Transfer von Neymar:Der Gott des Geldes frisst sehr viel

  • Der Brasilianer Neymar wird mutmaßlich für 222 Millionen Euro von Barcelona nach Paris wechseln.
  • Dass solche Summen irgendwann real werden, war schon lange klar.
  • Doch wie soll man als sogenannter normaler Mensch damit umgehen?

Von Martin Schneider

Den besten Kommentar zum Neymar-Wahnsinn gab Christian Streich ab, natürlich. Er wurde gefragt, ob er was dazu sagen wolle und der Trainer des SC Freiburg sagte sofort "Nein", aber dann erzählte er doch, wie er sich die Tage seine Gedanken gemacht habe. Es gab vor Kurzem einen anderen Wechsel im europäischen Fußball, erzählte Streich, Leonardo Bonucci ging von Juventus Turin zum AC Mailand. Bonucci war sehr lange bei Juventus, es soll Streitigkeiten gegeben haben, aber das ist gar nicht der Punkt.

Die Schwester von Giorgio Chiellini jedenfalls, Bonuccis langjährigem Partner in der Innenverteidigung, hat sich geäußert. "Sie hat gesagt, so hab ich's in der Zeitung gelesen", erzählte Streich "sie hätten so gerne gehabt, dass Bonucci bleibt und ihr Kapitän werde, aber der Gott des Geldes habe gesiegt." Pause. Jetzt zitierte Streich nicht mehr, sondern sprach selbst. "Und der Gott des Geldes wird immer größer." Pause. "Und irgendwann verschlingt er alles."

Der Brasilianer Neymar ist zu Paris Saint-Germain gewechselt. Im Vorfeld ging es um eine fixe Ablöse von 222 Millionen Euro, die Barcelona irgendwann in Neymars Vertrag schreiben ließ, in dem - wie man nun weiß - naiven Glauben, niemand werde so viel zahlen können. Dann kam der vom Staat Katar alimentierte Klub aus der französischen Hauptstadt und sagte: Hallo, hier ist das Geld, her mit dem Weltstar. Der Transfer, der alles in allem mit Gehalt und Prämien und (sofern man nicht wieder kreative Modelle findet) Steuern mehr als eine halbe Milliarde schwer werden könnte, ist nicht sicher, weil er gegen diverse Regeln verstoßen könnte. Auch die spanische Liga wollte überhaupt nicht einsehen, das Spielchen mitzuspielen. Doch Neymar war das egal. Er entsandte einfach seine Rechtsvertreter, die das Geld direkt beim FC Barcelona hinterlegten. Seitdem ist der Vertrag zwischen Klub und Spieler offiziell beendet. Inzwischen verkündete Paris Saint-Germain, dass der Wechsel perfekt sei. Neymar soll einen Fünfjahresvertrag unterschrieben haben.

Das Ende des Fußballs wie wir ihn kennen?

Nun, die Summe ist in der Welt. 222 000 000,00 Euro. Für einen Fußballer. Ist es das Zeichen der nahenden Apokalypse? Das Ende des Fußballs wie wir ihn kennen? Wird der Gott des Geldes alles verschlingen? Die Antworten darauf sind: Nein, nein und nein, aber er frisst sehr viel.

Dass solche Summen irgendwann real werden, das war schon lange klar. Man kann die Anzeichen dafür chronologisch von spät nach früh durchgehen. Da waren zum Beispiel die Fußballer Benjamin Mendy und Bernardo Silva. Beide spielten beim AS Monaco, beide waren eher Kennern des europäischen Fußballs ein Begriff. Aber beide waren Manchester City (einem aus Abu Dhabi alimentierten Klub) je 50 Millionen Euro wert. Und wenn man sich nun die Frage stellt, ob ein Weltstar wie Neymar das Viereinhalbfache wert ist von einem weitgehend unbekannten Außenverteidiger aus Frankreich, dann muss man sagen: schon irgendwie.

Auch Matthias Ginter ist ja für 17 Millionen Euro gewechselt. Nun ist Ginter Nationalspieler, ein sehr guter Fußballer, der dafür, dass er nie bei Bayern war, viele Titel gewonnen hat. Aber er war selbst der Meinung, dass er bei Borussia Dortmund nicht gut genug für einen Stammplatz sei. Trotzdem kostete er plötzlich mehr als zum Beispiel der Weltklasse-Stürmer Ruud van Nistelrooy, als er 2006 von Manchester United zu Real Madrid ging.

Wie nun damit umgehen? Sich empören?

Der eigentliche Startschuss für diese weitere Stufe des Wahnsinns war aber eine Pressekonferenz in London. Am 10. Februar 2015 verkündete die britische Premier League, dass der neue Fernsehvertrag über drei Jahre 6,9 Milliarden Euro bringt. Das war doppelt so viel wie in der Periode zuvor. Der Fußball wurde gewogen und für wertvoll befunden. Ab diesem Zeitpunkt war klar, in welche Richtung sich der Zirkus entwickelt. Zuschüsse aus Katar, Abu Dhabi und China taten ihr Übriges.

Wie nun damit umgehen? Sich empören? Den Zeitpunkt hat man irgendwie verpasst. 1976 wechselte der Belgier Roger von Gool vom FC Brügge zum 1. FC Köln. Er kostete als erster Profi mehr als eine Million Mark (dafür bekäme man heute ungefähr ein vierhundertvierundvierzigstel Neymar) und seitdem sind die Aufschreie gleich, man muss nur immer die jeweils höhere Summe in den Satz "Kein Mensch ist xxx Millionen wert" einsetzen.

Christian Streich resigniert

Bei Christian Streich führte die Spirale auch nicht mehr zur Empörung, sondern zu resignierender Gleichgültigkeit. "Mir isch es wirklich völlig egal, ob der 220 Millionen kostet, oder 444 Millionen", sagte er in seinem alemannischen Dialekt. "Es löst bei mir nichts mehr aus. Ich kann keine Unterscheidung mehr finden. Es übersteigt meine Fähigkeit, das einzuordnen."

Der Grund, warum es bei vielen den Wunsch gibt, es trotzdem einzuordnen, ist der Ursprung des Fußballs als Volkssport. Faktisch ist er noch vor der Filmindustrie die größte Unterhaltungsbranche der Welt, aber soweit bekannt ist, sind Empörungen über die Gage von Ryan Gosling eher selten. Beim Fußball heißt es aber, er dürfe den Bezug zu den normalen Menschen nicht verlieren, müsse greifbar sein, seine Herkunft nicht vergessen. Dieser Gedanke war vielleicht nicht immer nur eine reine Legende, aber der Fußball ist da wie jede Pflanze: Wer wachsen will, muss weg von den Wurzeln.

Als sogenannter normaler Mensch hat man sowieso keine Chance, außer: Akzeptieren - oder Pay-TV-Abo kündigen, Sportschau nicht mehr einschalten und statt Champions League und Bundesliga den lokalen Dorfverein unterstützen. Aktuell entscheidet sich die überwältigende Mehrheit für "Akzeptieren". Aber man kann es ja wenigstens so machen wie Christian Streich. Wahrnehmen, darüber nachdenken, den Kopf schütteln - und auf den nächsten Transferrekord warten.

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