Tour: Debatte um Contador:Reue auf Video

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Erst wollte er nichts gesehen haben, dann um 23.55 Uhr entschuldigt sich der Tour-Führende Alberto Contador für die Unsportlichkeit am Rivalen Andy Schleck - die Tour diskutiert den Fall auf mehreren Ebenen.

Andreas Burkert

Im Ziel von Pau umarmt ihn Alberto Contador vor der Interviewtafel des französischen Fernsehens, er kneift ihm jovial in die Wangen, und Andy Schleck lässt es geschehen. "Es ist alles wieder gut", sagt Schleck, der vor 24 Stunden noch recht derb über den Spanier geschimpft hatte. "So etwas passiert im Rennen, und der Tourmalet kommt ja noch einmal." Am Donnerstag, nach dem Ruhetag in Pau. Die große Versöhnung soll hier stattfinden, und der Moderator vollendet sie perfekt. "Findest du, dass die Pfiffe gestern gegen Alberto ungerecht waren." - "Ja, klar", sagt der Luxemburger, man kenne sich ja auch gut. "Sag' es direkt in die Kamera!" Schleck schaut in die Kamera, "ja, ich finde die Pfiffe gegen Alberto waren nicht gut." Sehr amüsant, sehr schön.

Den Konkurrenten im Blick: Alberto Contador hinter seinem Widersacher Andy Schleck. (Foto: ap)

Montag in Bagneres-de-Luchon hatten sie den neuen Mann im Gelben Trikot noch ausgebuht. Denn Contador, 27, hatte vor aller Welt sein Image geschärft, im negativen Sinn. Man sah ihn dabei seine weißen Zähne fletschen. Der Spanier kämpfte verbissen in einem Moment großer Peinlichkeit. Andy Schlecks Malheur mit der abgesprungenen Kette in den Sekunden seines Angriffs im Port de Balès hatte Contador umgehend ausgenutzt - und von hinten attackiert. Und dann log er hinterher auch noch, als er versicherte, er habe Schlecks Panne nicht mitbekommen. Wirklich jeder hatte gesehen, dass es nicht stimmte.

Er würde "so nicht die Tour gewinnen wollen", hatte Schleck in Bagnères gezischt, wo ihm letztlich acht Sekunden zum Erhalt der Spitzenposition fehlten. "Contador ohne Mitleid", titelte dienstags L'Équipe. Und Luxemburgs Tageblatt zeigte den Madrilenen auf der Frontseite. Darüber steht mit aufrichtiger Entrüstung: "Sieht so ein Champions aus?"

Das hat sich vielleicht auch Contador gefragt, als er von seinen Leuten ins Hotel nach Baqueira Beret chauffiert wurde, drüben auf der spanischen Seite der Pyrenäen. Oder zumindest seine Berater, denn sie setzten ihn bald nach der Ankunft vor eine Handkamera und drehten auf seinem Zimmer ein Video mit ihm.

Um 23.55 schickte Contadors Presseattaché Jacinto Vidarte den Kurzfilm herum. Eine nachgereichte Entschuldigung, um die Wogen zu glätten.

Konversation im Tourmalet

"Als ich attackierte, hatte Andy ein mechanisches Problem. Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Es tut mir leid", sagt Contador in dem Video. Sein Verhalten im Balès-Anstieg sei nicht sein Stil, "aber in der Phase des Rennens denkt man nur daran, schnell zu fahren. Ich bin nicht glücklich über die Umstände, weil für mich Fair Play sehr wichtig ist".

Auch beim Rührstück in Pau hat er das noch einmal versichert, und Schleck will ihm das glauben. "Die Tour wird nicht wegen acht Sekunden entschieden", sagt er. Sondern Donnerstag bei der Bergankunft auf dem Tourmalet, zumindest für ihn. Dort muss Schleck angreifen, um vor dem Zeitfahren am Samstag doch noch mit etwas Vorsprung auf Contador ins Rennen gegen die Uhr zu gehen.

Am Dienstag blieb ein Angriff aus auf der Königsetappe, trotz der vier schweren Prüfungen mit dem Peyresourde, dem Aspin, dem Tourmalet und abschließend dem Col d'Aubisque. Einer Ausreißergruppe mit Lance Armstrong wurde Ausgang gewährt - während sich hinten Schleck und Contador in einer kurzen Konversation wieder annäherten. Zusammen mit dem Peloton kamen sie ins Ziel, wo der Franzose Pierrick Fedrigo den Sprint der Fluchtgruppe gewonnen hatte. Armstrong wurde Sechster.

Die Sache geht nun aber wohl doch in Contadors Vita ein, trotz aller Reue und Charme-Offensiven. Im Feld dominierte schon Montagabend die Meinung, er habe einen Kodex verletzt. "So etwas macht man nicht", sagte wie viele Milram-Profi Linus Gerdemann, "bei seiner Klasse hat er so etwas gar nicht nötig." Auch Armstrong, der einstige Boss des Feldes, hatte noch vor dem Anblick der aussagekräftigen TV-Bilder geurteilt: "Wenn Contador angriff, nachdem er sah, dass Schleck ein Problem hatte, wäre das nicht korrekt." Doch dass sogar er Schleck unterstützt, ist Beleg für eine zweite Ebene dieser Affäre, auch wenn er Contador fast noch weniger mag.

Schlecks Saxo-Team hatte ja mit einer eigenen Interpretation des Fair Play gerade bei Armstrong für Verärgerung gesorgt. Auf dem Weg nach Spa, als die Brüder Schleck gestürzt waren, organisierte deren Teampartner Fabian Cancellara die Neutralisation. Tags darauf, auf dem Kopfsteinpflaster nach Arenberg, erlitt Armstrong in der Spitzengruppe einen Defekt. Schleck und Cancellara forcierten weiter ihre Fahrt. Armstrong fuhr den Rest des Tages allein im Staub.

Am Tag nach Arenberg fuhr Armstrong nach dem Start zu Cancellara und Schleck und sagte ihnen laut Ohrenzeugen: "Mit euch bin ich fertig." Der Radsport lebt seine eigenen Regeln, mit Fairness haben sie meist wenig zu tun.

Der deutsche Armstrong-Helfer Andreas Klöden bestätigte dies, indem er zu Contadors Aktion sagte: "So ist der Radsport heutzutage." Zumindest oder Radsport von Profis des Schlages Klöden. Das sei Sport, "da gibt es keine Geschenke", hatte ja sogar Schlecks Vater Johny, 57, betont, er ist in den 70ern Tour-Fahrer gewesen. Er redete über den Vorfall, als habe es sich zwar nicht um Thierry Henrys peinliches Handspiel vor der Fußball-WM gegen Irland gehandelt - aber auch nicht um ein grobes Foul am eigenen Sohn.

Verpasste Chance

Die Franzosen würden Contador nun sicher umjubeln, hätte er Schlecks Panne nicht ausgenutzt. Bisher ist der Fuentes-Kunde "A.C." ja dem Publikum suspekt mit seinen Bergsprints und der nichtssagenden Rhetorik. Als Gentleman und Sieger in Paris hätte er sein Image dramatisch verändern können. Eine verpasste Chance. Für ihn. Und für den Radsport. Wegen 39 Sekunden.

Doch es geht eben um Gelb, auch Armstrong fuhr Jan Ullrich 2003 noch davon, nachdem dieser auf den gestürzten Texaner gewartet hatte. In Bagnères hat sinnigerweise Schlecks Teamchef Bjarne Riis herumgedruckst und auf böse Worte gegen Contador verzichtet. Bald wurde klar, weshalb: L'Equipe meldet, wegen des Abschieds der Schlecks bemühe sich der Däne für seinen Rennstall um einen neuen Leader. Es könnte Contador werden.

© SZ vom 21.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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