Transfer von Julian Draxler:Die 10 macht Karriere in der Provinz

Julian Draxler

Verlässt Schalke nach vielen gemeinsamen Jahren: Julian Draxler

(Foto: dpa)
  • Julian Draxlers Wechsel ausgerechnet ins wenig schillernde Wolfsburg ist für die Schalker Anhänger ein schwerer Schlag.
  • Doch das ruhige Umfeld beim VfL könnte seine sportliche Entwicklung entscheidend voranbringen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

In den Broschüren des Tourismusbüros der Stadt Wolfsburg ist Dieter Hecking noch nicht als besondere Attraktion notiert. Es könnte aber sein, dass er dort demnächst als Standortfaktor Erwähnung findet, denn Hecking hat seinen Anteil daran, dass Wolfsburg künftig um eine Sehenswürdigkeit reicher ist. Dass sich Julian Draxler, 21, am Montag dem VfL Wolfsburg angeschlossen hat, dürfte nicht zuletzt auf dem Gespräch beruhen, das er am Samstag mit dem Cheftrainer Dieter Hecking führte; jedenfalls sah sich anderntags der Schalker Manager Horst Heldt zu einem Geständnis gezwungen.

Heldt hatte am Freitag angekündigt, Draxler aus dem Verkaufskatalog zu streichen, wenn ihm nicht binnen 24 Stunden ein Interessent etwas Verbindliches vorlegen werde. Nun musste er selbst sein Ultimatum stornieren: "Die Tür ist noch nicht geschlossen, denn am Samstag kam noch einmal Bewegung in das Thema eines möglichen Wechsels von Julian."

Als Heldt diese Botschaft über den vereinseigenen Nachrichtendienst veröffentlichen ließ, gab es nicht mehr viele Zweifel, dass die wesentlichen Voraussetzungen für Draxlers Wechsel aus Gelsenkirchen nach Wolfsburg erfüllt waren: Wolfsburg wollte Draxler als Ersatz für Kevin de Bruyne verpflichten; Draxler, der ursprünglich einen Wechsel ins Ausland angestrebt hatte, erklärte sich nun gewillt, zum VfL zu gehen; und am Geld würde der Handel sowieso nicht scheitern. Die Kassenlage war noch selten das Problem des VW-Klubs VfL, seit den just vollendeten Transfers von Kevin de Bruyne (Manchester City) und Ivan Perisic (Inter Mailand) ist sie das erst recht nicht mehr. Unter diesen Bedingungen entschied Schalke, das Geschäft zu machen. Erst kürzlich hatte Horst Heldt erklärt, dass die Schulung der Talente in Gelsenkirchen eben auch unter wirtschaftlichen Aspekten zu sehen ist: "Irgendwann müssen wir auch mal einen verkaufen." Früher waren es Mesut Özil und Manuel Neuer, jetzt ist es Draxler.

Angeblich bezahlt der VfL ein Fixum von 36 Millionen Euro und garantiert Bonuszahlungen, die Schalke weitere Millionen versprechen. Auch einen Anteil am möglichen Weiterverkauf hat sich Schalke zusichern lassen. Mit solchen Vereinbarungen hatte der Gelsenkirchener Bundesligaklub schon beim Umzug von Manuel Neuer nach München gute Erfahrungen gemacht. Seit 2011 partizipierte Schalke an den Erfolgen des FC Bayern, jede Meisterschale und jeder Pokalsieg wurde entlohnt, selbst der Einzug ins Halbfinale der Champions League war für Schalke Geld wert.

Keinen Erfolg hatte Schalke mit dem Versuch, beim VfB Stuttgart den Angreifer Filip Kostic, 22, abzuwerben. Er sollte Draxler in Gelsenkirchen ersetzen. Der Serbe, 2014 für sechs Millionen Euro aus Groningen zum VfB gekommen, war bereits Mitte der vorigen Woche beim Stuttgarter Management mit dem Wunsch vorstellig geworden, den Verein verlassen zu wollen. Doch der Klub verweigerte hartnäckig die Freigabe bzw. er rief einen Preis auf, der für Schalke nicht tragbar war. Am Wochenende wurde Kostic von seinen Beratern darauf eingestimmt, dass er nicht wechseln dürfe.

Der VfB will ihn für sein Bleiben angeblich mit einem höheren Gehalt entschädigen. Nicht zuletzt spekulieren die Schwaben darauf, dass sie Kostic in absehbarer Zeit mit höherem Gewinn in die Premier League verkaufen könnten. In diesem Sommer wäre ein Transfer nach England aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht möglich gewesen (Kostic ist kein EU-Bürger), dieses Hindernis dürfte sich jedoch demnächst erübrigen, wenn der Angreifer die für Ausnahmeregelungen erforderliche Anzahl von Länderspielen bestritten hat.

Seit Kindesbeinen Schalker

Während der VfL den Abschluss mit Draxler nutzte, um den nunmehr überzähligen, in Wolfsburg selten zur Geltung gekommenen Aaron Hunt an den Hamburger SV weiterzugeben (Ablöse: zwei bis drei Millionen Euro), hielt Heldt offenbar vergeblich Ausschau nach einer Verstärkung, die den Verlust kompensieren könnte. Doch auch ohne einen neuen Millionen-Mann ist die Schalker Offensive nicht schlecht besetzt: Außer Choupo-Moting, Sané, Huntelaar und Di Santo stehen Trainer André Breitenreiter der Nachwuchsangreifer Felix Platte und der ehemalige Nationalspieler Sidney Sam zur Verfügung. Sam war zwar zum Ende der vorigen Saison suspendiert worden, weil er im Ruhrgebiet partout nicht heimisch werden wollte, vor vier Wochen fand er aber wieder Aufnahme ins Aufgebot und macht seitdem, wie es heißt, Fortschritte. Die Frankfurter Eintracht erhielt daher nun eine Absage, als sie einen zweiten Versuch startete, Sam auszuleihen. Auch die Einsatzchancen von Max Meyer, der zuletzt vermehrt auf der Ersatzbank saß, haben sich durch den Rekordtransfer wieder erhöht.

Für die Schalker Anhängerschaft ist Draxlers Weggang ein schwerer Schlag, der vielleicht noch mehr Frust hinterlässt als Manuel Neuers Fahnenwechsel. Selbst orthodoxe Fans leugnen ja die Anziehungskraft des FC Bayern nicht, aber dass nun auch der VfL aus Wolfsburg den Vorzug eines Spielers erhält, der seit Kindesbeinen Schalker war, enttäuscht und irritiert viele. Heldt sagt dazu, es sei "ein Stück Professionalismus und keine Fahnenflucht", wenn sich Spieler aus der königsblauen Nachwuchsschule nach all den Jahren einem neuen Arbeitgeber zuwenden wollten.

Doch auch er hatte für Draxler zunächst einen anderen Plan. Deshalb hatte er sich viel Mühe gegeben, den Nationalspieler zum Bleiben zu überreden, als dieser im Mai erstmals seinen Wechselwunsch vortrug. Jetzt fand der Manager keine Argumente mehr, Draxler hatte sich klar entschieden. Heldt räumte zuletzt ein, dass Draxler als hoch taxiertes Spitzentalent in seinem Stammverein einem besonders großen emotionalen Druck ausgesetzt gewesen sei, dennoch vertrat er die Auffassung, dass ein Vereinswechsel keine Lösung, sondern eher eine Flucht sei. "Die Idee sollte sein, dass er in dieser Saison in Schalke den großen Durchbruch schafft", sagte Heldt, "danach kann er immer noch nach Spanien oder England wechseln." Stattdessen zieht es Draxler nach Niedersachsen, wo Dieter Hecking mit dem Bonus eines ruhigen Umfelds punkten konnte und einer sportlichen Entwicklung, die ein Stück stabiler zu sein scheint als in Schalke. Die Gehaltszusage, die der ebenfalls am Gespräch beteiligte VfL-Manager Klaus Allofs machte, dürfte die Überzeugungsarbeit des Trainers unterstützt haben.

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