Tour de France:"Wie ein zitternder Gaukler auf einem zu großen Dreirad"

Tour de France: Chris Froome gewann das Gelbe Trikot, verlor es wieder, und hat es sich nun wieder zurückgeholt.

Chris Froome gewann das Gelbe Trikot, verlor es wieder, und hat es sich nun wieder zurückgeholt.

(Foto: AP)

Ein wankender Favorit, eine historisch enge Gesamtwertung, ein teils chaotisches Peloton und Jugendstil bei den Franzosen. Die Erkenntnisse der ersten Tour-Wochen.

Von Johannes Knuth, Rodez

Die 104. Tour de France ist spannend wie selten in den vergangenen Jahren, denn Christopher Froome zeigt erstaunliche Schwächen in den Pyrenäen - bis er sich am Samstag berappelt und zumindest wieder zurück ins Gelbe Trikot fährt. Die Gastgeber feiern ihren Jugendstil, was vielleicht auch an den kulinarischen Köstlichkeiten des Landes liegen könnte. Fünf Erkenntnisse aus den ersten beiden Wochen der Frankreich-Rundfahrt.

Favorit Froome erobert Gelbes Trikot zurück

Nachdem Christopher Froome am Donnerstag auf den giftigen Metern hinauf nach Peyragudes in Schwierigkeiten gekommen war, lieferten sich die Reporter einen ebenso giftigen Wettstreit um die beste Rezension des Zusammenbruchs. Es gewann das Tour-Organ L'Équipe ("Wie ein zitternder Gaukler auf einem zu großen Dreirad"). Froomes Widersacher äußerten sich freilich gedämpfter. "Wir haben uns eigentlich nur 500 Meter lang duelliert, ich würde nicht zu viel interpretieren", sagte Tagessieger Romain Bardet. Und tatsächlich: Froome fühlte sich auf der zweiten Pyrenäenhatz am Freitag schon "viel besser". So gut sogar, dass er Fabio Aru am Samstag auf der letzten Rampe in Rodez schon wieder davonfuhr und dem Italiener das Gelbe Trikot entriss, das Aru am Donnerstag zugefallen war. Aru (18 Sekunden zurück) und der Franzose Bardet (23) werden Froome in den kommenden Alpenbergen noch etwas Zeit abknöpfen müssen. Am kommenden Samstag steht in Marseille ein Zeitfahren im Kalender, diese Übung beherrscht der Brite am besten von allen Mitbewerbern. Der alte und neue Favorit heißt: Christopher Froome.

Chaos statt Kontrolle

Die Tour schrieb in den vergangenen Jahren flirrende Geschichten - im Vorjahr etwa, als der spätere Sieger Froome am Mont Ventoux stürzte und minutenlang den Berg hinaufjoggte. Ansonsten hatten er und sein Team Sky das Rennen stets im Griff. Verdächtig gut, fanden manche gar. Diesmal geht es in der Gesamtwertung wilder zu. Zum einen, weil Froome nicht so überlegen wirkt. Zum anderen, weil die Strecke ein "offenes und attraktives Rennen anbietet", wie Tour-Chef Christian Prudhomme findet. Sie haben weniger, kürzere und steilere Berge ins Programm genommen. Das erschwert den Favoriten, das Tempo zu kontrollieren, verbietet Ausreißern aber auch, sich allzu weit vom Feld abzusetzen. Die ersten sieben Fahrer im Klassement lagen nach der 14. Etappe am Samstag innerhalb von zwei Minuten, viel fehlt nicht mehr, und das Spitzenfeld muss wegen Überfüllung geschlossen werden. Sogar Sky, das in den vergangenen Jahren stets um Kontrolle bemüht war, wühlte das Feld zuletzt mit Attacken auf. "Vielleicht", sagte Froome beschwingt, "können wir das in den kommenden Tagen noch mal machen."

Jugendstil in den Pyrenäen

Nach allem was bekannt ist, ist Romain Bardet ein höflicher wie vorbildlicher Radprofi, und als solcher befolgt er freilich auch die Kleiderordnung seiner Equipe. Zum Glück. Ansonsten würde man ihn wohl oft für einen Neuntklässler halten, der sich im Hotel seiner AG2R-Auswahl verirrt hat. In Wahrheit schultert Bardet, 1,85 Meter, 65 Kilogramm, in diesen Tagen die Hoffnungen der Franzosen, den ersten Toursieg seit 32 Jahren in die Heimat zu zerren. Und eine der besten Erkenntnisse für Bardet ist dabei wohl, dass er noch viel Zeit vor sich hat mit seinen 26 Jahren. Ähnlich wie die übrigen Etappensieger aus Frankreich: Warren Barguil, 25, Lilian Calmejane, 24, Arnaud Démare, 25. Man habe sich endlich von der Vergangenheit losgesagt, sagte Bardets Teamchef Vincent Lavenu zuletzt, auch von den dunklen Jahren, nachdem der systemische Pharmakonsum im heimischen Festina-Team aufgeflogen war. AG2R hat in Chambéry längst ein Leistungszentrum hochgezogen, wo es die besten Talente früh schult. Offenbar nicht nur für den Berg. Barguil, eigentlich in Diensten von Sunweb, sagte mit Blick auf die dritte Woche: "Ich würde Romain in den Bergen gerne helfen, wenn ich es schaffe. Ein Franzose, der die Tour gewinnt, wäre eine große Erleichterung für uns alle."

Risotto und Rotwein

Wer als Reporter die Tour de France begleitet, muss stundenlange An- und Abfahrten zu den Etappen fürchten, nicht aber das Essen. Das ist in den (meisten) Pressezentren hervorragend. Man kostet sich von karamelisierten Entenfetzen (Bergerac) über Hackfleischpasteten (Longwy) zum regionalen Rotweinangebot (Nuits-Saint-Georges). Letzteres nach Redaktionsschluss, klar. Oder waren es Enten in Longwy, Rotwein in Bergerac und Hackfleischpasteten in Nuits-Saint-Georges? Kein Vergleich jedenfalls zu den Fahrern, die ihre Verpflegung in diesem Jahr noch mal professionalisiert haben. Während der Pressekonferenzen schaufeln sie mittlerweile kleine Schalen von Risottoreis oder Quinoa in sich hinein, um die Proteinspeicher zu befüllen, unmittelbar nach der Etappe. Etwas genüsslicher wird es erst auf dem letzten Metern nach Paris, da stoßen die Fahrer ausgiebig auf die vergangenen drei Wochen an. Bis auf die Sprinter, die auf den Champs-Elysées noch mal eine kleine WM ausfahren. "Das ist für uns die härteste Etappe", sagt der Deutsche André Greipel, auch wegen der Genüsse der anderen.

Deutsch-niederländische Kooperation

Zwei Tage Champagner, "könnte schlimmer sein", sagte Simon Geschke. Gerade hatte der Berliner vom Team Sunweb das Finale der 14. Etappe in Rodez vorbereitet, das sein Teamkollege Michael Matthews, Australien, am Ende auf seine Seite zerrte. Jetzt badeten sie vor dem Teambus in ihrer Freude, Roy Curvers begoss einen TV-Reporter mit edlem Gesöff (das Interview war dann bald beendet). Am Freitag hatte bereits ihr Teamkollege Warren Barguil aus Frankreich die Etappe nach Foix gewonnen, am französischen Nationalfeiertag. Barguil wird wohl zudem das Trikot des besten Bergfahrers bis nach Paris tragen, es könnte also schlechter laufen für die Equipe mit deutscher Lizenz. Auch wenn das Team noch immer recht niederländisch geprägt ist. Noch, sagen sie im Team, denn man bilde auch viele deutsche Nachwuchsfahrer aus. Und in Geschke und Nikias Arndt durften am Samstag zwei deutsche Anfahrer einen Teil von Matthews' Sieg für sich geltend machen. John Degenkolb (Frankfurt) verließen auf dem Anstieg dafür bald die Kräfte. Auch Emanuel Buchmann, in Diensten der zweiten deutschen Tour-Auswahl Bora-hansgrohe, hatte bei den Bergetappen in den Tagen zuvor etwas Mühe. Er ist jetzt 17. im Klassement, mit knapp 17 Minuten Sicherheitsabstand zu Froome.

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