Hecking beim VfL Bochum:Die größte Herausforderung der Bundesliga

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Erste Therapiesitzung: Dieter Hecking nimmt seine Spieler in die Pflicht – sie sollen selbst daran arbeiten, schnellstmöglich eine Einheit zu werden. (Foto: Marc Niemeyer/kolbert-press/Imago)

„Ich bin kein Zauberer“, sagt Bochums neuer Trainer. Und es scheint, als wisse Dieter Hecking selbst nicht, ob es eine gute Idee war, den Tabellenletzten zu übernehmen.

Von Ulrich Hartmann, Bochum

Das Ausmaß von Verzweiflung und Perspektivlosigkeit beim Fußball-Bundesligisten VfL Bochum wäre prädestiniert für einen klassischen Sportfilm, so einen, in dem ein zusammengewürfelter Haufen von sympathischen Chaoten eine Demütigung nach der anderen erleidet, bevor ein erfahrener und charismatischer neuer Trainer kommt, der alles verändert. Oder gibt es solche Geschichten nur in Hollywood?

Noch ist Bochum das Gegenteil von Hollywood. Der VfL ist abgeschlagener Tabellenletzter und hat mit einem Punkt und 9:29 Toren die schlechteste Bilanz, die in 62 Jahren Bundesliga je eine Mannschaft nach neun Spieltagen hatte. Das Team verfügt über den zweitwenigsten Ballbesitz, hat die schlechteste Passquote und begeht die meisten Fouls der Liga. Die eigenen Fans pfeifen und buhen zurzeit ganz ordentlich.

Im Klub ist unterdessen so ziemlich alles erodiert: Erst wurde der Trainer Peter Zeidler nach nur vier Monaten im Amt gefeuert. Dann hat der mächtige Präsident und Aufsichtsratsboss Hans-Peter Villis entnervt seine Ämter niedergelegt. Unter dem Interimscoach Markus Feldhoff erlitt ein weiter auseinanderbrechender VfL ein 0:5 gegen den FC Bayern und ein 2:7 bei Eintracht Frankfurt. Ein Nachfolger für den ebenfalls suspendierten Sportdirektor Marc Lettau wird weiter gesucht, und der einzig verbliebene Geschäftsführer Ilja Kaenzig hat sich öffentlich kritisch über die Mentalität der Mannschaft geäußert.

„Das ist keine einfache Mannschaft“, hat er gesagt. Wer will so ein Team in so einem Verein unter solchen Umständen trainieren? Warum sollte sich das jemand antun?

Am Dienstagmittag saß Dieter Hecking, 60, auf dem Podium im Pressesaal des Bochumer Ruhrstadions und sagte: „Ich liebe Herausforderungen, das war in meinem Leben immer so, ich musste mir alles hart erarbeiten.“ Es gibt in der Bundesliga zurzeit keine größere Herausforderung, als zu versuchen, einen bislang völlig überforderten VfL Bochum in der Bundesliga zu halten. Hecking wusste bereits, dass er Bochums Notfallversorger werden soll, als er sich am vergangenen Samstag im Fernsehen die 2:7-Niederlage in Frankfurt angesehen hat. Am Dienstag gestand er: „Ganz ehrlich, in der Pause musste ich erst mal spazieren gehen und mir sagen: Überleg’ noch mal!“ Er hat noch einmal überlegt, aber er ist bei seiner Entscheidung geblieben.

Kultvereine wie der VfL Bochum „sterben in der Bundesliga langsam aus“, sagt Hecking

Wie unwägbar zurzeit alles in Bochum ist, erkennt man nicht zuletzt daran, dass Kaenzig und Hecking sich zunächst nur auf einen Vertrag bis zum Saisonende verständigt haben. Ausgang völlig offen. „Klassenerhalt oder Abstieg, ob ich bleibe oder nicht – das war alles nicht Bestandteil unseres Gesprächs“, sagte Hecking: „Ich bin kein Messias und kein Zauberer – ich hoffe einfach nur, mit meiner Erfahrung einem Kultverein wie dem VfL Bochum helfen zu können, denn solche Vereine sterben in der Bundesliga langsam aus.“ Ihm sei auch daran gelegen, „die Identität des VfL Bochum wieder herzustellen“. Sollte der Klassenerhalt gelingen, wäre Hecking einer Vertragsverlängerung nicht abgeneigt. Und selbst, wenn der VfL absteigen sollte, könnte er sich trotzdem vorstellen, über einen Verbleib nachzudenken. „Aber wenn’s ein Totaldesaster wird“, sagt er lächelnd, „dann will mich hier vielleicht auch niemand mehr sehen.“

Der im ostwestfälischen Soest aufgewachsene Hecking ahnt, wie schwer es werden könnte, diese Kabine, die in den vergangenen Jahren von mehreren Trainern verloren wurde, kurzerhand für sich zu gewinnen. „Klar ist das eine schwierige Aufgabe“, gestand er, „und ich weiß auch nicht, ob wir sie gelöst bekommen, aber ich werde mit all meiner Erfahrung versuchen, die Mannschaft zu packen.“

Bilder wie diese vom 2:7 gegen Frankfurt (vorne Torwart Patrick Drewes) müssen nun schnell aus den Köpfen. (Foto: Jan Huebner/Imago)

Diese Mannschaft nahm er nach dem ersten Training am Dienstag gleich in die Verantwortung: „Die Jungs müssen jetzt auch anfangen, miteinander daran zu arbeiten; wenn die Spieler selbst schon sagen, dass sie eine Einheit werden müssen, dann sind sie auch selbst dafür verantwortlich.“ Teambuilding-Maßnahmen seien überholt, sagt Hecking: „Die Mannschaft ist gefordert – und daran werde ich sie auch erinnern.“

Hecking wirkte, als wisse er auch jetzt noch nicht so genau, ob seine Zusage in Bochum eine gute Idee war: „In meinem privaten Chat auf dem Handy habe ich viele Reaktionen bekommen, von ‚Cool, dass du so einen Kultverein übernimmst‘ bis ‚Was tust du dir für einen Scheiß an‘.“ Mit übertriebener Heimatliebe hat seine mittlerweile zehnte Trainerstation nichts zu tun, obwohl Hecking vor 60 Jahren in Castrop-Rauxel geboren wurde, das liegt nur 15 Kilometer nordöstlich von Bochum. Der VfL spielt bekanntlich im Ruhrstadion an der Castroper Straße. Ein Castroper Trainer an der Castroper Straße – vielleicht ist das ja ein hilfreicher Ansatz.

Hecking ist nun auf dem Weg in die ewige Top Ten der Bundesligatrainer

Hecking ist vor einem halben Jahr als Sportvorstand beim Zweitligisten 1. FC Nürnberg entlassen worden, wo er zwischenzeitlich in Doppelfunktion auch noch Trainer war. Eine solche Doppelfunktion will er in Bochum nicht übernehmen, aber erstens ist im Hinblick auf Transfers derzeit sowieso eher weniger zu tun, und zweitens sucht der Klub nach einem Sportdirektor. Hecking wird sich ganz auf seine Arbeit als Trainer fokussieren können.

Er steht kurz davor, in die ewigen Top Ten der Bundesligatrainer vorzustoßen. Hecking hat 418 Spiele als Bundesligatrainer auf dem Buckel, und mit den nächsten acht überholt er auf dem zehnten Platz den kürzlich verstorbenen Christoph Daum (425). Sein bislang letztes Erstligaspiel als Trainer hatte Hecking vor fünf Jahren mit Mönchengladbach, sein allererstes war 2006 mit Alemannia Aachen in Leverkusen. Gegen Bayer Leverkusen spielt er jetzt mit dem VfL Bochum am kommenden Samstag. Mal sehen, ob sich da schon eine Hollywood-artige Geschichte abzeichnet.

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