Tour-Sieger Pogacar:Doping ist ein Vergehen im Hier und Jetzt

Der Radsport hat selbst dafür gesorgt, dass bei Auftritten wie jenem von Tadej Pogacar bei der Tour Zweifel angebracht sind. Er offenbart irre Leistungsdaten.

Kommentar von Johannes Aumüller

Seine Gratulanten kann sich niemand aussuchen, schon gar nicht in Zeiten von Twitter. Aber eine Ehrerbietung an Tadej Pogacar stach doch besonders heraus. "Das war eine der besten Leistungen, die wir jemals im Radsport gesehen haben", lautete ein Gruß nach der verblüffenden Fahrt des Slowenen ins Gelbe Trikot. Der Absender: ein gewisser Lance Armstrong, seines Zeichens einer der größten Betrüger in der Sporthistorie. Er musste alle seine sieben Titel bei der Tour de France wegen systematischen Dopings wieder zurückgeben.

Der Radsport hat schon viele Leistungen erlebt, an denen er sich berauscht hat - und über die er ein paar Tage, Monate oder Jahre später hören musste, dass es dabei leider nicht ganz korrekt zugegangen war. Das, was sich am Samstag hinauf zur Planche des Belles Filles abspielte, erinnerte ein wenig an das 100-Meter-Rennen des Leichtathleten Usain Bolt bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking. So unwirklich war der Auftritt, dass selbst leidenschaftliche Beobachter, die skeptische Einwände gemeinhin eher verscheuchen wollen, sich einmal fragen, ob und wie das noch alles mit rechten Dingen zugehen kann.

In Sloweniens Radsport gibt es besonders viele Dopingfälle

Tadej Pogacar ist bisher weder positiv getestet noch sonstwie überführt worden (wie Bolt übrigens auch nicht). Gleichwohl ist es nicht die Zeit für bedingungsloses Staunen über einen 21 Jahre alten Wunderknaben, der mal eben die Konkurrenz zerlegt. Es ist die Zeit des Zweifelns, dafür haben Geschichte und Gegenwart des Radsports selbst gesorgt.

Ja, auch die Gegenwart. Doping ist nicht nur ein Vergehen aus der Armstrong-Zeit, als das Peloton nachweislich nahezu flächendeckend verseucht war. Sondern auch aus dem Hier und Jetzt, wenngleich die Rad-Szene das gerne ignoriert. Es lassen sich nun mal so viele Beispiele finden, vom positiven Salbutamol-Test des viermaligen Tour-Siegers Chris Froome bis zum Doping-Interview eines Kolumbianers, der daraufhin Morddrohungen erhielt und sich bei seiner Rückkehr ins Peloton gemobbt fühlte.

Man muss in diesen Tagen auch nur zum Landgericht München schauen. Da geht es in einem spektakulären Prozess um einen Blutdopingring eines Erfurter Arztes, zu dem auch diverse Radsportler gehörten. Zufall oder nicht: Eine große Rolle spielt just Slowenien. Zwei slowenische Fahrer sind als Kunden enttarnt worden, nach weiteren sollen sich die Ermittler in Vernehmungen erkundigt haben, die Gerätschaften sollen über Slowenien nach Erfurt gekommen sein. Und überhaupt: Sloweniens Radsport ist in den vergangenen Jahren besonders auffällig gewesen. Acht der 19 Slowenen, die zwischen 2009 und 2019 in der World Tour fuhren, waren schon mal gesperrt. Der sonst eher nachlässige Weltverband UCI schob zuletzt sogar eine Untersuchung gegen den dortigen Radsport an.

Auch bei Pogacar gibt es Gründe, die Zweifel wecken. Sein Entdecker Andrej Hauptman wurde 2000 wegen seiner Blutwerte nicht zur Tour zugelassen, die Spitze seiner UAE-Equipe war früher in Teams mit vielen Dopingfällen aktiv. Pogacar selbst offenbarte irre Leistungsdaten bei dieser Tour, die nicht umsonst als die schwerste seit Langem gilt. Nicht nur den Peyresourde fuhr er schneller hoch als jeder andere vor ihm, beim Schlusszeitfahren schaffte er in einer wichtigen Kategorie einen außerordentlichen Wert: 6,5 Watt pro Kilogramm Körpergewicht trat er im Anstieg durchschnittlich. Das ist ein Bereich, in den gemeinhin bisher nur Armstrong und Kollegen in ihren Superdoper-Jahren kletterten.

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