Tour de France:Dem Superman davongefahren

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Tagessieger und Gesamtführender: Jonas Vingegaard. (Foto: IMAGO/Nico Vereecken/IMAGO/Panoramic International)

Der große Tour-Dominator Tadej Pogacar bricht ein - und der Däne Jonas Vingegaard übernimmt das Gelbe Trikot. Das gelingt ihm nicht zuletzt dank seiner starken Jumbo-Mannschaft, die im Feld aber auch skeptisch beäugt wird.

Von Johannes Aumüller

Fast kann man sich ja fragen, was die Macher der Tour de France eigentlich gegen diesen Col du Granon haben. 11,3 Kilometer ist der Anstieg lang, 9,3 Prozent beträgt die durchschnittliche Steigung. Ein wahres Monster ist er - und damit wie gemacht, um bei Alpen-Etappen als finaler Dramenberg zu wirken. Doch in der langen Geschichte der Tour war er bisher ein einziges Mal zu bewältigen; anno 1986, als er das ungewöhnliche Duell zwischen den Teamkollegen Bernard Hinault und Greg LeMond mitentschied. Aber in der aktuellen Auflage stand er mal wieder auf dem Programm - und wieder ereignete sich Denkwürdiges.

Denn im Peloton gilt der Col du Granon von nun an als das Symbol dafür, dass der vermeintlich unbezwingbare Superman Tadej Pogacar doch bezwingbar ist. Knapp fünf Kilometer vor dem Ziel attackierte am Mittwoch der Däne Jonas Vingegaard den Tour-Dominator - und Pogacar, aufgerieben von zahlreichen Attacken im Laufe des Tages, konnte nicht mehr folgen und brach ein. Fast drei Minuten verlor er bis ins Ziel auf den Tagessieger Vingegaard, und so sortierte sich auch das Gesamtklassement völlig neu. Vingegaard (Team Jumbo-Visma) führt dort nun vor dem Franzosen Romain Bardet (+2:16 Minuten), Pogacar ist als Dritter 2:22 Minuten zurück.

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"Ich habe es noch nicht verstanden, das ist es, wovon ich immer geträumt habe", sagte Vingegaard, bevor er aufs Podium ging, um sich das Gelbe Trikot überzustreifen - wobei dieses Gelbe Trikot eine kleine Lüge war. Rein formal ist es im Radsport bekanntlich so, dass ein einzelner Fahrer an der Spitze des Klassements steht und das Maillot Jaune trägt. Aber am Mittwoch hätten sich die Organisatoren mal überlegen können, der ganzen Jumbo-Visma-Truppe ein solches Shirt zu übergeben. Denn an diesem fiesen Tag durch die Alpen kulminierte eine Rennkonstellation, die im Prinzip schon seit Beginn der Tour gilt - und auch in den kommenden Tagen weiter gelten dürfte, wenn Pogacar versuchen wird, zurückzuschlagen. Das Duell dieser Tour heißt nicht Pogacar versus Vingegaard, sondern Pogacar versus Jumbo-Visma.

Nun hatte der 23-jährige Slowene bei seinen Tour-Siegen 2020 und 2021 auch keine herausragende Mannschaft an seiner Seite. Aber in diesem Jahr sieht's bei seiner umstrittenen UAE-Equipe, in deren Führung so viele einschlägig vorbelastete Personen wirken, besonders wild aus. Zwei seiner Teamkollegen sind nach positiven Corona-Tests während der Tour ausgestiegen, zwei andere fahren trotz kürzlicher Positivergebnisse zwar weiter, sind aber merklich geschwächt. Da bleibt kaum noch jemand übrig, der Pogacar assistieren kann.

Wie anders präsentiert sich da das Team Jumbo. Das hatte zwar Pech auf der Kopfsteinpflaster-Etappe, war aber insgesamt seit Beginn der Rundfahrt die stärkste Equipe. Und am Mittwoch blies es dann zum Großangriff, der damit begann, dass sich zwei Fahrer früh in der Ausreißergruppe platzierten. Bereits 60 Kilometer vor dem Ziel griffen dann die Top-Leute selbst ein, Vingegaard und Primoz Roglic - ungewöhnlich früh für eine Tour-Etappe. Abwechselnd attackierten sie am Fuße des berüchtigten Col du Galibier Pogacar, und auch wenn der das ausdauernd konterte, wirkte es irgendwann zermürbend. Als endlich mal etwas Ruhe einkehrte, fand sich der Slowene in einer Gruppe wieder, in der vier Jumbo-Fahrer waren - und er quasi alleine. Gegen Ende war zwar noch mal der Pole Rafal Majka an seiner Seite, aber gegen Vingegaards Attacke half das auch nichts mehr.

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"Wir hatten einen Plan, wir wollten hart fahren. Und alles hat funktioniert", sagte Vingegaard, der eine eigentümliche Vita hinter sich hat: Bis vor ein paar Jahren arbeitete er halbtags noch in einer Fischfabrik, ehe er Profi wurde. Doch spätestens seit seinem zweiten Tour-Rang im Vorjahr gilt der 25-Jährige als einer der herausragenden Klassementfahrer.

So mancher im Peloton verfolgt aber durchaus kritisch, was Jumbo-Visma bei dieser Tour (und in den vergangenen Jahren) ablieferte. Das liegt zum Beispiel an seinem Umgang mit den umstrittenen Ketonen, die Profis bei der Regeneration helfen sollen. Die Substanz ist zwar nicht verboten, aber so umstritten, dass viele Anti-Doping-Experten und sogar der Rad-Weltverband von einer Einnahme abraten. Jumbo hingegen verteidigte die Nutzung stets. Insbesondere aus Frankreich kommen skeptische Bemerkungen, wobei Jumbo-Sportdirektor Merijn Zeeman diese jüngst in der L'Équipe kühl konterte. Tenor: Dort fehle es halt an Professionalität.

Nun ist Jumbo also in einer neuen Rolle - es muss das Gelbe Trikot verteidigen. Pogacar hat schon an diesem Donnerstag die Möglichkeit zum Gegenschlag, dann geht es erneut über den Col du Galibier und im Finale die 21 mythischen Kehren hinauf nach Alpe d'Huez. Und vor allem wissen die Jumbo-Leute nur zu genau: Vor zwei Jahren war schon einmal einer der ihren, damals der Slowene Roglic, der Leader - bis Pogacar am Schluss-Wochenende mit einem unwirklichen Zeitfahren alles noch einmal umstürzte.

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