Tour de France:Die Favoriten entfachen einen kräftigen Sog

Tour de France

Der spätere Etappensieger Thibaut Pinot (l.) neben Emanuel Buchmann.

(Foto: dpa)
  • Die 14. Etappe der Tour de France rüttelt das Klassement durcheinander.
  • Vorjahressieger Geraint Thomas wirkt schwer getroffen. Julian Alaphilippe verteidigt beim Tagessieg von Thibaut Pinot das Gelbe Trikot.
  • Emanuel Buchmann fährt auf Platz vier und weckt große Erwartungen.

Von Johannes Knuth, La Mongie

Emanuel Buchmann ließ sich ans Ende der Gruppe fallen, er wollte seine Konkurrenten vor sich sehen, wer noch locker wirkte, wer schon schwere Beine hatte. Er schlängelte sich wieder nach vorn, für den Fall, dass nun jemand angreifen würde. Aber niemand wagte sich ganz nach vorn, das Tempo war noch immer mörderisch - so ging das nun schon seit 19 Kilometern, die sich das Feld den Tourmalet hinaufquälte. Und dann, als es das nun schon sehr kleine Ensemble der Favoriten immer mehr auseinanderzog wie ein Gummiband - da setzte Buchmann einen Ruck, der das Band zum Reißen brachte. Er sprang ein paar Meter davon, schaute sich um, zog das Tempo noch mal an, blickte wieder über die Schulter.

Thibaut Pinot war noch da, der starke Franzose. Dessen Landsmann Julian Alaphilippe, Träger des Gelben Trikots. Egan Bernal, der junge Kolumbianer vom Team Ineos, Steven Kruijswijk, der Niederländer von Jumbo-Visma und Mikel Landa von Movistar. Aber das war es auch schon. Und noch bemerkenswerter war, wen gerade die Kräfte verließen, als habe man ihm einen Mantel aus Blei übergestülpt: Geraint Thomas, der Vorjahressieger, ebenfalls Ineos. Und auch wenn Buchmann kurz darauf vergeblich um den Tagessieg spurtete - sein vierter Platz, vor vielen Favoriten dieser 106. Tour de France, festigte das, was schon in der ersten Hälfte des Rennens immer größere Gewissheit erlangt hatte: Der 25-Jährige Ravensburger hat es sich in der "absoluten Weltspitze" bequem gemacht hat, wie sein Teamchef Ralph Denk später sagte, funkelnd vor Stolz.

Die 14. Etappe am Samstag hatte das Klassement dieser Tour zum ersten Mal richtig durchrütteln sollen, und am Ende entfachten die Favoriten tatsächlich einen Sog, der diese Rundfahrt seit Jahren nicht mehr gepackt hat. Der Vorjahressieger: schwer getroffen. Seine Helfer: nicht so stark und verlässlich an der Seite ihres Kapitäns wie in den vergangenen Jahren, als die Briten sechs Mal die Tour gewannen. Ganz oben, am 2115 Meter hohen Tourmalet: Pinot, dessen FDJ-Equipe das Tempo diesmal in aberwitzigere Sphären getrieben hatte, und der knapp vor Alaphilippe gewann, dahinter Kruijswijk und Buchmann. Im Klassement liegt Alaphilippe nun sogar zwei Minuten vor Thomas und Bernal, etwas mehr als drei vor Buchmann, der sich mit Pinot Rang fünf teilt. Und so gab der Samstag auch den Blick auf eine Frage frei, die mittlerweile so wahnwitzig wie angemessen ist: Kann Alaphilippe, der noch nie eine Bewerbung fürs Klassement einer Rundfahrt vorgelegt hat, auf Anhieb die schwerste Prüfung seines Sports gewinnen? Als erster Franzose seit 1985?

Die Euphorie der Gastgeber hatte schon am Freitagabend einen ersten Siedepunkt erreicht, nach dem Einzelzeitfahren in der Hitze von Pau. Alaphilippe ließ sich einfach nicht abschütteln, so wie er die Favoriten schon in den steilen Rampen der Vogesen im Zaum gehalten hatte. Er war bei den Zwischenzeiten stets besser als Thomas, dem wehrhaftesten Zeitfahrer unter den Favoriten, und als er auf die letzte, giftige Steigung einbog, wo die Fans so laut brüllten, dass ihm fast das Trommelfell platzte, wie Alaphilippe später behauptete - da riss er den Etappensieg endgültig an sich.

Den Sieg im Zeitfahren?

Alaphilippe ist eigentlich ein Experte für die Eintagesklassiker, mit ihren knackigen aber nicht zu langen Steigungen. Auf diesem Terrain hatte er zuletzt ein überragendes Frühjahr gezeigt, vor allem bei seinem Triumph bei Mailand - San Remo. Nur: Die dafür nötige Explosivität ist eigentlich schwer vereinbar mit dem, was es fürs Zeitfahren und die langen Gebirgspässe braucht (auch wenn Alaphilippe der wellige Zeitfahr-Kurs am Freitag durchaus entgegen kam). Ausdauer vor allem, monotones Treten im Sattel, fast eine Stunde lang. Keine Spezialität des 27-Jährigen. Aber hatte man Ähnliches nicht auch vor dem Zeitfahren geltend gemacht? "Wenn Alaphilippe am Tourmalet nicht Zeit verliert", hatte Nicolas Portal, Sportdirektor von Ineos, am Freitag gesagt, "müssen wir uns langsam Sorgen machen."

"Momentan ist er einer der ganz Großen", sagt Gregor Mühlberger über Emanuel Buchmann

Sorgen machten sich am Samstag erst mal andere. Romain Bardet fiel schon am Col du Soulor zurück, an der ersten der zwei großen Klippen auf der nur 117 Kilometer langen Etappe. Eine düstere Tour des Franzosen wurde am Samstag noch finsterer. Am Tourmalet rückte das Feld der Favoriten dann noch mal zusammen, aber als FDJ und Movistar das Tempo mit immer fiebrigerem Verve vorantrieben, bröckelte die Gruppe nach und nach auseinander. Erst erwischte es Adam Yates, dann Nairo Quintana, Jakob Fuglsang, Richie Porte. Auch Alaphilippe rutschte immer mal wieder ans Ende der Gruppe. Gleich neben Thomas. Aber sie fingen sich, auch als Pinot und Kruijswijks Helfer das Feld arg auseinanderzogen. Bis Buchmann den nächsten Ruck durch die Gruppe fahren ließ.

Nach der Zieldurchfahrt wusste man kaum, wo man anfangen sollte. Beim Etappensieger Pinot? Der am Montag im Seitenwind noch fast zwei Minuten auf die Favoriten verloren hatte und nun ein "Gefühl des Feuers" verspürte? Oder doch bei der schwer zerfledderten Ineos-Equipe? Oder natürlich Alaphilippe, der sich nach und nach in einen Kandidaten fürs große Ganze verwandelt? "Für mich ist es einfach ein weiterer Tag in Gelb, mehr kann ich nicht verlangen", sagte er nach dem Rennen, einerseits. Andererseits: Je länger er sich dem Finale in Paris im Gelben Trikot nähere, "desto mehr werde ich mich das selbst fragen", sagte er. Das war nicht mal mehr ein halbherziges Dementi.

Und dann war da noch die Frage, die bei der Tour gerade nicht wenige Beobachter beschäftigt: wie Alaphilippe mit dem Verdacht umgeht, den im Radsport traditionell all jene auf sich ziehen, die eiserne Gewissheiten aushebeln. "Ich bin nicht hier, um darüber zu sprechen", hatte der 27-Jährige schon in Pau gesagt, "ich bin hier, um Rad zu fahren." Dann sprach er doch ein wenig. "Ich muss ehrlich sagen: Ich bin überraschter als ihr alle. Aber ich weiß, wie hart ich gearbeitet habe, um da zu sein, wo ich bin", im Höhentrainingslager Ende Mai in der Sierra Nevada etwa. Ob das die Zweifel zum Ersticken bringt?

Emanuel Buchmann, der strampelte am Samstag übrigens am Teambus hinter dem Ziel in La Mongie auf der Rolle, abseits des größten Trubels. Und wenn er sich sehr über seinen Auftritt freute, dann verbarg er das so sehr wie die Wolken zum gleichen Zeitpunkt die umliegenden Pyrenäengipfel verhüllten. Er sei "richtig zufrieden", er habe sich immer gut gefühlt, aber die kommenden Etappen seien noch schwer - am Sonntag stehen noch mal drei Pässe der ersten Kategorie in den Pyrenäen an, diesmal auf 185 Kilometern. "Freuen kann ich mich dann in Paris", sagte Buchmann. Und überließ das Wort bald mal wieder den anderen. "Momentan ist er einer der ganz Großen", sagte Gregor Mühlberger, sein Teamkollege, nachdem er Buchmann am Teambus geherzt hatte. Dann fügte er an: "Einer, der bis zum Schluss ganz vorne mitfahren kann." Und auch dies sagte Mühlberger über Buchmann: "Ich denke, er ist der nächste ganz große deutsche Star."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: