Trainer Ernesto Valverde:"Griechen spielen besser, je höher der Druck ist"

Ernesto Valverde ist der aktuell erfolgreichste Vereinstrainer Griechenlands - fast hätte er sogar den FC Barcelona trainieren dürfen. Im SZ-Interview spricht er über die besondere Stärke der griechischen Nationalelf, wenn es eng wird - und das Erbe von Otto Rehhagel.

Javier Cáceres

Wenn es einen nichtgriechischen Experten für den griechischen Fußball gibt - dann den spanischen Fußballlehrer Ernesto Valverde aus Viandar de la Vera in der Provinz Cáceres. Der frühere Profi, der unter anderem bei Espanyol Barcelona, FC Barcelona und Athletic Bilbao spielte, wurde in Griechenland zu einem solchen Erfolgstrainer, dass er auch als Kandidat für die Nachfolge von Josep Guardiola beim FC Barcelona gehandelt wurde. Die Bilanz liest sich tatsächlich beeindruckend: Mit Olympiakos Piräus holte er drei griechische Meisterschaften (2009, 2011 und 2012) und zwei Pokale (2009, 2012). Mit der SZ sprach er über den Viertelfinalgegner der deutschen Nationalelf: Griechenland.

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"Griechenland spielt besser, je höher der Druck ist": Trainer Ernesto Valverde.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

SZ: Hat es Sie überrascht, dass Griechenland das Viertelfinale erreicht hat?

Ernesto Valverde: Hombre, ich halte es schon für eine bemerkenswerte Leistung. Wenn man bedenkt, dass die Griechen in der gleichen Gruppe standen wie Polen, Tschechien und Russland. Ich bin jedenfalls nicht von vorneherein davon ausgegangen, dass Griechenland weiterkommt. Aber solche Sachen passieren halt mit Griechenland. Sie spielen umso besser, je höher der Druck ist, der auf ihnen lastet.

SZ: Was sind die Hauptcharakteristika der griechischen Elf?

Valverde: Sie spielen keinen außergewöhnlich ansehnlichen, ausgearbeiteten Fußball. Sie wissen, dass sie den Ball nicht sonderlich lange in ihren Reihen haben werden. Aber sie haben eine Mannschaft, die weiß, dass sie eine Chance haben wird, und die umso überzeugter spielt, je schlimmer es um sie steht. Das macht sie sehr gefährlich. Denken sie an die Qualifikationsphase: Wie die Griechen Spiele umgedreht oder spät den Ausgleich erzielt haben! In meinen Augen sind sie in der K.-o.-Phase auch gefährlicher als in Gruppenspielen. Wenn sie mit Leidenschaft spielen müssen, tun sie es.

SZ: Wie schwer wiegt der Verlust von Karagounis, der gegen Deutschland gelbgesperrt ist?

Valverde: Das wird spannend. Karagounis ist in die Jahre gekommen, aber er hatte in den bisherigen Spielen eine große Präsenz. Wer ihn ersetzen kann? Ich vermute, dass im Mittelfeld Katsouranis, Maniatis und Makos agieren werden. Wenn Griechenland etwas offensiver spielen will, würde Fortounis spielen, der ein bisschen das Spiel machen kann. Aber ich denke, dass sich Fernando Santos für die Dreierreihe mit Makos entscheidet.

SZ: Die Nationalelf wurde jahrelang von Otto Rehhagel trainiert. Welche Bedeutung hatte er für den griechischen Fußball?

Valverde: Er wurde nach dem EM-Sieg von 2004 zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten Griechenlands. Kein Wunder: Es ist der einzige internationale Titel, den das Land erringen konnte. Er hatte aber auch eine außergewöhnliche Generation in seinen Händen.

"Mit fünf Leuten hinten"

SZ: 2010 folgte ihm Fernando Santos nach, ein Portugiese.

Valverde: In meinen Augen ist er ein sehr intelligenter Trainer, der sehr viel Erfahrung hat. Er hat AEK und Panathinaikos Athen und PAOK Thessaloniki trainiert hat. Er steht seinen Spielern sehr nahe, aber er versteht sich auch darauf, sie anzutreiben.

SZ: Kann man von einem Erbe sprechen, das Rehhagel hinterlassen hat?

Valverde: Ich bin kein großer Rehhagel-Experte. Aber was mir in Erinnerung geblieben ist, dass er das Spiel seiner Mannschaften gern von hinten aufzog. Unter Santos ist ein ähnlicher Ton zu vernehmen. Aber ein Erbe? Klar kann ein Nationaltrainer etwas hinterlassen, aber insgesamt ist es eher schwierig. Im Endeffekt nähren sich Nationalmannschaften, wie Santos mir einmal sagte, von den Dingen, die sie in den jeweiligen Vereinsmannschaften vorfinden. Mittel- und langfristig wird das sehr interessant, weil die Griechen nun die Ausbildung sehr viel ernster nehmen als früher.

SZ: Die Griechen schalten mit großer Sicherheit von einem 4-3-3-System in Angriffssituationen auf ein 4-5-1 bei gegnerischem Ballbesitz um.

Valverde: Unter Rehhagel spielten sie auch schon mal mit fünf Leuten hinten, das merkt man heute noch. Die Griechen haben eigentlich fast immer drei defensive Spieler in der Mitte (der Abwehr; Anm. d. Red.), und je nach Lage drei bis fünf Spieler im Mittelfeld. Mit anderen Worten: Sie versuchen hinten gut aufgestellt zu sein, um schauen dann, ob Gekas oder Sapingidis vorne einen Spielzug aufnehmen können, um das Spiel aus den Angeln zu heben.

SZ: Was ist die entscheidende Schwäche? Wie muss man die Griechen attackieren?

Valverde: Ich mag es generell nicht, über Schwächen von Mannschaften zu sprechen. Und erst recht nicht, wenn es um Griechenland geht. Vielleicht kann man sagen, dass der Mannschaft ein bisschen Fußball fehlt. Sie spielt nicht wie Deutschland, die nach dem richtigen Spielzug tasten, auch mal hinten herum spielen, die Banden suchen. Aber Obacht: Die Griechen werden Schwierigkeiten bereiten. Sie werden versuchen, das Spiel zu verknäueln. Man tut gut daran, nie zu glauben, dass sie geschlagen sind. Wenn es den Griechen am Schlechtesten geht, sind sie da und strecken den Kopf raus.

SZ: Man könnte fast meinen, dass Sie über die Wirtschaftskrise sprechen. Sie schrieben kürzlich, die Griechen seien "ein deprimiertes und stolzes Volk".

Valverde: Natürlich wissen die griechischen Spieler, dass ihr Land im Auge des Sturms steht. Dass sie ihrem Volk in schwieriger Zeit mit dem Viertelfinaleinzug eine Freude bereitet haben. Und klar, die Vorstellungswelt Griechenlands, das imaginaire collectife, träumt natürlich von einem Sieg über die Deutschen. Weil jetzt die europäische Wirtschaft von den Deutschen abzuhängen scheint, und die Griechen auf eine Hilfe hoffen, die nicht kommt. Aber dieser Wunsch rührt nicht nur daher, dass man sich den Deutschen wirtschaftlich unterlegen fühlt, sondern auch, weil Deutschland eine Fußballmacht ist. Insofern glaube ich, dass die Wirtschaftslage eine zusätzliche Motivation ist. Aber nicht mehr.

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