Slomka neuer Trainer beim HSV:Griff nach dem Strohhalm

Mirko Slomka

Mirko Slomka grüßt jetzt offenbar als neuer Trainer des Hamburger SV

(Foto: dpa)

Neuer Betreuer für eine verängstigte Truppe: Mirko Slomka wird offenbar Nachfolger von Bert van Marwijk als Trainer des Hamburger SV. Am Sonntagnachmittag klärte er letzte Vertragsdetails, am Montagmittag soll er erstmals das Training leiten.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der Hamburger SV befindet sich zwar in einer Dauerkrise, doch er lernt. Auf Bert van Marwijks Dienstende nach dem 2:4 beim Tabellenletzten Eintracht Braunschweig war man jedenfalls so gut vorbereitet, dass am Sonntag dessen Nachfolger Mirko Slomka schon auf dem Weg in die Hansestadt war. Es waren nur noch ein paar letzte Vertragsdetails zu klären, die dann allerdings nicht nebenbei bei einem Kaffee besprochen werden konnten.

Slomka, dessen Name im Polnischen "Strohhalm" heißt, was gut zur Lage seines neuen Arbeitgebers passt, hat ja mit Harun Arslan einen gewandten Berater. Der hat ihm am Ende seiner vierjährigen Amtszeit bei Hannover 96 im Dezember angeblich eine Abfindung von 1,5 Millionen Euro eingebracht. Am Nachmittag war der Deal dann aber offenbar perfekt. Am Montag soll Slomka das HSV-Team um 15 Uhr erstmals trainieren.

Slomka, so viel steht fest, übernimmt eine total verängstigte Gruppe. Eine, die nach der siebten Bundesliga-Niederlage hintereinander einen Negativ-Rekord für den HSV aufgestellt hat. Auch zwei Trainer-Entlassungen in einer Spielzeit hatte es beim Bundesliga-Dino in 51 Jahren noch nicht gegeben. Diese zweite Entlassung, die von Bert van Marwijk, hatte der HSV-Vorsitzende Carl-Edgar Jarchow noch am Samstagabend verkündet.

Kaum war der Mannschaftsbus am Stadion angekommen, trat er vor die Werbewand, um die "Freistellung" mitzuteilen: "Wir haben die Lage analysiert nach dieser frustrierenden Niederlage und daraufhin Bert van Marwijk und seinen Assistenten Roel Coumans beurlaubt", sagte Jarchow und ergänzte, der Holländer habe das "sehr nüchtern aufgenommen und auch Verständnis gezeigt, so wie wir ihn kennen". Van Marwijks Bilanz in 143 Tagen liest sich wie die Schlussrechnung eines Insolvenzverwalters.

In 15 Partien hat van Marwijk nur zwölf Punkte erwirtschaftet, das sind 0,8 pro Spiel. Nur sein Vorvorgänger Michael Oenning hatte eine noch schlechtere Ausbeute, nämlich 0,64 Zähler pro Begegnung. Ob van Marwijk es ernst meinte, als er bei der Verabschiedung vom Team meinte: "Ich glaube weiterhin an euch, wie ich es die ganze Zeit gemacht habe", sei dahingestellt. Wie soll man so einen Satz auch einschätzen, nachdem man auch beim schwächsten Bundesliga-Angriff vier Tore kassiert hatte und inzwischen auf 51 Gegentreffer in 21 Spielen kommt?

Van Marwijks Abfindung könnte teuer werden

Auf jeden Fall konnte man bei der Darbietung in Braunschweig an zwei Zitate der letzten Meistertrainer des HSV denken, die Herberger-Format ("Der Ball ist rund") besitzen. Das eine Zitat stammt von Branko Zebec (Meister 1979), der einmal nach einen Spiel sagte: "Das Spiel hatte zwei Halbzeiten." Das stimmte auch in Braunschweig, wo die Hamburger in den ersten 45 Minuten keine Angst haben mussten vor den harmlosen Eintracht-Profis. Er sei sich nach dem 1:0 durch Pierre-Michel Lasoggas Kopfball (23.) sicher gewesen, dass man hier drei Punkte holen würde, sagte van Marwijk, als er noch HSV-Trainer war. Dann aber kam die zweite Halbzeit und mit ihr kamen Fehler, die man sich als Bundesliga-Coach kaum vorstellen mag.

Und so kam der zweite Denkspruch zum Tragen. Wenn Ernst Happel (Meister 1982 und 1983) über die Zusammenstellung einer Elf sinnierte, sagte er gern: "Du brauchst den und den." Heißt: Man braucht unterschiedliche Stärken und Charaktere in einem Team. Happel hätte aber in Braunschweig mindestens das halbe Team nicht brauchen können.

Was hilft einem ein Torhüter, der zwar zurecht einen großen Namen trägt (René Adler), aber gleich zweimal patzt und das Spiel zugunsten der Gastgeber kippen lässt? Was soll man mit Spielern wie Heiko Westermann und Tolgay Arslan, die vom Braunschweiger Karim Bellarabi vor dem 4:2 veralbert wurden wie Anfänger? Und was bringt eine Holland-Connection, die ihre Fähigkeiten so kärglich einbringt wie Kapitän Rafael van der Vaart (ebenfalls in einer Dauerkrise und nach 51 Minuten wieder angeschlagen ausgewechselt) und die beiden Talente Ouasim Bouy und Ola John, die so spielten, als sei es ihre erste Partie bei den Profis.

Allein mit der Aufstellung der ausgeliehenen Bouy und John reduzierte van Marwijk sein Team praktisch um einen Spieler. Da nützte es auch nichts, dass Lasse Sobiech, Dennis Diekmeier, Ivo Ilicevic (der Schütze zum 2:2) und vor allem der genesene Torjäger Lasogga so etwas wie Abstiegskampf-Mentalität zeigten - eine Eigenschaft, die bisher beim HSV nicht gesichtet wurde. Doch das alles ist noch nicht so bedenklich wie das Theater hinter den Kulissen.

Mehrere Mitglieder des Aufsichtsrates, so heißt es, wollen nach Bestellung des neuen Trainers zurücktreten. Neben dem früheren Chef Manfred Ertel steht offenbar auch sein Nachfolger Jens Meier vor der Demission, nachdem seine gewagte Offensive mit Felix Magath scheiterte. Die jüngsten Ergebnisse sind wirtschaftlich erneut bitter. Zu den Abfindungen für Ex-Sportchef Frank Arnesen (1,4 Millionen Euro) und Ex-Trainer Thorsten Fink (800 000 Euro) kommt jetzt noch die Entschädigung für van Marwijk. Und da das Kontrollgremium angeblich einen Vertrag ohne Entlassungsklausel, dafür aber bei Klassenerhalt eine Gehaltserhöhung durchwinkte, könnte der neueste Personalfehler am Ende fast drei Millionen Euro kosten. Vielleicht hat sich Bert van Marwijk auch deshalb so galant verabschiedet.

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