Der Rennradfahrer Julien Bernard stammt aus der französischen Region Côte-d’Or und verheimlicht das nicht. Während der siebten Etappe der Tour de France machte er auf der 25,3 Kilometer langen Strecke des Einzelzeitfahrens zwischen Nuits-St.-Georges nach Gevrey-Chambertin durch seine Heimatregion Halt und dankte seiner Familie. Der 32-Jährige vom Team Lidl-Trek stoppte am Straßenrand bei seiner Ehefrau Margot und seinem Sohn Charles, gab beiden einen Kuss, wurde dafür bejubelt – und radelte weiter. Die Einlage kostete Bernard einige Sekunden Zeit – und am Ende auch noch einiges an Geld, weil der Radsport-Weltverband auf Bernards Herzlichkeit mit wenig Gegenliebe antwortete: 200 Franken Strafe.
Das verlängerte Wochenende der Tour de France, die nach dem Start in Italien längst am Ursprungsort in Frankreich angekommen ist, dürfte die Anhänger des Radsports erfreuen, weil es tatsächlich schon wieder spannend wurde im Rennen um das Gelbe Trikot der Gesamtwertung. Remco Evenepoel, dem belgischen Mitfavoriten um den Gesamtsieg, gelang am frühen Freitagabend erstmals ein Stich gegen den Slowenen Tadej Pogacar, zwölf Sekunden nahm er dem Führenden im Gesamtklassement beim Einzelzeitfahren ab, ehe es am Samstag zum Massensprint in Colombey-les-Deux-Eglises kam (wo der Eritreer Biniam Girmay seine zweite Etappe im Massensprint gewann, nachdem er zuvor als erster schwarzer Afrikaner einen Toursieg errungen hatte). Und nach dem zweiten Erfolg des Mannes im Grünen Trikot des Sprintbesten wurde es noch mal wild.
Am Sonntag, bei der neunten Etappe der Tour de France rund um Troyes, schlängelte sich das Peloton nicht wie sonst auf asphaltierten Straßen durch Frankreich. Bei der 111. Auflage der Tour musste das Peloton erstmals auf staubigen Schotterpisten fahren, eine trügerische Buckelpiste zwischen den Weinbergen der Champagne.
Der Franzose Anthony Turgis gewinnt nach 199 Kilometern, davon 33,2 Kilometer über die staubigen Pisten der Champagne
Der Veranstalter der Tour, die Amaury Sport Organisation (ASO), reagiert damit auf eine Entwicklung im Breitensport: Sogenannte Gravelbikes, also Rennräder mit breiteren und geländetauglichen Reifen, sind bei vielen Hobbyradlern ein Thema, es gibt längst Gravelbike-Rennserien. Für die Profiteams der Tour de France, speziell jene mit Ambitionen fürs Gelbe Trikot, erhöhen sich durch diese Etappe die Unwägbarkeiten. Auf dem holprigen Gelände steigt das Risiko für Defekte am Rad oder für Stürze – also Zeitverluste.
Den Sieg am frühen Sonntagabend holte sich der Franzose Anthony Turgis. Der 30-Jährige gewann nach 199 Kilometern, davon 33,2 Kilometer über die staubigen Pisten der Champagne, im Sprint einer kleinen Ausreißergruppe. Der britische Mountainbike-Olympiasieger Thomas Pidcock und der Kanadier Derek Gee belegten die Plätze zwei und drei. Das Gelbe Trikot des Gesamtersten trägt weiter der slowenische Radstar Tadej Pogacar, der aus dem Peloton heraus mehrmals attackierte, letztlich aber nicht entwischen konnte. Vor allem Jonas Vingegaard, der nach einem Defekt ab der Rennmitte mit dem Rad seines Teamkollegen Jan Tratnik unterwegs war, parierte die Attacken tapfer. Die Gelb-Favoriten fuhren in einer Gruppe mit 1:46 Minuten Rückstand über die Ziellinie.
Der zweimalige Tour-Champion Pogacar liegt vor dem ersten Ruhetag weiter 33 Sekunden vor Evenepoel, 1:15 Minuten vor Vingegaard. Am Montag legt die Tour eine Pause ein, bevor es mit der zehnten Etappe über 187,3 Kilometer von Orléans nach Saint-Amand-Montrond weitergeht.