Süddeutsche Zeitung

Transfers:Fußball: China im Kaufrausch

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Von Alexander Mühlbach

Am Mittwoch gab es in China einen Rekord: 42 Millionen Euro, so viel hat der chinesische Fußball-Erstligist Guangzhou Evergrande an Atlético Madrid gezahlt. Bekommen haben sie für vier Jahre den kolumbianischen Stürmer Jackson Martínez, der mal früher beim FC Porto und bei der Weltmeisterschaft 2014 ganz gut war. 42 Millionen Euro für einen Spieler sind Transferrekord im asiatischen Fußball. Guangzhou Evergrande wird vom ehemaligen brasilianischen Nationalcoach Luiz Felipe Scolari trainiert.

China wird eine Fußball-Macht. Was weniger daran liegt, dass Präsident Xi Jinping im vergangenen Jahr vor lauter Verzweiflung über das Fußball-Niveau in seinem eigenen Land 50 000 neue Leistungszentren in zehn Jahren forderte. Sondern an den ausgabefreudigen Klubs.

Nur die Premier League gab mehr aus

Über 200 Millionen Euro gab die Chinese Super League (CSL) für Wintertransfers aus, nur die Premier League gab noch mehr aus. Selbst die zweite chinesische Liga verpflichtete für 48 Millionen Euro mehr teure Spieler als beispielsweise die französische oder spanische Liga. "Das ist natürlich Wahnsinn, was da abgeht", sagt der Mainzer Sportdirektor Christian Heidel. Der Wahnsinn könnte allerdings noch nicht zu Ende sein. Der Transfermarkt ist in China noch bis zum 2. März geöffnet.

Bislang aber liegt die neu chinesische Dominanz vor allem an den hohen Ablösesummen. Jiangsu Suning verpflichtete den Brasilianer Ramires für 32 Millionen Euro vom FC Chelsea. Der Ivorer Gervinho wechselte für 18 Millionen vom AS Rom nach Fernost, der Kolumbianer Fredy Guarín von Inter Mailand für 13 Millionen. "Das war das erste Mal überhaupt, dass sich die chinesischen Klubs auch in Europa verstärkt nach Spielern umgeschaut haben", so Heidel. Alle fürchten sich, dass die englischen Klubs den Transfermarkt mit ihrem TV-Geld überschwemmen; die am meisten überhöhten Tarife aber werfen die Chinesen in den Markt.

China ist vor allem für Südamerikaner und Afrikaner attraktiv

Immer mehr chinesische Unternehmen, darunter staatliche Firmen, investieren in die chinesische Liga - oder kaufen gleich ihre eigene Fußballmannschaft. Eine Firma namens Suning Commerce Group, die mehrere tausend Elektro-Geschäfte in China betreibt, kaufte erst Ende Dezember für umgerechnet 73 Millionen Euro den Ramires-Klub Jiangsu Suning.

Selbst der Zweitligist Tianjin Quanjian wird von einem Unternehmen gesponsert, das traditionelle chinesische Medizin vertreibt, darunter so fragwürdige Produkte wie die "Anti-Krebs-Geschenk-Box" für mehr als 1500 US-Dollar. Das Geschäft scheint so erfolgreich zu laufen, dass sie nun den Kauf des 11 Millionen teuren Brasilianers Geuvânio vollständig subventioniert haben. Genauso wie zwölf weitere Transfers, die insgesamt 29 Millionen Euro kosteten.

Die schier unerschöpflichen Geldquellen sorgen nicht nur für hohe Ablösesummen, sondern auch für hoch dotierte Verträge, was gerade für Spieler aus Südamerika und Afrika attraktiv ist. Selbst der ehemalige Leverkusener Renato Augusto wechselte im Winter lieber nach Peking als zu Schalke 04, weil "man im Fußball nur zehn Jahre Zeit hat, um Geld zu verdienen", wie er sagt.

China und Europa konkurrieren nun um dieselben Spieler

Trotzdem verfolgt der Kaufrausch eine langfristige Strategie, die den europäischen Vereinen noch Kopfzerbrechen bereiten könnte. Anders als noch vor ein paar Jahren, als ehemalige Größen wie Didier Drogba und Nicolas Anelka für viel Geld in die CSL gelockt wurden, investieren die Klubs nun in Spieler, die zwar schon erfahren genug sind, um eine Mannschaft zu führen, aber noch etliche gute Jahre vor sich haben.

Ramires ist erst 28 Jahre alt, Gervinho 29. Damit werden die Chinesen nun mit den europäischen Vereinen um diese Spieler konkurrieren. Anders als zum Beispiel die US-amerikanischen, mexikanischen oder katarischen Vereine, die sich auf die Verpflichtung von betagten Routiniers spezialisiert haben. "Das ist auch ein Markt, mit dem ich mich jetzt beschäftigen muss", sagt Heidel.

Allerdings ist der Kaufrausch auch ein Akt der Verzweiflung. Das Niveau der CSL ist derzeit so niedrig, dass selbst die Chinesen keine Lust auf die heimische Liga haben und lieber die englische Premier League verfolgen. Und selbst die Armee hält so wenig vom Fußball, dass sie mitten während der Saison wegen einer Militärparade ihre Panzer im Pekinger Stadion parkte. So führte die chinesische Begeisterungslosigkeit nach nicht mal einer Saison dazu, dass Drogba und Anelka dorthin zurückkehrten, wo sie herkamen: Europa.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2016
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