Tour de France:Verhaftung am Ruhetag

Die Tour macht Pause, aber zur Ruhe kommt das Rennen nicht. Der französische Radfahrer Rémy Di Gregorio wird unter Dopingverdacht verhaftet - er könnte in eine größere Affäre um Dopinghandel verwickelt sein. Auch die 99. Frankreich-Rundfahrt hat somit ihren Skandal. Nun beginnen die Diskussionen über mögliche Hintergründe.

Andreas Burkert, Bourg-en-Bresse

Sie sind jetzt wieder fort, und sie haben Rémy Di Gregorio mitgenommen. Die Startnummer 82 der 99. Tour de France ist am Dienstagmorgen von der französischen Polizei verhaftet worden. Der Franzose steht unter Dopingverdacht, er wird einige hundert Kilometer entfernt in seiner südfranzösischen Heimatstadt Marseille verhört. Die Meldungen vermitteln den Eindruck, Di Gregorio könnte dort in eine Affäre um Dopinghandel verwickelt sein.

Cofidis buses are parked in front of the hotel of Cofidis cycling team in Bourg-en-Bresse

Cofidis-Fuhrpark am Dienstag: Trügerische Stille

(Foto: REUTERS)

In Frankreich haben auch dopende Sportler mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen, die Heimat der Tour de France besitzt ein entsprechendes, strenges Gesetz. Die Vorwürfe gegen den Cofidis-Fahrer scheinen keine Kleinigkeit zu sein, nicht nur, weil ein Dutzend Beamte der Polizei und der Gesundheitsbehörde für eine Razzia ins Teamhotel einrückte: Seine Mannschaft hat ihn suspendiert, und Teamchef Yvan Saquer spricht am Dienstag bereits ein vernichtendes Urteil: "Es gibt Fahrer, die werden es nie verstehen. Er hat sein Talent verschwendet. Er hat das Team betrogen und den Sponsor."

Es ist eigentlich Ruhetag bei der Tour, aber zur Ruhe kommt das Rennen auch an diesem Dienstag nicht. Obwohl es im Interieur des Mannschaftsquartiers an der Avenue de Bad Kreuznach, einer viel befahrenen Landstraße von Bourg-en-Bresse, doch sehr nach Innehalten aussieht. In einem schmucklosen Mercure-Hotel wohnt der französische Rennstall diesmal, doch von den schlechten Nachrichten künden nur die Gesichter der Damen an der Rezeption. Es ist die Ruhe nach dem Sturm.

Im Foyer sitzen für ein paar Minuten der spanische Cofidis-Fahrer Luis Angel Mate und der Franzose Samuel Demoulin. Demoulin ist nur 1,59 Meter groß, er ist wieder der kleinste Fahrer der Tour. Als man ihn anspricht, macht er sich noch ein wenig kleiner. Er wisse "nichts von diesem Mist", sagt Demoulin und schaut mal wieder auf sein Handy. Dann ist auch er fort.

Rémy Di Gregorio ist in Frankreich ein namhafter und beliebter Fahrer, er galt mit seinen 26 Jahren als hoffnungsvoller Bergfahrer, vor dem nun folgenden Einstieg in die Alpen belegte er Rang 35, mit gut 18 Minuten Rückstand auf den englischen Spitzenreiter Bradley Wiggins. 2011 hat er eine Etappe bei der prestigeträchtigen Fernfahrt Paris - Nizza gewonnen, damals fuhr er noch für den kasachischen Rennstall Astana, der wegen diverser Affären einen schlechten Ruf genießt.

Die französische Polizei erklärte am Dienstag, die Ermittlungen, in denen Di Gregorio eine Rolle spielen soll, dauerten seit einem Jahr an. Jacques Dallest, Staatsanwalt der Justiz in Marseille, erklärte, der Profi werde wegen des Vorwurfs des organisierten Handels mit Dopingmitteln verhört. Zwei weitere Personen aus Marseille wurde ebenfalls festgesetzt: Di Gregorios Telefon war abgehört worden, man hatte vor Monaten bei einer mutmaßlichen Drogenbestellung von ihm bei einem der Dealer gelauscht.

Nun befand sich der beschattete Kontaktmann angeblich für eine Übergabe auf dem Weg zur Tour, zu Di Gregorio - die Polizei griff zu.

Jetzt ist die Tour mal wieder gebrandmarkt. Team Cofidis hielt am späten Nachmittag eine Pressekonferenz ab, im ersten Stockes Raststättenhotels an der Autobahn 6. Es gab einen Auflauf, als würde der Tour-Führende Bradley Wiggins Doping gestehen. Teamchef Yvan Sanquer sprach von einem enttäuschenden Einzelfall, nach Rücksprache mit den Veranstaltern werde das Team die Tour fortsetzen. "Es sollen nicht alle anderen Fahrer für den Fehler einer Person büßen."

Welche Rolle spielt der gefeuerte Teammanager?

Vorgebliche Einzelfälle kommen allerdings seit Jahrzehnten häufiger vor im Radsport. 2007 hatte die Leitung von Cofidis - erst drei Jahre zuvor durchschüttelt durch einen kollektiven Dopingskandal im Team - , diese Sicht zwar schon einmal vertreten. Allerdings wurden damals andere Konsequenzen gezogen: Der Italiener Cristian Moreni war bei dieser skandalösen Ausgabe der Rundfahrt positiv auf Testosteron getestet worden. Cofidis zog daraufhin die komplette Mannschaft ab; zu ihr gehörte damals übrigens auch der Brite Wiggins, der aktuelle Tourfavorit im Maillot Jaune. 2007 gab es einige Affären, auch der Kasache Alexander Winokurow wurde positiv getestet, auf Fremdblutdoping. Sein Team Astana flüchtete.

Nun steht Frankreichs Heiligtum wieder mal unter dem Eindruck einer Dopingaffäre, und ob es sich dabei um einen Einzelfall handelt, wird sich erweisen. In Erinnerung geriet jedenfalls am Dienstag die kleine Revolution, die sich bei Cofidis nur Tage vor dem Tourstart zutrug: Der vieljährige Teammanager Eric Boyer wurde gefeuert, die Mannschaft sei nicht erfolgreich genug gewesen. Boyers Entlassung sollte die Mannschaft neu motivieren. Ob die Personalie etwas mit Di Gregorio zu tun hat?

Mittwoch setzt die Tour ihre Reise nach Savoyen fort. Cofidis-Kapitän, der Este Rein Taaramae, ist gut platziert als Zwölfter, der 25-Jährige kämpft um das Weiße Trikot der Nachwuchswertung. Rémy Di Gregorio, einer seiner Helfer, wird fehlen. Er kämpft nur noch mit der Wahrheit.

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