Trainingslager der Nationalmannschaft:Mit stoischer Miene im Italo-Western

Die erste Stufe der EM-Vorbereitung ist für die bisher auf Sardinien eingetroffenen Nationalspieler mehr als nur ein Freizeitvergnügen. Und das, obwohl in einer Gruppe trainiert wird, in der es fast so viele Torhüter wie Feldspieler gibt. Nur Miroslav Klose macht dem Trainerteam noch ein paar Sorgen.

Philipp Selldorf, Porto Cervo

Über die karg bewachsenen Hügel hinter dem kleinen Stadion fegt der Wind, entfernt lässt sein unheilvolles Heulen Assoziationen an einen Italo-Western zu. Dazu passt auch dieser Mann auf dem Platz mit dem überaus sonnigen Teint, den langen dunklen Haaren und dem gewohnt stoischen Mienenspiel. Ein Sombrero und ein gekreuzter Patronengurt vor der Brust würden ihm jetzt gut stehen, Tim Wiese trägt aber bloß ein Stirnband und klobige Handschuhe, sein ständiges Handwerkszeug.

Die Bedenken, die derzeit in der Heimat grassieren, wonach die versprengte Vorhut der Nationalelf während des Trainingscamps auf Sardinien mangels Besetzung allenfalls die Zeit totschlägt, wird der Torhüter sicher nicht teilen. Für Wiese und seine Kollegen Ron-Robert Zieler und Marc-André ter Stegen gibt es viel zu tun. Andreas Köpke, ihr Sonderlehrer, hat aus Deutschland eine gemeine Apparatur importieren lassen, vermutlich in einem der beiden Speditionscontainer, die als dekoratives und sicherlich geldwertes Werbemotiv auf dem Parkplatz formiert sind.

Diese Konstruktion ist keine der üblichen High-Tech-Maschinen, mit denen das DFB-Team seit Jürgen Klinsmanns umwälzendem Regiment auf Tour geht, sie sieht aus, als ob sie Köpke in seiner privaten Werkstatt gezimmert hätte. Es handelt sich um eine schräge Wand, die auf soliden Füßen ruht, Köpke hat sie am Fünfmeterraum aufgestellt und sich selbst an der Grundlinie postiert. Nun schießt er einen Ball nach dem anderen gegen die geneigte Wand, und die Torhüter müssen - abwechselnd, aber dann im Akkordtempo - nach den Abprallern hechten. Sieht ziemlich anstrengend aus.

Die Torhüter hatten immerhin die Bälle zur Unterhaltung, dem halben Dutzend Spielern, die der am Sonntag zugereiste Bundestrainer sonst noch beaufsichtigte, wurde das Spielzeug bis zum Einsteigen in den Bus vorenthalten. Marco Reus, Per Mertesacker, André Schürrle, Julian Draxler, Lars Bender und Cacau absolvierten Kraft- und Koordinationsübungen, Läufe und Gymnastik. Benedikt Höwedes und Lukas Podolski blieben wegen "muskulärer Probleme" im Hotel, arbeiteten dort an ihrer Form.

Dass diese erste Stufe der Vorbereitung aufs große Turnier kein Freizeitvergnügen ist, obwohl der DFB auch Frauen, Freundinnen und Kinder eingeladen hat, ist in Kennerkreisen längst bekannt. Selbst Draxler, 18-jährig der Jüngste von allen, machte nur einen Scherz, als er gespielt enttäuscht anmerkte: "Ich dachte, wir liegen ein bisschen in der Sonne und fahren Fahrrad." Mertesacker und Podolski haben den Ernst der Sache schon erfahren, als Bundestrainer Klinsmann vor der WM 2006 das zweigeteilte Manöver einführte. Damals hatte er ebenfalls nach Sardinien gebeten, angeblich zur Regeneration im Familienkreis, in Wahrheit aber zum Drill mit den ultrafitten amerikanischen Fitnessexperten.

Mertesacker meldet sich fit

Unter Löws Regie geht es zwar etwas entspannter zu, doch stellte Marco Reus nach dem dritten Tag auf der Insel fest, dass trotz der Absenz der Spieler aus Münchnen, Dortmund und Madrid von Feriengefühlen keine Rede sein kann: "Wir arbeiten in der kleinen Gruppe sehr hart", sagte er und hob gleich den Nutzen hervor: "Jetzt werden die Grundlagen gelegt, und wir wissen: Das ist fast das Wichtigste."

Das passt zu dieser strebsamen Generation. Ob das Training in einer Gruppe, in der es fast so viele Torhüter wie Feldspieler gibt, nicht ein wenig seltsam sei, wurde Reus gefragt, und der Stürmer wunderte sich: "Gar nicht. Jeder Einzelne kann gut arbeiten." Zumal das Betreuungsverhältnis durch das bereits vollständig angetretene Fachpersonal luxuriös ist. Jeder Spieler hat sozusagen seinen persönlichen Fitnesslehrer.

Per Mertesacker weiß das nach mehr als drei Monaten Verletzungspause besonders zu schätzen, unter den Eifrigen möchte er der Eifrigste sein, Löw hat das schon durch viele positiv gestimmte SMS-Mitteilungen erfahren, die ihm der Verteidiger während der Rekonvaleszenz geschickt hat. "Dass hier von Anfang an intensiv trainiert wird, ist für mich optimal", freute sich Mertesacker am Montag.

"Er hat sich die EM in den Kopf gebrannt", hat Manager Oliver Bierhoff nach ein paar Tagen am Mittelmeer erkannt. Werbung gehört da zum Geschäft, Mertesacker stellte sich die Tauglichkeitsbescheinigung bereits selbst aus: "Ich spüre absolut nichts, kann bis an die Grenze gehen und voll durchziehen."

Solche Nachrichten möchte der Bundestrainer auch von Miroslav Klose hören, der am Montag aus Rom anreiste. Am Sonntag hatte er bei Lazios finalem Saisonspiel wegen einer im Training erlittenen Knöchelverletzung gefehlt. Statt am Mannschaftshotel in den Pool zu tauchen, musste er sich zuerst beim Orthopäden vorstellen. Eine Diagnose liegt noch nicht vor.

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