuern häufig ganz schnell gehen kann, hatte er schon vor seiner Zwangsdemission erkannt: "Ich weiß gut, dass Fußball eine Ergebnissportart ist. Ich bin auch Realist und weiß, wie es im Trainerberuf zugehen kann."

Die nötigen Resultate soll nun Di Matteo bringen. Der Italo-Schweizer hatte 2012 den FC Chelsea durch einen Sieg gegen den FC Bayern im Elfmeterschießen zum Champions-League-Sieg geführt. Am 21. November 2012 wurde er bei den "Blues" aber wieder entlassen, weil im Klub (mit der Zwischenlösung Rafa Benitez) das Verlangen nach einer Rückkehr von José Mourinho überwog. Ganz neu ist sein Name im Zusammenhang mit der Bundesliga nicht. Schon bevor Keller Chefcoach wurde, hatten die Gelsenkirchener Gespräche mit dem früheren italienischen Nationalspieler geführt - zuletzt war auch Eintracht Frankfurt an ihm interessiert.

Di Matteo, der sechs Sprachen fließend spricht, wird die Mannschaft im kommenden Heimspiel gegen Hertha BSC am 18. Oktober erstmals coachen. "Mit dem Trainerwechsel möchten wir einen neuen Impuls setzen", sagte Heldt. "Wir sind der festen Überzeugung, dass Roberto Di Matteo das Team stabilisiert und es schafft, unsere Ziele in der Bundesliga und der Champions League zu erreichen." Im Großraum Gelsenkirchen mögen die Menschen unerschütterlich sein - aber an hohen Zielen fehlt es im Fußball nie.

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