Süddeutsche Zeitung

Tour de France:Team Sky scheitert am eigenen Anspruch

  • Christopher Froome wird am Wochenende wohl die Tour de France gewinnen. Es wäre sein vierter Tour-Erfolg sein nach 2013, 2015 und 2016.
  • Sein Team Sky war einst angetreten, im Radsport alles transparenter und damit besser zu machen.
  • Mit diesem Projekt sind sie gescheitert.

Von Johannes Knuth, Briancon/Salon-de-Provence

Christopher Froome kam ein wenig ins Plaudern, als er sich im kleinen Pressezelt niederließ, das sie zwischen ein paar Wohnwagen in die Steinwüste am Izoard gepflanzt hatten. Es fehlten noch ein Glas Rotwein und ein paar Scheiben des in der Region geschätzten Queyras-Schimmelkäses, und der Brite wäre glatt als Fan durchgegangen, der die Tour in den vergangenen drei Wochen mit seinem Campingmobil begleitete.

Froome hatte freilich einen zehrenden Tag hinter sich, er hatte auf der letzten Bergprüfung am Izoard eine halbe Minute Vorsprung gewahrt, das Gelbe Trikot dazu. Jetzt knüpfte er die üblichen Floskeln aneinander, er sei zufrieden, danke ans Team. Dann trug ein Reporter noch eine interessante Frage an ihn heran. Was Froome von einer Gehaltsobergrenze im Radsport halte? Sein Erfolg fuße ja darauf, dass sein Team viele hervorragende Fahrer verpflichten könne, die Froome als Adjutanten zur Seite stehen. "Pfff", Froome klang jetzt wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht. "Ich habe dazu nicht wirklich eine Meinung", sagte er, "sorry". Dann war die Plauderstunde vorbei.

Christopher Froome, geboren in Nairobi als Sohn britischer Eltern, wird am Wochenende die 104. Tour de France gewinnen, es sei denn, er fängt sich vor dem Zeitfahren am Samstag noch eine Magenverstimmung vom Schimmelkäse ein. Es wird sein vierter Tour-Erfolg sein nach 2013, 2015 und 2016, aber die Geschichte dahinter handelt diesmal mehr denn je von seinem Team Sky, ohne das er diese launische Tour wohl nicht gezähmt hätte.

Sky verfügt angeblich über 30 Millionen Euro pro Jahr, doppelt so viel wie der Schnitt auf der World Tour. Sie haben die besten Fahrer, das beste Konzept sowieso, so sehen sie das zumindest. Seit ihrer Gründung vor acht Jahren hat die Equipe fünf Mal die Tour gewonnen, Bradley Wiggins war ihr erster Sieger vor fünf Jahren, es ist eine wahrhaft erstaunliche Geschichte. Allerdings weniger, weil sie von heiteren Plauderstunden und schönen Siegen erzählt. Sondern davon, wie man selbst im Erfolg scheitern kann.

Die Mission: alles besser machen

Als Sky 2009 in den Radsport hineinwuchs, hatte sich der Staub der chaotischen Tage um Michael Rasmussen, Jan Ullrich und das Team Telekom gerade gelegt. Jetzt wollte die neue, vom britischen Medientycoon Rupert Murdoch alimentierte Mannschaft alles besser machen. Man wolle die Tour mit einem britischen Fahrer gewinnen, mehr noch: "Unser Job ist es zweifellos zu beweisen, dass die Tour sauber gewonnen werden kann. Das Vermächtnis dieses Sieges wäre phänomenal", sagte Teamchef David Brailsford damals.

Der Waliser, kahlgeschorener Schädel, stechender Blick, hatte Großbritanniens Bahnradfahrer bei Olympia 2008 zu 14 Medaillen geführt, mit neuen Experten für jedes Ressort: Trainer für die Trainingspläne, Sportliche Leiter für die Rennplanung - viele kleine Verbesserungen, die zu einem großen Vorteil zusammenwuchsen. Die "marginal gains" waren geboren. "Früher gab es vor allem Doping, da mussten die Fahrer nicht trainieren", sagte Brailsford. "Unsere Fahrer trainieren richtig. Das ist eigentlich alles." Wirklich alles?

Die Lücke zwischen den schönen Bildern des Sports und der Wirklichkeit dahinter ist längst eine Kernübung des organisierten Sports geworden. Olympiasieger werden nicht mehr bei Siegerehrungen gekürt, sondern in den Laboren der Dopingjäger, viele Jahre nach Plauderstunden und Siegerehrungen. Man kann den Athleten nichts unterstellen, aber das Publikum kann ihnen auch nicht mehr vertrauen, weil viele Tests so porös sind, dass sie erst Jahre später ausschlagen, wenn überhaupt. Und weil viele Wahrheiten erst spät ins Licht rücken, wie bei Sky.

Skys erste Saison im Profibetrieb endete enttäuschend. Im folgenden Winter verpflichtete Brailsford den Niederländer Geert Leinders. Der hatte zwischen 1996 und 2009 als Doktor bei Rabobank gewirkt - ehe er nach diversen Dopingaffären geräuschlos entfernt wurde. Kurz nach Leinders Wechsel zu Sky wurden Vorwürfe an die Öffentlichkeit gespült, aber hatte Brailsford nicht geschworen, keine Ärzte zu beschäftigen, die im verseuchten Radsportbetrieb gearbeitet hatten? Man benötige auch jemanden mit Expertise, entgegnete der Teamchef. Später, Brailsford hatte sich nach viel Getöse von Leinders getrennt, gestand er einen "Ermessensfehler" ein.

Einer, der unter Leinders eine wundersame Verwandlung begann, war Chris Froome. Er debütierte 2008 bei der Tour, wurde 83. In den berüchtigten Kehren von Alpe d'Huez verlor er elf Minuten. Sky engagierte ihn 2010, kurz darauf erkrankte er an Bilharziose, einer Wurmkrankheit. Nach 18 Monaten war er geheilt - und fortan Dauergast auf den Podien der schwersten Rundfahrten: Zweiter bei der Vuelta 2011, bei der Tour seit 2013: unschlagbar, einen Sturz 2014 ausgenommen.

Sky verwies stets auf seine "marginal gains", bessere Matratzen, gesündere Erholungstrunks, aber damit waren sie im Peloton längst nicht mehr alleine. "Anstatt ständig von uns zu fordern, wie wir unsere Unschuld beweisen sollen", polterte Brailsford nach Froomes erstem Sieg vor Reportern, "könnt ihr ja mal ein paar Ideen liefern." Aber war das nicht das, was Brailsford einst versprochen hatte: sich jeden Tag in den Dienst der Glaubwürdigkeit zu stellen, um dem Radsport ein nachhaltiges Erbe zu hinterlassen?

Sky zog die Zugbrücke immer weiter hoch. Erst wollten sie Froomes Leistungsdaten nicht herausrücken, mit dem kuriosen Argument, diese würden falsch interpretiert werden. Das Material, das Sky letztlich veröffentlichte, sagte wenig aus. Zuletzt ballten sich die Merkwürdigkeiten. Medizinische Ausnahmegenehmigungen für Wiggins und Froome, zufällig vor großen Rundfahrten von 2013 bis 2015. Mysteriöse Pakete, die von England bis nach Frankreich geschafft wurden. Ein Teamchef, der sich in Widersprüchen verhedderte. Eine späte Erklärung; es habe sich um einen speziellen Hustensaft gehandelt. Nachweise? Auf dem Computer des Teamarzts. Der PC? Leider gestohlen. Die nationale Anti-Doping-Agentur ermittelt.

Als Sky am zweiten Ruhetag der Tour eine Medienrunde veranstalte, knöpfte sich Brailsford einen Reporter eines Portals heraus, das kritisch über Sky berichtet hatte. Als der Reporter klagte, dass nur ein Teamchef sich jemals ähnlich verhalten habe, Lance Armstrongs ehemaliger Chef Johan Bruyneel nämlich, entgegnete Brailsford: "Wirfst du mir jetzt auch noch vor, ein Dopingprogramm zu betreiben?" - "Well, die britische Agentur prüft das gerade", sagte der Reporter. Das könne er sich in den Allerwertesten schieben, sagte Brailsford. Dann war die Unterredung beendet.

Vielleicht beantwortet der 53-Jährige auch deshalb keine ungeliebten Fragen, weil er weiß, dass es keine zufriedenstellenden Antworten gibt. "Er ist zum Donald Trump des Profiradsports geworden", schrieb die Sunday Times zuletzt. "Er ist der mächtigste Mann im Geschäft, aber es ist Macht ohne Respekt."

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SZ vom 22.07.2017/chge
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