Süddeutsche Zeitung

Trainer Domenico Tedesco:Der Einser-Schüler, der Aue retten soll

  • Es ist gerade Trend im deutschen Profifußball, jungen Trainern zu vertrauen.
  • Domenico Tedesco, 31, ist Trainer des abstiegsbedrohten Zweitligisten Aue. Er übernahm die Mannschaft auf dem letzten Platz, dann gewann er von vier Spielen drei.
  • Tedesco, heißt es nun, sei das nächste große Versprechen auf dem attraktiven deutschen Jungtrainer-Markt.

Von Sebastian Fischer

Die Aufmerksamkeit soll jetzt ihm allein gelten, doch er versteckt sich. Domenico Tedesco könnte sich von den Fans feiern lassen an diesem Abend in Berlin, sie haben es auf ihn abgesehen. "Komm, komm, komm", haben sie eben gerufen, mit langem "o", wie zu einem Welpen, in seinem Versteck. Tedesco kniet nun auf dem Rasen in der zweiten Reihe, hinter den Spielern von Erzgebirge Aue, die ihren Sieg beim 1. FC Union feiern.

Zweite Bundesliga, 20 000 Zuschauer, das ist für ihn ja neu und ungewohnt. Aber es fühlt sich ziemlich gut an.

Es ist gerade Trend im deutschen Profifußball, jungen Trainern zu vertrauen. Julian Nagelsmann, 29, wird mit der TSG Hoffenheim wohl bald Champions League spielen. Hannes Wolf, 35, soll den VfB Stuttgart in die Bundesliga zurückführen. Beim Karlsruher SC, den man immer noch mit dem weißhaarigen Winnie Schäfer verbindet und der gerade den grauhaarigen Mirko Slomka entlassen hat, soll jetzt der glatzköpfige Marc-Patrick Meister, 36, den Abstieg in die dritte Liga verhindern. Er war vorher B-Jugend-Trainer.

Tedesco, 31, ist Trainer des abstiegsbedrohten Zweitligisten Aue. Er hatte bis vor einem Monat noch nie Profis trainiert, er übernahm die Mannschaft auf dem letzten Platz, dann gewann er von vier Spielen drei. Tedesco, heißt es nun, sei das nächste große Versprechen auf dem attraktiven deutschen Jungtrainer-Markt.

Am Abend vor dem Spiel in Berlin sitzt er im Mannschaftshotel in Köpenick, trägt einen Pullover in der Vereinsfarbe lila und trinkt Kamillentee. Er wird fast eine Stunde über sich und den Fußball sprechen, ohne einmal "Ähm" zu sagen.

Andererseits "war die Note für mich eine wichtige Eintrittskarte"

Der Einser-Schüler - als der ist Tedesco seit vorigem Sommer dem Fachpublikum bekannt. Damals trainierte er die A-Jugend der TSG Hoffenheim und absolvierte gemeinsam mit Nagelsmann den Fußballlehrer-Lehrgang des DFB. Tedesco schloss als Jahrgangsbester ab, Note 1,0. Es ist nicht sein Lieblingsthema, auch auf die Freundschaft mit Nagelsmann werde er ständig angesprochen, manchmal auch reduziert, "muss ich mit leben", sagt er. Andererseits "war die Note für mich eine wichtige Eintrittskarte". Sonst würden ihn nun weitaus weniger Leute kennen.

Tedesco, geboren in Italien, aufgewachsen bei Stuttgart, ist Student und Kreisligafußballer, als er als Co-Trainer der Siebenjährigen beim VfB Stuttgart mitmachen darf. Bei den jüngsten, ganz unten. Danach geht es nur noch nach oben. Eine Laufbahn wie aus dem Katalog.

Wenn Dirk Mack, damals Trainer-Ausbilder im Württembergischen Fußballverband und heute Nachwuchsleiter bei der TSG Hoffenheim, daran denkt, wie er Tedesco kennenlernte, dann erinnert er sich an einen jungen Mann, der eine halbe Stunde vor dem Training mit Elfjährigen die Hütchen aufgestellt hat. Tedesco schloss sein Studium ab, Bachelor und Master, und arbeitete samstagabends für die Lokalzeitung als Paketpacker. Mack nennt ihn: "gierig". Er holte Tedesco 2015 als A-Jugendtrainer nach Hoffenheim, als der in Stuttgart bereits beschlossen hatte, Trainer zu werden und seinen Job als Wirtschaftsingenieur aufzugeben.

Tedesco ist fußballbegeistert, er liest Taktik-Blogs, in denen von Sechsern die Rede ist, die abkippen, oder von fluiden Neunern. Er hat selbst Beiträge für ein Coaching-Magazin verfasst, über Umschaltverhalten im Kinderfußball. Er kennt die Klischees vom jungen Fußball-Professor, die ihm vorauseilen, und weiß, dass es nicht nur Chance, sondern auch Risiko ist, die Profikarriere im rauen Zweitligaabstiegskampf zu beginnen. Da kann sie nämlich schnell wieder vorbei sein.

Der Name Stephan Schmidt zum Beispiel ist nicht mehr so geläufig. Er wurde 2012 als 36 Jahre junger Trainer beim SC Paderborn gefeiert, träumte von der Bundesliga und wurde nach einem Jahr entlassen. Inzwischen ist er B-Jugend-Trainer beim FC Schalke. Nicht gescheitert, aber auch nicht mehr oben. Ja, sagt Tedesco: Er kenne Schmidts Geschichte.

Aue ist ein Malocherverein, die Fans kreuzen aus Tradition nach Siegen die Arme wie zwei Hämmer über dem Kopf. Die Region ist fußballverrückt, und ein Abstieg wäre fatal fürs Budget, sagt der Präsident. Andererseits schwärmt er von Tedesco, er hat ihn einen Vertrag unterschreiben lassen, der auch für die dritte Liga gilt.

"Eine Situation ohne Druck gibt es nicht", sagt Tedesco, aber er traut sich zu, das auszuhalten, sich anzupassen an das Geschäft. Mut und Unbedarftheit, das waren vor zehn Jahren die prägenden Eigenschaften für Talente auf dem Rasen, heute gelten sie für die Talente an der Seite. Bei seiner Vorstellung in Aue begrüßte er die Journalisten mit "Glück auf". Macht man halt so im Erzgebirge, habe er beobachtet.

Tedesco überzeugte den Vorstand mit einem Vortrag ohne Allüren über das Verteidigen von Standardsituationen im Raum. Er begann seine Arbeit mit einem Videostudium über Zweikampfverhalten in der Abwehr, weil Aue zu oft foulte. Er stellte auf Dreierkette um, machte einen Mittelfeldspieler zum Innenverteidiger. Im ersten Spiel gegen Karlsruhe gewann Aue 1:0. "Ist natürlich auch Glück dabei", sagt Tedesco. Er wird demnächst auch mal Pech haben. Das weiß er.

Fußball ist immer noch ein einfaches Spiel. Doch es ist nicht mehr die Arena der Machos. Profis, von denen die meisten in Internaten ausgebildet wurden, sind anspruchsvoller geworden, wollen intelligente Trainer. Das Wichtigste, sagt Tedesco, sei es, Entscheidungen gut zu erklären.

Gegen Berlin, sagt er am Vorabend, werde er vorgeben, das Spiel bei eigenem Ballbesitz zu beruhigen und die Mitte eng zu machen, um weite Pässe auf Stürmer Sebastian Polter zu verhindern. Er nennt Berlins Spielzüge "Schläuche". Polter wird am nächsten Tag keine Torchance haben.

Es ist spät geworden im Hotel, im Fernseher läuft Bundesliga, die Stimme des Reporters überschlägt sich, Julian Nagelsmann hat den FC Bayern mit 1:0 besiegt: "Der jüngste Trainer der Bundesliga!"

Domenico Tedesco grinst, schaut kurz auf, dann zurück auf sein Handy. Sein Co-Trainer ruft an. Der jüngste Trainer der zweiten Liga muss sich jetzt um die eigene Karriere kümmern.

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SZ vom 08.04.2017/chge
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