Transfer von Leon Goretzka:Der FC Bayern handelt ausschließlich egoistisch

FC Schalke 04 - Werder Bremen

Bald ein Münchner: Leon Goretzka.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Die Münchner verkaufen die Goretzka-Verpflichtung als Wohltäter-Dienst an der Bundesliga. Das ist eine sehr spezielle Interpretation.

Kommentar von Martin Schneider

Ganz offensichtlich war es dem FC Bayern wirklich sehr wichtig, die Sache mit der Bundesliga zu erwähnen. "Damit ist gewährleistet, dass Leon Goretzka der Bundesliga erhalten bleibt", ließ sich Karl-Heinz Rummenigge in der allerersten Mitteilung nach dem Transfer zitieren. Es war einer von insgesamt zwei Sätzen, die er zur Verpflichtung des Schalkers in die Welt sendete. Das war schon auffällig. Trainer Jupp Heynckes sagte dann auf der Pressekonferenz: "Das ist für die Bundesliga sehr positiv, aber auch für den FC Bayern."

Spätestens da war klar: Der FC Bayern verpflichtet tatsächlich einen 22-jährigen deutschen Nationalspieler ablösefrei von einem direkten Konkurrenten - und ruft sich deswegen selbst zum Wohltäter aus.

Die Botschaft ist nur zu einem kleinen Teil wahr

Sie verkündeten: Seht her und überschüttet uns mit Dankbarkeit! Wir haben der Liga einen Spieler erhalten, der sonst im finsteren Schlund der Premier League oder der Primera Division entschwunden wäre. Der FC Bayern macht sich um den Standort Deutschland verdient. Dank uns können sich die Menschen zwischen Flensburg und Kempten weiter in der Sportschau an Goretzka erfreuen und müssen es nicht in einem dieser Internet-Streaming-Dienste tun, die die neureiche englische Liga zeigen. Das muss man doch auch mal anerkennen.

Zu einem kleinen Teil ist das wahr. Das perfide an dieser Botschaft ist aber: Zu einem großen Teil ist genau das Gegenteil richtig.

Zunächst zum kleinen wahren Kern. Es ist nicht zu leugnen, dass die Bundesliga gute Spieler verliert. Vor ein paar Tagen spielten zum Beispiel der FC Liverpool und Manchester City ein spektakuläres 4:3 aus. Dabei standen die Ex-Bundesligaspieler Kevin De Bruyne, Leroy Sané, Ilkay Gündogan bei City sowie Roberto Firmino, Emre Can, Loris Karius, Joel Matip und sogar Ragnar Klavan beim FC Liverpool auf dem Platz. An der Seitenlinie standen die Ex-Bundesliga-Trainer Jürgen Klopp und Pep Guardiola.

Bei den Topspielern ist die deutsche Liga schon lange nicht mehr die erste Adresse. Neu ist, dass die Klubs auch die Kategorie "internationale Klasse" kaum noch halten können - alle Klubs außer dem FC Bayern. Auch das kann man dem FC Bayern natürlich nicht vorwerfen. Es wäre aus Klubsicht fahrlässig, sich nicht um einen Spieler wie Goretzka zu bemühen - vor allem, wenn er ablösefrei zu haben ist. Man müsste es den Bayern eher vorwerfen, wenn sie es nicht tun würden.

Aber: Man kann es dem FC Bayern vorwerfen, sich allen Ernstes als Samariter zu präsentieren. Denn der Satz von Rummenigge, dass Goretzka der Bundesliga erhalten bleibt, suggeriert ja: Hauptsache, der Spieler spielt irgendwo in der Liga. Das sorgt schon für Attraktivität.

Dabei unterschlägt er die winzige Kleinigkeit, dass fast alle guten Spieler zwar in der Bundesliga - aber eben hauptsächlich bei einem einzigen Klub spielen: dem FC Bayern. Ein Klub, der zum sechsten (!) Mal in Serie Deutscher Meister werden wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach zum sechsten Mal mit einem zweistelligen Punktevorsprung. Man kann nun die Frage stellen, worüber sich "die Bundesliga" mehr ärgert: Über den Abgang einiger guter Spieler. Oder über das faktische Ausbleiben des Meisterschaftskampfes seit mehr als einem halben Jahrzehnt.

Klagen über die Dominanz der Münchner

Dass ein Verein in dieser Masse Spieler von direkten Liga-Konkurrenten holt, ist einmalig in Europa. In Spanien gibt es einen Dualismus von Real und Barcelona (der sogar mal von Atlético Madrid durchbrochen wird), in England rangeln sechs Vereine (und manchmal Leicester City) um den Titel und um Spieler. Dort, wo sich die Topklubs auch mal bei der Konkurrenz bedienen können (Paris Saint-Germain in Frankreich und Juventus Turin in Italien), herrscht der gleiche Monotheismus wie in der Bundesliga.

Die Bayern befeuern einen Prozess, den sie selbst beklagen

Das Problem ist nun an unterschiedlichster Stelle bereits benannt worden. Christian Seifert, Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL) und damit wohl der, der am ehesten für "die Bundesliga" sprechen kann, beklagte in seiner Neujahransprache die Dominanz der Münchner. Für einen attraktiven Wettbewerb bräuchte es eine "intakte Spitze mit mehreren Klubs". Selbst Rummenigge hat das Problem schon angesprochen: "Das ist ein Prozess in ganz Europa, der mir Sorgen macht. Fußball ist Emotion. Wenn ein Klub zu weit von den Tabellenplätzen zwei, drei, vier, fünf entfernt ist, leidet die Emotion", sagte er auf einer Pressekonferenz im Januar.

Mit dem Transfer von Leon Goretzka befeuern die Bayern den Prozess, den sie an anderer Stelle selbst beklagen. Das muss - entgegen der populistischen Meinung unter vielen Fußball-Fans - kein Widerspruch sein. Das Dilemma, auf europäischer Ebene irgendwie mithalten zu wollen und gleichzeitig der Liga weiter zu entrücken, ist kaum aufzulösen.

Es aber als Dienst an der Liga zu verkaufen, den Wettbewerb noch weiter zu eliminieren - das ist eine sehr spezielle Interpretation der Dinge. Der FC Bayern handelt beim Transfer von Leon Goretzka ausschließlich egoistisch. Das ist nicht verwerflich. Verwerflich ist es aber, etwas anderes zu behaupten.

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