Tour de France:Auf eine Zigarette mit Tadej Pogacar

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Ganz gelb – nur nicht im Gesicht: Dem Gesamtführenden Tadej Pogacar aus Slowenien scheint die Prozedur offenbar nichts anzuhaben. (Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP)

Tests mit Kohlenmonoxid-Geräten, ein neu entdecktes Schmerzmittel und eine verstärkte Zahl an Positivfällen: Offiziell reden die Rad-Verantwortlichen das Manipulationsthema gerne klein – tatsächlich gärt es kräftig.

Von Johannes Aumüller, Barcelonnette/Gap

Ein wenig läuft es wie beim Auftritt eines Rockstars. Die Techniker bereiten schon mal alles vor, ein Mitglied der UAE-Equipe muss sich zwischendurch schon mal warm fahren, und irgendwann ist der Moment da, in dem ein Fahrer nach dem anderen aus dem Bus tritt, bis auch das Maillot Jaune auftaucht. Genauer gesagt: Erst einmal taucht nur eine gelbe Radlerhose auf, weil der Träger des gelben Dresses noch kurz auf der Treppe stehen bleibt und sein Oberkörper noch nicht zu sehen ist – ehe er doch herauskommt und sich von den Fans bejubeln lässt.

Tadej Pogacar, 25, ist der Mann, der wie kein anderer im Fokus dieser Tour steht, seitdem er in den Pyrenäen alle Rekorde gebrochen hat. Und weil nun für die finalen Alpen-Etappen in seinem Duell mit Jonas Vingegaard, 27, wieder rasante Auftritte zu erwarten sind. Aber das führt auch dazu, dass er jetzt nicht nur sportliche Antritte, sondern auch allerlei Fragen und Themen parieren muss. So hat das Rad-Portal Escape Collective herausgearbeitet, dass ein paar Teams im Höhentrainingslager ein Kohlenmonoxid-Kreislaufgerät eingesetzt haben – darunter auch Vingegaards Visma-Combo und Pogacars UAE-Equipe.

Jetzt ist die Aufregung in der Szene groß, weil das auch missbräuchlich genutzt werden könnte, wenn Sportler über solche Geräte öfter und intensiv das giftige Kohlenmonoxid-Gas einatmen. Aber die Beteiligten sind bemüht, das Thema runterzudimmen. Man mache da nichts Verbotenes, beteuern sie. Man nutze das nur für kurze Tests, um zu prüfen, wie die Sportler und ihr Blutvolumen auf die Höhe reagieren. „Es ist einfach nur ein Test“, sagte Pogacar selbst: „Sie atmen eine Minute lang in einen Ballon.“

Dan Lorang, Performance-Chef beim Team Red Bull, will darin grundsätzlich nichts Verwerfliches sehen. In seinem Team kommt das Verfahren zwar nicht systematisch zum Einsatz, weil es zu aufwendig und zu teuer sei, wie die Verantwortlichen mitteilen; aber für ihn ist das nichts Neues. Schon vor zehn Jahren hätten Mannschaften dies benutzt, und die Messgewohnheiten hätten sich verfeinert. Früher hätte ein Sportler so viel Gas einatmen müssen, dass es dem Gegenwert von zehn Zigaretten entsprach; heute allenfalls noch von einer. Und der Ablauf sei ganz einfach: Eine Atemrunde zu Beginn des Höhentrainingslagers und eine ganz am Ende – und dann könne man sehen, welchen Effekt der Aufenthalt in der Höhe habe.

Bei diesen Rahmenbedingungen wirkt es nur etwas ulkig, wie der Test bei Pogacar ablief. Denn der Slowene berichtet, dass er nur die erste Runde absolviert habe. „Den zweiten Teil habe ich nie gemacht, weil die Frau, die nach zwei Wochen kommen sollte, nicht gekommen ist.“ Damit war dann auch kein Vergleich möglich – und die Atemübung gleichermaßen für die Katz.

Die Zahl der Positivfälle ist zuletzt wieder angestiegen

Das ewige Ausreizen aller Möglichkeiten und Grenzen, es bleibt ein Kernthema im Radsport – auch das Überschreiten dieser Grenzen. In offiziellen Stellungnahmen reden die Verantwortlichen das Dopingthema gerne klein. Tatsächlich gärt es kräftig. Die Zahl der Positivfälle stieg zuletzt wieder an. Im Vorjahr waren es weltweit fast 30 – weit weniger als zum Beispiel in der Leichtathletik, aber mehr als in den Jahren zuvor. Das Gros davon betrifft Continental-Teams, also die zweite Liga des Sports, aber zuletzt auch so manchen Prominenten.

Bei Ag2r zum Beispiel fehlt bei der Tour Franck Bonnamour (früher mal als kämpferischster Fahrer der Rundfahrt prämiert) wegen Auffälligkeiten im Blutpass. Der Astana-Klassementfahrer Miguel Angel Lopez, Spitzname „Superman“, wiederum wurde wegen des Gebrauchs des Hormons Menotropin sanktioniert. Auch bei Vingegaards Visma-Equipe gab es kürzlich einen Fall: Der deutsche Nachwuchsfahrer Michel Heßmann erhielt wegen eines unerlaubten Diuretikums eine Sperre von vier Monaten – allerdings ist diese Causa speziell, weil die Nationale Anti-Doping-Agentur davon ausgeht, dass der Positivbefund auf ein verunreinigtes Medikament zurückgeht. Und zu diesen konkreten Fällen gesellt sich ein Hintergrundrauschen europäischer Ermittlungsbehörden, die in diversen Ländern Dopern nachspüren.

Aber neben dem klaren Doping ist da eben noch der große Grau- und Grenzbereich. In diesem Kontext wäre es dann etwa interessant, wenn ein Kohlenmonoxid-Gerät nicht nur für Tests zur Bestimmung des Blutvolumens benutzt werden würde. Aber es gibt auch viele andere Beispiele – etwa im Schmerzmittel-Segment.

Nach fast zehnjährigem Kampf ist der Einsatz von Tramadol endlich verboten – und schon gibt es ein neues, noch stärkeres Mittel

Vor rund einem Jahrzehnt breitete sich Tramadol im Peloton aus. Das ist ein starkes Schmerzmittel, das zugleich euphorisierend wirkt. Es war nicht verboten, aber die „Vereinigung für einen sauberen Radsport“ (MPCC) riet dazu, das Medikament nicht zu benutzen. Der Grund: Starke Nebenwirkungen, darunter Schwindelanfälle und Konzentrationsstörungen – und damit eine Erhöhung der Sturzgefahr. Fast zehn Jahre dauerte der Kampf gegen den Einsatz von Tramadol, nun ist es verboten.

Doch kaum ist Tramadol gebannt, ist ein Ersatzstoff da. Sein Name: Tapentadol. Das ist auch ein Schmerzmittel – und zwar ein noch stärkeres. In einem Meeting von Radsport-Offiziellen wurde nach Recherchen der Zeitung Le Temps sogar vorgetragen, es könne „zehnmal stärker“ sein. Der Konsum ist offenkundig so verbreitet, dass die MPCC und der Rad-Weltverband (UCI) besorgt sind und die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) um eine Prüfung gebeten haben. Und so ist Tapentadol nun dort gelandet, wo Tramadol schon vor einem Jahrzehnt stand: auf der Monitoring-Liste der Wada.

Der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel hat sich intensiv mit der Wirkungsweise der beiden Stoffe beschäftigt. Es ist nicht ganz leicht, die beiden Substanzen miteinander zu vergleichen, aber ein paar bemerkenswerte Umstände bleiben doch: Tramadol wirkt nicht nur schmerzlindernd, sondern auch euphorisierend, aber Tapentadol ist insgesamt aktiver – und sein Wirkungseintritt schneller als der von Tramadol.

„Tapentadol wird allgemein als wirksamer angesehen als Tramadol“, sagt Sörgel. „Um wie viel wirksamer es ist, das kann man nicht so einfach sagen, weil man für den Vergleich unterschiedliche Wirkungsqualitäten berücksichtigen muss. Aber in jedem Fall wundere ich mich, warum das nicht schon lange von der Wada überprüft wurde.“ Nur, wenn es so lange dauert wie im Fall von Tramadol, kann das Peloton jetzt erst einmal ein knappes Jahrzehnt Tapentadol zu sich nehmen – und wer weiß, welche Schmerzmittel dann auf dem Markt sind.

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