Tour de France:Wirbelbruch, Lungenriss, Beckenbruch

Tour de France

Richie Porte liegt nach einem Sturz verletzt am Boden und wird medizinisch behandelt.

(Foto: dpa)
  • Dem Australier Richie Porte geht es nach seinem schlimmen Sturz den Umständen entsprechend gut.
  • Einige Fahrer werfen dem Tour-Veranstalter eine zu riskante Streckenführung vor. Andere sagen, solche Stürze habe es schon immer gegeben.
  • In der Gesamtwertung liegt Christopher Froome sehr viel knapper in Führung als erwartet.

Von Johannes Knuth, Chambéry

Am Tag darauf ging es dem Radprofi Richie Porte schon wieder so gut, dass er zumindest seine Handykamera unfallfrei bedienen konnte. "Hospital food", betitelte der 32-Jährige einen Schnappschuss, den er am Montag ins Netz stellte. Es waren zu sehen: drei Scheiben Baguette, zwei in Plastik eingeschweißte Marmeladen - Pfirsich und Pflaume -, ein Glas Orangensaft, ein Teebeutel, der schlaff in einer Schale mit hoffentlich warmem Wasser hing. "Bon appétit", wünschte sich Porte selbst. Ach ja, teilte er noch mit, danke für die Genesungswünsche. Nicht schlecht für einen, der am Tag zuvor in eine Felsböschung gerauscht war.

Andererseits: Wenn die prägenden Bilder dieser 104. Tour de France aus einem Krankenhaus abgesetzt werden, ist das für die Veranstalter keine so gute Nachricht.

Am Montag waren sie noch immer mit den Aufräumarbeiten der neunten Etappe beschäftigt, die L'Équipe in drei Worten verdichtete: Fou, fou, FOU! Was man mit verrückt, irrsinnig oder geistesgestört übersetzen kann. 13 Fahrer fielen der Strecke zum Opfer. Das medizinische Bulletin las sich eher so, als wären manche unterwegs in einer Wirtshauskeilerei verstrickt worden. Manuele Mori: Schulter ausgekugelt, Lungenriss. Robert Gesink: Wirbel gebrochen. Jesus Herrada: Kniescheibe ausgekugelt. Rafal Majka, Hoffnung der deutschen Bora-Equipe: Abschürfungen an Knien und Ellenbogen; er gab am Montag auf. Geraint Thomas, Sieger des Prologs: Schlüsselbeinbruch. Sieben Fahrer trafen zudem außerhalb der Karenzzeit ein und wurden aus dem Rennen genommen, darunter der Franzose Arnaud Démare - was die Chancen von Marcel Kittel erhöhte, das Grüne Trikot bis nach Paris zu tragen.

Die erste Frage von Richie Porte: "Wo ist meine Radbrille?" Die sei doch so teuer gewesen

Und dann war da natürlich Porte. Er trug eine Gehirnerschütterung sowie einen Schlüsselbein- und Beckenbruch davon, er muss aber offenbar nicht operiert werden und nur vier Wochen pausieren. Der Australier habe sich an der Unfallstelle sogar schon wieder materiellen Nöten zugewandt, berichtete Rennärztin Florence Pommerie. Wo seine Radbrille sei, fragte Porte. Die sei so teuer gewesen ...

Die Tour hatte den Bewerbern um die Gesamtwertung am Sonntag eine ungewöhnlich frühe Meisterprüfung auferlegt. 4500 Höhenmeter und drei Berge der höchsten Kategorie steckten in den 183,5 Kilometern zwischen Nantua und Chambéry. Die Etappen in den Alpen und Pyrenäen bieten nur noch vier weitere Höchstwertungen - zusammen. Die Ausfahrt im Jura- Gebirge ging also problemlos als Königsetappe durch. Der letzte Anstieg, der Katzenberg (Mont du Chat), war besonders fies, ein Begleitfahrzeug aus der Karawane blieb stecken - rein zufällig das mit einer großen Micky Maus darauf.

Christopher Froome, Träger des Gelben Trikots, parierte derweil alle Angriffe souverän. Die letzte Abfahrt war freilich nicht minder tückisch, den Fahrern steckten bereits sechs Anstiege in den Knochen, und es dauerte nicht lange, ehe die Befürchtungen der Experten stählerne Gewissheit erlangten. Porte bremste zu scharf vor einer Rechtskurve, sein Hinterrad blockierte, er schlitterte erst in den Graben, dann in die folgende Linkskurve - und ungebremst in den Fels. Der Ire Daniel Martin konnte nicht mehr ausweichen, er klatschte ebenfalls auf den Asphalt. Rigoberto Uran, der spätere Sieger, hatte auch so seine Probleme, während Portes Sturz prallte ein Fahrrad gegen seine Kettenschaltung, der 30-Jährige konnte bis ins Ziel nur noch zwei Gänge anwählen. Schlechte Voraussetzungen für den Sprint der kleinen, wackeren Führungsgruppe, mit der Froome in Chambéry einzog. Es wurde wieder eng, der Franzose Warren Barguil jubelte, weinte im Fernsehen, da wertete die Jury noch das Zielfoto aus. Plötzlich hatte doch Uran gewonnen, er war mit einem seiner zwei Gänge spät aber kräftig ins Rollen gekommen. Barguil weinte weiter, jetzt flossen Tränen des Schmerzes. Es war das passende Finale eines fiebrigen Tages.

"Ich denke, wir hatten schon größere Stürze in der Tour."

Als Froome später Bericht erstattete, wirkte er zufrieden und irgendwie nicht. "Ich dachte, dass das Klassement bei dieser Etappe auseinanderfliegt, und das ist es auch", sagte der Brite. Die Mitbewerber Nairo Quintana (2:13) und Alberto Contador (5:15) hatte er weit distanziert, die anderen waren ihm zumindest nicht entwischt. Aber der Ausfall von Thomas, dem ersten Offizier seiner Helferflotte im Team Sky, sei ein "großer Verlust", befand er. Und Portes Sturz "ein großer Schlag für das Rennen", klar. Deutlicher wurde Daniel Martin. Er fand, dass die Organisatoren den Fahrern ein zusätzliches Risiko aufgeschnallt hatten: "Jeder Fahrer riskiert was, aber die Strecke und der Regen haben nicht geholfen. Es lag viel Kies auf der Straße, es gab viele schnelle, technisch schwere Abfahrten. Ich denke", sagte der Ire, "die Organisatoren haben bekommen, was sie wollten."

Derartige Wortmeldungen sind nicht neu. Vor einem Jahr hatten einige Fahrer den Tour-Veranstalter ASO kritisiert, wegen schlechter Sicherheitsbedingungen bei Sprintankünften und Bergetappen. Der Radsport-Weltverband reagierte zuletzt, indem er die Größe der Teams bei großen Rundfahrten auf acht Fahrer (statt neun) schrumpfte. Aber vieles liegt noch immer im Argen, und wie sehr manche Veranstalter noch immer überdrehen, zeigte der Giro d'Italia im Mai, als die Funktionäre erwogen, für die besten Abfahrer zusätzliche Prämien auszuloben. Das Peloton schrie auf, Sturzfahrten bei Tempo 90 seien doch riskant genug. Und jetzt? Einigte man sich darauf, dass der Radsport nun mal so sei. Porte habe wohl einen Fehler begangen, sagte der deutsche Meister Marcus Burghardt: "Ich denke, wir hatten schon größere Stürze in der Tour. Das gehört leider dazu."

In der Gesamtwertung stehen dem Rennen nach den jüngsten Turbulenzen ebenfalls interessante Tage ins Haus. Froome liegt weitaus knapper vor seinen Verfolgern als erwartet, 18 Sekunden vor dem Italiener Fabio Aru, 51 vor dem Franzosen Romain Bardet. Vor allem Bardet hinterlegte einen starken Eindruck. Aru setzte seine erste Attacke freilich mit einem "dreckigen Manöver", wie Froomes Landsmann Simon Yates befand: Aru hatte am Mont du Chat attackiert, als Froomes Schaltung versagte und er hektisch das Begleitfahrzeug anforderte. Der Italiener fuhr direkt an Froome vorbei, beteuerte später aber, das Malheur des Briten nicht gesehen zu haben. Schon bald versandete Arus Attacke, wohl auch, weil einige Fahrer ihn ermahnten. Froome knuffte Aru kurz in die Parade, als er wieder die Gruppe der Favoriten erreichte. Weil er kurz das Gleichgewicht verloren habe, sagte er später. "Ich wusste nicht, dass Fabio attackiert hatte." Das wirkte fast so geschwindelt wie Arus Unschuldsbehauptung. Viel Stoff für die kommenden Bergetappen in jedem Fall.

Am Dienstag geht es aber erst mal wieder in die Ebene. Mit Micky-Maus- Wagen, ohne Katzenberge.

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