Tour de France:Trübes Gelb

Lesezeit: 4 min

Abschied unter Schmerzen: Tony Martin schleppt sich mit gebrochenem Schlüsselbein ein letztes Mal zur Siegerehrung des Klassementbesten. (Foto: Roth)

Zwei Tage im Führungstrikot, diverse Etappensiege und ein großes Drama: Die deutschen Fahrer prägen die Frankreich-Rundfahrt. Aber die emotionale Zuwendung ihres Publikums bleibt aus.

Von Johannes Aumüller

Als die Tortur zu Ende ist, tun alle schon wieder erstaunlich gelassen. Am Vorabend hat sich Tony Martin noch im Gelben Trikot zur Siegerehrung gequält, dann hat ihm der Besitzer seiner Etixx-Mannschaft einen Privatjet nach Hamburg organisiert, wo sie ihn noch in der Nacht am zertrümmerten Schlüsselbein operiert und eine Titanplatte eingesetzt haben. Und am nächsten Mittag heißt es, dass es Martin schon wieder ganz ordentlich gehe - und dass er jetzt alles dafür tue, um die Zeitfahr-WM in Richmond im Herbst zu gewinnen.

Das ist also der Abschluss jener erstaunlichen Tage, die Tony Martin, 30, und der deutsche Radsport hinter sich haben. Sie haben in dieser ersten Woche aus der Tour de France mal wieder eine Tour d'Allemagne gemacht, der die globale Radsportszene andächtig gefolgt ist: Martins rührender Kampf ums Gelbe Trikot, der erst im vierten Anlauf gelang. Drei Etappensiege durch ihn sowie Sprintspezialist André Greipel. Und dann dieses große Drama am Donnerstagabend, als Martin im Zielsprint nach Le Havre einen unerklärlichen Schlenker nach rechts fuhr: Sturz, Bruch des linken Schlüsselbeins, Tour-Aus.

Die Neuen wollen die Fans von ihrer Ehrlichkeit überzeugen - es ist die viel schwerere Tour

Im Ausland sind sie voller Bewunderung für Martin, Greipel & Co., es gibt dort Elogen voller Pathos und Begeisterung, wie sich das halt so eingebürgert hat in 112 Jahren Tour de France. Aber in Deutschland? Klar, die Rahmenbedingungen waren schon schlechter, die ARD überträgt jetzt wieder live, wenn auch mit überschaubarer Resonanz, in Frankreich sind gerade zwei deutsche Teams am Start, im Hintergrund laufen Planungen, die Deutschland-Tour wiederzubeleben. Aber die große emotionale Zuwendung des Publikums, die setzt nicht ein. Nicht bei den Erfolgen, nicht bei den Dramen.

Das ist vielleicht die zweite, die noch schwerere Tour d'Allemagne, die Deutschlands Radsport gerade absolviert: der Versuch, alle davon zu überzeugen, dass jetzt alles ganz anders sei als in den schmutzigen Jahren. Die Deutschen fahren auf Bewährung. Ihre Spitzenkräfte Martin oder John Degenkolb äußern sich zu Dopingthemen klar. Aber sie wissen auch, dass sie "im Grunde nichts anderes sagen als die Fahrer vor uns, die allen ins Gesicht gelogen haben", wie Degenkolb sagt.

Die Fahrer vor ihnen und deren Taten, das ist die enorme Fallhöhe, die das deutsche Publikum hinter sich hat. Früher hat die ARD einen Brennpunkt ausgestrahlt, als Jan Ullrich erstmals ins Gelbe Trikot fuhr, früher haben die Deutschen in Scharen ihren Sommerurlaub nach der Tour ausgerichtet und in den gelben Leibchen die Radwege an Rhein und Isar bevölkert. Die Deutschen und die Tour, das ist wie eine zerstörte Liebesbeziehung. Aber es wäre falsch, ihr distanziertes Verhältnis zum Radsport nur mit der Enttäuschung der Vergangenheit zu erklären. Sondern es liegt auch an der Gegenwart. Er würde sich sehr freuen, wenn alle Fahrer sauber wären, "aber für mich würde auch keine Welt zusammenbrechen, wenn sich herausstellt, dass es nicht so ist", sagt der frühere Radprofi und heutige Kronzeuge Jörg Jaksche. Viele dürften das ähnlich sehen. Ullrichs Doping empfand die Volksseele als Verrat. Heute wäre es nur noch ein mehr oder minder erwartbarer Vorgang.

Und wenn das Publikum diese erste Woche der Tour de France so betrachtet, dann ist sie eben nicht nur eine Tour d'Allemagne gewesen, sondern auch eine Woche, in der das Thema Doping wie eh und je eine zentrale Rolle gespielt hat.

Auch zwei Mediziner in Martins Etixx-Team galten früher als höchst umstritten

Eine kleine Auswahl: Die vom Weltverband (UCI) mit viel Geld und Tamtam eingesetzte Kommission Circ steht nun unter dem Verdacht, dass sie Hinweise auf Dopingvergehen aktueller Protagonisten nicht richtig verfolgt hat (SZ vom 4.7.). Der UCI-Chef Brian Cookson verkündet großspurig, dass sein Verband erstmals Nachtkontrollen durchgeführt habe, weil die Betrüger den Blutdopingklassiker Epo nur noch in Mikrodosierungen nehmen, die am nächsten Morgen schon nicht mehr nachweisbar sind - aber in Frankreich sind diese Nachtkontrollen gar nicht erlaubt. Anti-Doping-Experten berichten von Unmengen neuer Präparate, die auf dem Markt seien, ganz zu schweigen von nicht verbotenen, aber höchst umstrittenen Substanzen wie dem Schmerzmittel-Klassiker Tramadol, das den Fahrer schon mal benommen macht. Und es heißt am Rande der Tour, dass Bjarne Riis, jahrelang Teamchef des chronisch dopingverseuchten CSC-Teams, in den Radsport zurückzukehren gedenkt.

Da zeichnet sich schon wieder ein düsteres Bild - und dabei hat die umstrittene Astana-Equipe noch keinen einzigen Etappensieg geholt und noch keinen einzigen Tag im Gelben Trikot absolviert.

Apropos Astana: Als im vergangenen Jahr deren Frontmann Vincenzo Nibali die Tour gewann, da geriet zu Recht das fragwürdige Personal dieses Rennstalls rund um den früheren Blutdoper Alexander Winokurow ins Visier. Aber bisweilen hat es den Anschein, als seien manche im Feld ganz froh, dass es da diese dubiosen Osteuropäer gibt, auf die sich deuten lässt. Der Mainzer Anti-Doping-Experte Perikles Simon hat vor der Tour angeregt, alle Teamleiter auszuschließen, die in den heißen Dopingjahren gedopt hatten - weil die schließlich wüssten, welche Wirkung das haben kann und im Zweifel eher darauf zurückgreifen. Da kann ihm niemand widersprechen, aber wer diese Maßstäbe anlegt, der wird nicht nur bei Astana, sondern auch bei anderen Mannschaft leicht fündig, etwa bei jener Etixx-Equipe von Tony Martin.

Der Chef ist Patrick Lefevere, unter dessen Aufsicht es nach Aussagen früherer Fahrer bei Mapei zu systematischem Doping kam, was Lefevere aber zurückweist. Zur Teamführung gehören Brian Holm und Rolf Aldag, die als Aktive bei Telekom Epo nahmen und Mitte der Nullerjahre beim Magenta-Stall arbeiteten. Einer der Etixx-Mediziner ist der Spanier Jose Ibarguren, den schon Ex-Festina-Pfleger Willy Voet als "Dopingarzt" bezeichnete. Ein anderer ist der nicht minder umstrittene Belgier Ivan Vanmol, den der berüchtigte spanische Doktor Eufemiano Fuentes in einem Gespräch mal als seinen sportmedizinischen Lehrmeister bezeichnet habe, wie Kronzeuge Jaksche berichtet.

Astana und Etixx sind nicht die einzigen Teams, bei denen sich das Umfeld in dieser Weise durchdeklinieren lässt. Gewiss gibt es überall auch neue, unbelastete Leute, denen es ein Anliegen ist, mit anderen Methoden vorwärts zu kommen als die alte Garde. Manche Sünder haben dem Treiben auch glaubhaft abgeschworen, manche Fahrer bewegen sich innerhalb eines Teams ohnehin in ihrem eigenen kleinen Umfeld.

Dennoch müssen sich Martin & Co. darauf einstellen, dass sie Zeit ihres Profi-Lebens die große und breite Zuwendung des deutschen Publikums wohl nicht mehr erhalten. Trotz ihrer Erfolge. Manche sagen auch: wegen ihrer Erfolge.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: