Trainer Maradona:Der argentinische Patient

Versuchsreihe mit offenem Ausgang: Nicht nur in Argentinien stellen sich viele die Frage, ob Trainer Diego Maradona die schwächelnde Ansammlung weißblauer Talente noch zum Kollektiv vereint.

Peter Burghardt

Es war im Mai 2000, als der wahrscheinlich beste, bestimmt aber anekdotenreichste Fußballspieler der Historie das letzte Mal einen Münchner Fußballplatz betrat. Eigentlich ging es im Olympiastadion um den Abschied von Lothar Matthäus. Doch 47.000 Augenzeugen staunten vor allem über einen annähernd kugelrunden Ehrengast. Diego Armando Maradona war aus einer Entzugsklinik auf Kuba angereist. Wochen zuvor hatte er seinen ersten Herzanfall überstanden, nach einer Überlänge weißen Pulvers in Uruguays Seebad Punta del Este. "Wenn ich nach vorne spielen wollte, kam es mir vor, als müsste ich den Everest besteigen", sagte er nachher. Maradona schlug trotzdem ein paar zauberhafte Pässe im Leihtrikot des FC Bayern, ehe er gegen einen gewissen Slawomir Woijciechowski eingetauscht wurde und seinem Erlöser, dem Trainer Ottmar Hitzfeld, um den Hals fiel.

Ein Jahrzehnt danach hat derselbe Maradona nun mit einer großen Sonnenbrille den bayerischen Spätwinter erreicht, Hitzfeld und er sind jetzt Kollegen. Maradona kommt aus Buenos Aires und trägt die Trainingsklamotten der argentinischen Nationalmannschaft. Er ist seit Oktober 2008 ja tatsächlich ihr Trainer und führt sie am Mittwoch in München in einen Test gegen Deutschland, gegen das er 1986 ein WM-Finale gewonnen und 1990 eines verloren hat. Im Juni geht es dann zur Weltmeisterschaft nach Südafrika, seiner fünften insgesamt, der ersten als Chefbetreuer. Durch sein Gesicht ziehen sich im 50. Lebensjahr unterdessen noch ein paar Falten mehr, übergewichtig ist er allerdings nur wieder leicht und vergleichsweise gesund. Seine Verwandlung vom Patienten zum Strategen vom Rio de la Plata ist die Geschichte einer Wiedergeburt, doch nicht nur Argentinien rätselt über die Fortsetzung.

Es ging ja allerhand schief seit jenem Beginn von "Jahr 49 nach Diego", wie die Maradona-Kirche - die gibt es wirklich! - nach seinem 48. Geburtstag am 30. Oktober 2008 rechnete. Damals berief ihn der ewige Verbandspate Julio Grondona zum Nationaltrainer. Der zwischendurch arg malade Genius hatte für den Posten immer mal wieder zur Debatte gestanden, die tatsächliche Wahl aber verblüffte dann doch.

Schon 102 Spieler berufen

Diego, der dreimal mit seinem Leben gespielt hatte, der dreimal auf der Intensivstation lag und sich zwischendurch den Magen verkleinern ließ? Diego, der auf dem Platz so oft die Gegner und neben dem Rasen so oft sich selbst ausgedribbelt hatte? Diego, süchtig nach dem Ball und lange süchtig nach Drogen? Diego, der zuvor bloß flüchtig zwei Vereine trainiert hatte und ansonsten das nationale Heiligtum gab? "Diego riskiert Maradonas Mythos", fürchtete die Zeitung La Nación. Der Ausgang der Versuchsreihe ist nach wie vor offen.

Geführt von der Hand Gottes gewann die Selección probeweise 2:0 in Frankreich und 4:2 in Russland. Danach verlor sie 1:6 in Bolivien, 0:2 in Ecuador, 0:1 in Paraguay, 1:3 gegen Brasilien. Es wurde eng Richtung WM 2010, erst im letzten Moment gelang mit Siegen gegen Peru (2:1) und in Uruguay (1:0) die Qualifikation in der Südamerikagruppe. Nach dem Erfolg in Montevideo bekam Maradona einen legendären Wutanfall und forderte die versammelten Reporter mehrmals auf, sie könnten ihm einen ... Nicht erst seit jener Nacht ist das Verhältnis etwas gespannt, denn kritikfreudige Landsleute halten ihren himmlischen Helden in irdischen Funktionen für überfordert.

Als Teammanager (besser: Aufpasser) stellte ihm Grondona zwar den knorrigen Carlos Bilardo zur Seite, seinen Trainer von 1986, bloß reden die zwei kaum miteinander. Die Berichterstatter wundern sich derweil über skurrile Freundschaftsspiele mit einer lokalen Kollektion gegen Panama, Costa Rica, Jamaika. In 16 Monaten berief Maradona 102 Spieler - "die größte Auswahl der Welt", befand La Nación. Maradona erwiderte, es könnten auch 150 Spieler werden. Mancher Debütant wechselte nach seinem ersten Länderspiel sogleich nach Europa, Franco Zucculini zum Beispiel nach Hoffenheim. Von den WM-Kandidaten stammen ohnehin nur wenige aus Argentiniens Pleiteliga, weshalb Maradona auf dem Flug nach München nur von Juan Sebastián Verón und Clemente Rodríguez von Estudiantes de La Plata sowie Nicolás Otamendi von Vélez Sarsfield begleitet wurde. Verón ist neben Kapitän Javier Mascherano (Liverpool) der Denker im Mittelfeld, denn Juan Román Riquelme von Boca Juniors trat wieder mal beleidigt zurück. Angesichts der Kreativkrise wünscht mancher die Rückkehr, Maradona nicht: "Ich finde Riquelme toll, aber das Thema ist erledigt."

Die Nummer 10 reichte er an Lionel Messi weiter, "Messi ist mein Maradona". Wobei Messi unter ihm nicht annähernd so maradonianisch auftrumpft wie in Barcelona. Fast alle Stürmer schießen ihre Tore lieber in ihren Klubs, gerade wieder Messi für den FC Barcelona, Carlos Tevez für Manchester City, Gonzálo Huguaín für Real Madrid, Diego Milito für Inter Mailand und Schwiegersohn Sergio Agüero für Atlético Madrid. Und die Abwehr wackelt, was auch an Gabriel Heinze liegt, den Maradona dennoch immer wieder aufstellt. Beide sind Geschäftspartner, Heinzes Bruder Sebastián führt eine PR-Firma namens "Passion" und wirbt für die "Entwicklung der Marke Maradona". Während seiner joblosen Zeit organisierte er ihm gut bezahlte Vortragsreisen nach Indien und Kleinfeldspiele in Georgien.

24 Jahre ohne WM-Titel

Wegen Gabriel Heinze gibt es Ärger mit Real Madrids Manager Jorge Valdano, weil die Spanier Heinze ziehen ließen und Fernando Gago kaum noch aufstellen. "Valdano ist ein enormer Rivale", zürnte Maradona. Das Publikum fragt sich unterdessen, ob er die Ansammlung weißblauer Talente noch zum Kollektiv vereint. Andererseits haben die Vorgänger Daniel Passarella, Marcelo Bielsa und José Pekerman nicht viel vorgelegt, über das Viertelfinale kam seit Bilardo keiner hinaus. Seine Mannschaft sei "besser als die von '86", findet Maradona und will "nach 24 Jahren ohne WM-Titel den Fluch brechen". Das wäre was im Jahre 50 nach Diego.

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