Süddeutsche Zeitung

Trainergerüchte:Ancelotti, der Anti-Pep aus Norditalien

  • Die Personalien rund um die Trainer-Stelle des FC Bayern werden behandelt, als seien sie amtlich beglaubigte Fakten: Guardiola geht im Sommer, Ancelotti übernimmt.
  • Noch hat sich aber keiner der beiden final erklärt.
  • Fest steht: Kommt Ancelotti wirklich, verkörpert er den Gegenentwurf zum katalanischen Asketen Pep.

Von Birgit Schönau und Christof Kneer

Carlo Ancelotti als Cheftrainer beim FC Bayern, das wäre natürlich noch kein Prosit auf die Gemütlichkeit. Aber ein Statement für mehr Gelassenheit wäre es zweifellos, wenn der 56-Jährige Italiener ab der kommenden Saison jene Elf trainieren würde, die im Moment noch auf das Kommando von Pep Guardiola hört. Noch hat Guardiola seinen Abschied nicht mal öffentlich gemacht, aber dennoch behandelt die Branche die beiden Personalien bereits mit einer Selbstverständlichkeit, als handele es sich um amtlich beglaubigte Fakten. Guardiola geht im Sommer. Und Ancelotti übernimmt.

Ancelotti äußert sich, "sobald Pep Guardiola sich erklärt hat"

Der erste sogenannte Fakt (Guardiolas Abschied) darf inzwischen als solcher durchgehen, über den zweiten sogenannten Fakt (Ancelotti zum FCB) dürfte nun das Wochenende entscheiden. Noch kann keiner die neue Dynamik abschätzen, die durch José Mourinhos Entlassung in den internationalen Trainermarkt fährt, denn natürlich würde auch der FC Chelsea gerne diesen gelassenen Signore Ancelotti unter Vertrag nehmen. Dennoch dürfen die Bayern wohl weiter davon ausgehen, den Guardiola-Nachfolger gefunden zu haben. Der Kontakt zu den Münchnern wird in Ancelottis Management inzwischen bestätigt, und es heißt, man werde sich äußern, "sobald Pep Guardiola sich erklärt hat".

Kommt es so, wie es alle erwarten, dann hätte sich der FC Bayern mit dem umgänglichen Italiener tatsächlich eine Art Gegenentwurf zum katalanischen Asketen Pep Guardiola angelacht. Ancelottis Lieblingsspeisen sind Tortellini mit Mortadella-Füllung und Tellerfleisch mit wuchtigen Saucen. Gerichte aus seiner ländlichen Heimat in der Emilia-Romagna, die im Italienischen nicht zufällig den Beinamen "grassa" trägt: die Fette.

Wo Ancelotti herkommt, riecht es nach Schweinegülle. Zu jeder Jahreszeit

Dort wuchs Ancelotti auf, als Sohn eines Kleinbauern in der Poebene zwischen Reggio Emilia und Mantua, im Winter Nebel, im Sommer glühende Hitze und zu jeder Jahreszeit der Geruch nach Schweinegülle. Zu Hause gab es Hühner, Kühe, kaum Geld und keine Freizeit. Stattdessen packten alle mit an, auf den Feldern und im Stall, auch Carlo, der eine Berufsschule für Elektriker absolvierte. "Es mag sich seltsam anhören", schreibt Ancelotti in seinen Memoiren, "aber Landwirtschaft hat viel mit Fußball gemeinsam. Man braucht Ruhe, Geduld und Planung."

Der Trainer: ein Bauer? Neben Guardiola, Mourinho und van Gaal, den großen Egomanen des Fußballs, wirkt Carlo Ancelotti, den alle nur "Carletto" - Karlchen - nennen, in der Tat wie einer, der die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat. Eine Zeit, in der Fußball wahlweise zur Wissenschaft oder Religion verklärt wird, weswegen die Übungsleiter auftreten wie Philosophen oder Gurus. Ancelotti aber ist ein Pragmatiker der alten italienischen Schule geblieben, so unaufgeregt, dass er von Publikum und Arbeitgebern lange unterschätzt wurde. Dabei hat der Bursche vom Land dreimal die Champions League gewonnen, dazu Meistertitel in Italien (Milan), England (Chelsea) und Frankreich (Paris). Die vorerst letzte Trophäe war 2014 die "Décima", der lang ersehnte zehnte Landesmeisterpokal für Real Madrid. Im Jahr darauf scheiterte Ancelotti im Champions-League-Halbfinale freilich an Juventus Turin - und wurde entlassen.

"Wie alle, die nicht mehr siegen", sagte er nur. "Welche Regeln bei Real gelten, weiß doch jeder, der hier unterschreibt."

Er nahm sich ein Jahr frei, zog mit seiner kanadischen Ehefrau in deren Heimatstadt Vancouver - und wurde schon bald von Bayern München, dem FC Chelsea und Manchester United umworben. Den Klubs von Guardiola, Mourinho, van Gaal.

Was finden nur alle an diesem Ancelotti? Sicher ist es nicht nur seine Trainerbilanz. Schon als Spieler für AS Rom und den AC Mailand holte er vier Pokale, unter anderem gewann er mit einer legendären Milan-Elf zwei Mal den Europapokal der Landesmeister. Damals war Carletto die tragende Säule im Mittelfeld, umgeben von Helden wie Ruud Gullit, Frank Rijkaard, Marco van Basten, Paolo Maldini. Trainer Arrigo Sacchi bezeichnet ihn heute als seinen wichtigsten Spieler, weil er weiter dachte als die anderen. Für Ancelottis Fähigkeit gibt es im Italienischen einen Ausdruck: intelligenza tattica, taktische Intelligenz. Wer sie besitzt, ob auf dem Platz, der Trainerbank oder in der Politik, der kann es weit bringen. Besonders, wenn er die Allüren den anderen überlässt.

Ancelotti bewundert herausragendes Talent. Allerdings bei seinen Spielern, das Primadonnentum der Trainer pflegt er zu belächeln. Taktische Dogmen sind in seinen Augen nur etwas für mediokre Teams - wer Könner wie Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovic trainiere, der müsse erst mal deren Begabung unterstützen, sagt er, "ein System spielen lassen, das diesen Hochbegabten entgegen kommt". Er setzt auf Kommunikation, auf Empathie, aber ein Kumpel will er nicht sein: "Meine Spieler haben mich stets respektiert, auch jene, die mich noch als Teamkollegen kannten. Man muss nicht herumbrüllen, um Autorität und Erfolg zu haben."

40 Jahre Fußball ohne einen einzigen Feind

Tatsache ist, dass sich noch kein Spieler öffentlich über Ancelotti beschwert hat. Auch kein Arbeitgeber. In 40 Jahren Fußball scheint dieser Mensch sich keinen einzigen Feind gemacht zu haben.

Der deutsche Nationalspieler Toni Kroos, der unter Ancelotti bei Real Madrid spielte, hat dem Trainer in einem Zeit- Interview gerade eine bemerkenswerte Hymne gedichtet. Ancelotti habe "die Erfolgsbedingungen am besten mixen können, die taktische Idee, das Menschliche, was gerade bei Real nicht so einfach ist", meinte Kroos. "Und als er ging, waren alle traurig - auch die, die nicht gespielt haben und Grund gehabt hätten, ihn dafür zu kritisieren. Es fiel kein negatives Wort über ihn. Das ist außergewöhnlich."

Auch das dürfte ein Grund sein, warum die Bayern sich gut mit Ancelotti anfreunden könnten. In München wissen sie ja, dass sie nach Pep I nicht krampfhaft einen Pep II suchen müssen, weil es den nicht gibt. Ancelotti ist ein anderer Typ, nicht so manisch, nicht so besessen, dafür viel näher an den Spielern. Bei Ancelotti muss es menscheln, sonst funktioniert er nicht.

Geld, hat er einmal gesagt, habe er mit 56 Jahren genug verdient. Also solle die Arbeit bitte schön Spaß machen.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2015/max
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