Transferverbot für FC Barcelona:Ins Herz getroffen

FC Barcelona Transferverbot

Jugendspieler der Nachwuchsakademie "La Masia" (Archivbild)

(Foto: Getty Images)

Das 1:1 im Viertelfinale gegen Atlético Madrid zeigt, wie dringend Barcelona seinen Kader auffrischen müsste. Doch die Transfersperre wegen der Verpflichtung Minderjähriger bedroht das Vorhaben - und die Zukunft der hochgelobten Talentförderung des Klubs.

Von Oliver Meiler

Die Szenen waren haarsträubend, ein wenig furchterregend gar, und sie könnten der Vorbote eines möglichen Dramas gewesen sein. In den ersten Minuten des Champions-League-Viertelfinales zwischen dem FC Barcelona und Atlético Madrid (1:1) wirkte die Abwehr der Katalanen so konfus, dass man sich in einem Kreisligaspiel wähnte. Torhüter José Manuel Pinto mühte sich mit Rückpässen der Vorderleute ab - mit Bällen, die er nur leidlich unter Kontrolle brachte und irgendwie ins Feld zurückspielte, manchmal sogar zentral zu einem umstellten Innenverteidiger. Eine seltsame Stille legte sich da übers volle Camp Nou, eine Stille voller Sorge.

Pinto mag allerdings niemand einen offenen Vorwurf machen. Der Andalusier ist 38 Jahre alt, hat Rückenprobleme, kann sich kaum strecken. Er stand auch schon kurz vor der Pensionierung. Dass Pinto nun dennoch auf großer Bühne spielt, darauf hätte er wohl gerne verzichtet.

Die gefügige Nummer zwei spielt nur, weil sich die Nummer eins, Victor Valdés, das Kreuzband gerissen hat und für sieben Monate ausfällt. Sonst spielt Pinto lediglich im Pokal, nun wird der Ersatztorwart überall benötigt, auch in der Meisterschaft und in der Champions League. Noch ist für Barcelona ja das Triple möglich - trotz der durchwachsenen Ausgangsposition nach dem Hinspiel gegen Atlético. Bevor Neymar zumindest das 1:1 (72.) erzielte, war Ersatztorwart Pinto von einem furiosen Schrägschuss des früheren Bundesliga-Profis Diego überrascht worden (0:1/56.

). Und diesen Pinto braucht Barcelona vielleicht sogar noch in der kommenden Saison. Denn am Mittwoch wurde der Verein von einer Entscheidung des Weltverbandes Fifa kalt erwischt: Wegen der Verpflichtung von minderjährigen Nachwuchs-Spielern aus dem Ausland wurde Barcelona mit einer einjährigen Transfersperre belegt - es geht offenbar um zehn Fälle zwischen 2009 und 2013. Der Klub darf demnach bis Sommer 2015 keine neuen Spieler kaufen, nur Verkäufe sind erlaubt. Und auch die spezielle Talentausbildung des Vereins ist durch das Urteil, gegen das Barcelona Einspruch einlegen will, im Kern gefährdet.

Sollte die Strafe bestehen bleiben, könnte dies den nötigen Umbau der alternden, auf manchen Positionen zweitklassigen Mannschaft beträchtlich erschweren. Am meisten Renovierung scheint in der Abwehr erforderlich zu sein. Geplant war ja unter anderem ein Torwartwechsel. Valdés will weg, selbst die vielen Solidaritätsadressen, die ihn nach der Verletzung erreicht haben, sowie ein solidarisch gedachtes Angebot des Klubs auf Vertragsverlängerung konnten ihn nicht umstimmen: Nach England soll es gehen, oder zum AS Monaco. So war der Stand vor dem Urteil aus Zürich.

Die Sportpresse hat bereits Valdés' Nachfolger vermeldet: Marc-André ter Stegen von Borussia Mönchengladbach. Man sei handlungseinig, habe schon unterschrieben, heißt es. Dieser Aspekt ist nun der entscheidende, denn sollte der Vertrag mit ter Stegen tatsächlich schon vor Verhängung der Strafe unterzeichnet worden sein, dann wäre der Transfer gültig, ließ die Fifa mitteilen. Wenn aber nicht: Würde Valdés dann doch in Barcelona bleiben? Und was wäre mit Yann Sommer, dem Torhüter des FC Basel, der in Gladbach schon als ter-Stegen-Ersatz unterschrieben hat?

Ter Stegen selbst gab sich am Mittwoch, mit den neuen Fakten konfrontiert, wortkarg: "Ich habe davon noch nichts gehört. Fakt ist: Ich werde Borussia auf jeden Fall im Sommer verlassen", sagte er.

Barça hat aber noch weitere, äußerst augenfällige Probleme in der Abwehr, in der Mitte vor allem. Europäisches Topniveau hat dort eigentlich nur Gerard Piqué, und auch der nicht mehr immer. Der Argentinier Javier Mascherano ist nicht nur etwas kurz gewachsen für einen Innenverteidiger, es mangelt ihm oft auch an Timing beim furchtlosen Grätschen. Klublegende Carles Puyol hört mit 36 Jahren im Sommer auf, und Internats-Zögling Marc Bartra fehlt es am Sinn für Ordnung und Organisation. Jeder Eckball, jede Flanke in den Strafraum versetzt die Fans des einst besten Vereins der Welt in Panik. Oft zu Recht.

Das größte Talent ging nach München

Von den drei, vier Spielern, die Barça im Sommer hätte verpflichten wollen, hätten drei die fragile Verteidigung stärken sollen. Mehr als nur eine Renovierung - eine wahre Revolution war angesagt. Um die Finanzierung zu garantieren, sollten - glaubt man den lokalen Medien - vier Spieler verkauft werden: Victor Valdés, Dani Alves, Alex Song und Alexis Sánchez.

Im Verständnis der Katalanen ist Kaufen aber höchstens die zweitbeste Option. Bei Barça geht man traditionell davon aus, dass die hauseigene, weltweit gefeierte Nachwuchsakademie La Masia spielerische Brillanz in ausreichender Fülle hervorbringt. Das goldene Barcelona mit Pep Guardiola, 2008 bis 2012, bestand zu einem stattlichen Teil aus Spielern aus dem eigenen Nachwuchs.

Schule, Sport und Tiki-taka

Die Akademie ist Stolz und Modell, sie kombiniert Schule und Sport, sie impft den jungen und sehr jungen Fußballern Spielkultur und Werte des Vereins ein - die DNA von Barça, wie es dann immer etwas selbstgefällig heißt. Das Tiki-taka, dieses schnelle Kurzpassspiel, lernen die Kinder in jedem Training - darunter auch Kinder aus Südkorea, aus Japan oder Amerika. So wurden sie früher schon alle groß, auch Lionel Messi, der bereits mit 14 Jahren aus Argentinien kam.

Solche Transfers von Frühreifen sind der Grund der Fifa-Sanktion. Während aus der Bundesliga Lob für das Urteil zu vernehmen war - DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig findet es "richtig, dass die Fifa den Auswüchsen, dass schon Spieler unter 18 international transferiert werden, entgegentritt" -, beklagte Barcelona das Urteil. "Unsere Ausbildung von Nachwuchsfußballern ist weltweit ein Vorbild", sagte ein Sprecher, das Fifa-Reglement stelle das Modell infrage; einen Messi hätte es nach den jetzigen Stauten nie gegeben.

Dabei ist es schon eine ganze Weile her, seit La Masia einen ganz Großen für den Profi-Kader hervorgebracht hat. Die bisher letzten Haustalente waren der Stürmer Pedro und der brillante Sechser Sergio Busquets - vor sechs Jahren.

Und mehr noch: Der Verein hat jüngst zum Verdruss vieler Anhänger ausgerechnet jenen jungen Mann aus dem eigenen Nachwuchs nach München verkauft, der von allen Akteuren im Mittelfeld am meisten Potenzial hatte, der sogar das Hirn der ersten Mannschaft, Regisseur Xavi, einmal hätte ersetzen können: Thiago Alcántara. Verkaufen, kaufen, transferieren: Die Katalanen stellten sich dabei denkbar schlecht an zuletzt - wenn sie nicht gar illegal handelten.

Zunächst war da der Fall des Brasilianers Neymar, der viel mehr Geld gekostet hat, als man aus Steuergründen auswies. Und nun trifft die Affäre um den minderjährigen Nachwuchs den Verein im Herzen seiner Philosophie. Dort, wo die nächste goldene Generation heranwachsen soll.

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